Hanseator

Musik, Fußball und manchmal auch ein bisschen Hansa

Tiefpunkte

Ein Kommentar

Mitgliederversammlung des F.C. Hansa Rostock e.V.

1. November 2015

Zuerst die gute Nachricht: Hansa hat derzeit 10489 Mitglieder, ein klares Statement in einer Zeit, da der Verein zunehmend in Frage gestellt wird, Sponsoren sich abwenden und aus allen Richtungen Unrat über dem Verein ausgekippt wird. Mehr als 2000 waren zur Mitgliederversammlung erschienen, die über wichtige Satzungsfragen und die Zusammensetzung des Aufsichtsrates bis zur nächsten regulären Wahl in einem Jahr entscheiden sollte. Die schlechte Nachricht: Noch nie ging es so chaotisch bei Hansa zu wie in diesen Tagen, die Versammlung lieferte auch dem letzten Zweifler den Beweis.

Schon die Abstimmung über die Tagesordnung hatte es in sich. Der Antrag, über die Entlastung der Vereinsorgane erst nach der Diskussion über die Berichte und die Stellungnahme zur aktuellen Situation und zum momentanen Stand der Ausgliederung abzustimmen, rief eine junge Frau auf den Plan, die den ungläubig staunenden Versammlungsteilnehmern voller Empörung verkündete, die Tagesordnung sei seit langem bekannt, und wem sie nicht gefalle, der solle gefälligst den Saal verlassen.

Dieser bizarre Auftritt sollte nicht das einzige „Highlight“ einer Mitgliederversammlung bleiben, wie sie unser Verein in seiner 50jährigen Geschichte wohl noch nicht erlebt hat. Gleich der nächste Tagesordnungspunkt, die traditionellen Ehrungen, musste ausfallen, dem Versammlungsleiter lagen keine Informationen vor, wer eigentlich wofür geehrt werden sollte – die Pflöcke für eine turbulente, hochemotionale und am Ende chaotische Veranstaltung waren gesteckt. Dass über die Entlastung dann gar nicht abgestimmt wurde, weil noch kein Jahresabschluss vorliegt, rundet das Gesamtbild ab.

Es ist schwierig, den Ablauf der Versammlung einigermaßen strukturiert zu beschreiben, zu sehr verselbständigte sich phasenweise die Diskussion. An den Mikrofonen herrschte großer Andrang, das Bedürfnis, sich zur Situation des Vereins, zu aktuellen Vorfällen und zur Handlungsweise von Verantwortlichen und Gremien zu äußern, war offenbar riesengroß. Die Versammlungsleitung hatte es überaus schwer, in der teilweise sehr hitzigen Atmosphäre so etwas wie eine sachliche Diskussion am Laufen zu halten. Gunnar Kempf versuchte sein bestes, streckenweise blieb es beim Versuch. Dazu kamen auch noch schwierige technische Bedingungen: Eine Beleuchtung, die so eingestellt ist, dass man von der Bühne aus keine so unwichtigen Einzelheiten wie zum Beispiel Wortmeldungen im Saal erkennen kann, dann wieder eine Tonanlage, die so eingestellt ist, dass man auf dem Podium nicht richtig versteht, was unten gesagt wird – einmal nur mit Profis arbeiten!

Ein Hauptthema war erwartungsgemäß der nach wie vor ungeklärte Diebstahl von vertraulichen E-Mails und deren Weitergabe an Personen außerhalb des Vereins. Es ist bis jetzt nicht klar, wer hierfür die Verantwortung trägt, schlimm genug, dass es mehrere Wochen dauerte, bis überhaupt offiziell Anzeige erstattet wurde. Hier haben sowohl der Vorstand als auch der Aufsichtsrat keine gute Figur gemacht. Insbesondere die von Gunnar Kempf gegebene Begründung für das langwierige Vorgehen sorgte für einiges Kopfschütteln: Damit die Staatsanwaltschaft aktiv wird, müssen entsprechend konkrete Verdachtsmomente vorliegen. Aber mal unter uns: Es kann doch nicht die Aufgabe eines Geschädigten sein, auch noch selbst zu ermitteln. Dafür ist aus meiner laienhaften Sicht nun mal die Polizei zuständig, da kann man jederzeit Anzeige erstatten. „Man“ – das ist hier natürlich der Vereinsvorstand.

Ob nun aber die Mitgliederversammlung der richtige Ort ist, diese Ermittlungen zu führen, ist fraglich. Dennoch erinnerte die Diskussion gerade zu diesem Thema phasenweise eher an einen Untersuchungsausschuss (ich vermeide bewusst den Begriff Tribunal, der historisch einfach zu negativ besetzt ist). Viel konnte jedenfalls nicht zur Aufklärung beigetragen werden, so dass zu befürchten ist, dass uns dieses Thema noch eine Weile beschäftigen wird. Herauskommen wird das eines Tages doch, davon bin ich überzeugt. Und das sollte es auch, wenn das innerbetriebliche Vertrauen beim FCH nicht dauerhaft beschädigt bleiben soll.

Wie schon erwähnt krankte die Diskussion erheblich an fehlender Struktur, daher beschränke ich mich auf persönliche Eindrücke zu den Auftritten einiger Protagonisten, die besonders im Blickpunkt standen.

Entgegen den üblichen Gepflogenheiten nutzte Sportvorstand Uwe Klein die Versammlung, um eine Erklärung zur sportlichen Situation des Vereins abzugeben. Auch Trainer Karsten Baumann durfte ein paar Sätze sagen. Ehrlich gesagt, beruhigt mich das nicht besonders, wenn die Lage offenbar so bedrohlich ist, dass dieses Thema sogar die Mitgliederversammlung erreicht. Andererseits strahlten beide durchaus Zuversicht aus, das Ruder wieder herumreißen zu können. Höchste Zeit ist es auf jeden Fall, denn aus meiner Sicht nützt alle Konsolidierung der finanziellen Rahmenbedingungen nichts, wenn ein Fußballclub sein „Kerngeschäft“ nicht im Griff hat.

Der AR-Vorsitzende Dr. Uwe Neumann musste sich viel Kritik anhören, schon nach seinem Bericht, den er mit dem Wunsch abschloss, die Diffamierung von Personen, wie sie zuletzt betrieben wurde, dürfe in unserem Verein nie wieder zugelassen werden, hatte es Pfiffe und Buh-Rufe gegeben. Wie schon eine Woche zuvor auf der Informationsveranstaltung im Audimax, vermochte er Fragen zu den Entscheidungen und Handlungen des Aufsichtsrates nicht immer zufriedenstellend zu beantworten, umging oft klare Aussagen und erntete dafür viel Unmut. Nichtsdestotrotz stellte er sich allen Fragen und ging auf persönliche Angriffe nicht ein, wofür ihm Respekt gebührt.

Ex-Vorstandschef Michael Dahlmann nutzte die Diskussion über die Berichte von Vorstand und Aufsichtsrat zu einer Generalabrechnung, vor allem mit dem Aufsichtsrat, die in einem persönlichen Frage-Antwortspiel mit Dr. Uwe Neumann gipfelte, bei dem beide versuchten, den „Kontrahenten“ mit Suggestivfragen aufs Glatteis zu führen. Vorher hatte Dahlmann eine positive Bilanz seiner Amtszeit gezogen, verwies dabei unter anderem auf den großen Mitgliederzuwachs, den Abbau von Verbindlichkeiten oder die erfolgreichen Lizensierungsverfahren für die Profimannschaft. Sogar ein Konzert habe es nach langer Zeit mal wieder im Ostseestadion gegeben. (Dieses, lieber Herr Dahlmann, nehme ich Ihnen allerdings persönlich übel.)

Dahlmann trug seine Ausführungen ruhig, gefasst und sehr sachlich vor, vergaß dabei auch nicht, sich bei seinem Nachfolger für die Übernahme der Verantwortung in schwieriger Lage zu bedanken, und räumte eigene Fehler und Fehlentscheidungen ein, die letztlich zum Verlauf der Ereignisse beigetragen hätten. Vor allem sieht er sich als Opfer zwielichtiger Machenschaften eines verschmähten potenziellen Investoren, der ihn „zur Strafe“ mit dem damaligen AR-Vorsitzenden Harald Ahrens als verlängertem Arm und sekundiert von der Stadtvertreterin Dr. Sybille Bachmann (der von ihr erhobene Untreuevorwurf sei hanebüchener Schwachsinn), öffentlich demontiert und am Ende aus seinem Job entfernt habe.

Einen weiteren Namen nannte der frühere Vorstandsvorsitzende noch, den eines ehemaligen Freundes, der ihn zunächst erst bei Hansa ins Spiel gebracht, später dann aber, als Dahlmann nicht wie gewünscht funktionierte, ihm zunächst gedroht und dann nach dem Magdeburg-Spiel die Ereignisse der letzten Monate (seit der außerordentlichen Mitgliederversammlung im Mai) ins Rollen gebracht haben soll. Es handelt sich hier um Andreas Mylord, Inhaber der Rostocker „Werbeagentur Mylord“.

Michael Dahlmann äußerte abschließend drei Wünsche:

Der Verein solle den begonnenen Weg (Strategie 2020) zu Ende führen und den Erfolg nach Rostock zurückkehren lassen.

Man möge Rolf Elgeti vor allem als Hansafan sehen, der viel Geld in seinen Verein investiert.

Der derzeitige Riss im Verein muss schnell gekittet werden, unabhängig von Namen und Personen gibt es nur Hansafans.

Michael Dahlmann erhielt eine Menge Applaus und zum Teil stehende Ovationen für seinen Beitrag.

Rolf Elgeti trat wie schon im Mai sehr souverän auf und erläuterte seine Vorstellungen und Ziele eloquent, überzeugend und mit Humor. Dass er dabei nicht der Versuchung widerstehen konnte, noch ein paar letzte Giftpfeile in Richtung des dahinscheidenden Aufsichtsrates, teilweise weit unterhalb der Gürtellinie, zu verschießen, ist nach den letzten Wochen menschlich vielleicht sogar verständlich, neue Sympathiepunkte brachte ihm das zumindest bei mir aber nicht ein, gleiches gilt für die Selbstkategorisierung als „Retter“. Als kommendes „Schwergewicht“ im Verein, das noch dazu beinahe für den Aufsichtsrat kandidiert hätte, sollte er sich das schenken. Das ist auch eine Frage von Respekt, Toleranz und Umgangsformen, also Werten, die im Verein künftig wieder stärker eigefordert werden müssen.

Mit Spannung wurde ein möglicher Auftritt von Dr. Sybille Bachmann erwartet, die sich in den letzten Wochen in ihrer Rolle als „Whistleblower“ und mutige Einzelkämpferin gefiel, erst recht, nachdem Michael Dahlmann seine Sicht der Dinge dargelegt hatte. Sie setzte mehrmals an, kam jedoch nicht zu Wort. Ich habe mit dieser Form der Auseinandersetzung so meine Probleme. Wer etwas zu sagen hat, soll das am Mikrofon tun und nicht per (je später, umso unqualifizierterem) Zwischenruf/Gebrüll.

Das Niederschreien von Frau Bachmann mag vielleicht sogar nachvollziehbar sein, mit Diskussionskultur auf einer Mitgliederversammlung (die Phrase „unser höchstes, wertvollstes Vereinsorgan“ geht ja vielen so leicht über die Lippen) hat das nichts zu tun. Und davon abgesehen, hilft das Frau Dr. Bachmann letztlich nur bei ihrer weiteren Selbstinszenierung als die Jeanne d’Arc von Rostock. Die Gelegenheit, ihre „Argumente“ den Mitgliedern persönlich darzulegen, ihre schlimmen Anschuldigungen den Beschuldigten direkt ins Gesicht zu sagen und von diesen unmittelbar widerlegen zu lassen, wurde so leichtfertig verschenkt. Hansa und die Chancenverwertung – nicht nur ein sportliches Thema, wie man sieht.

Das Kapitel Bachmann dürfte bei Hansa unterdessen noch lange nicht abgeschlossen sein, denn die Dame wusste nach ihrem bühnenreifen Abgang vom Mikrofon („Ich kämpfe für den Verein!“) die Umsitzenden mit der Ankündigung zu überraschen, man würde sich schon in zwei Wochen sehr wundern und dann heulend vorm Fernseher sitzen. Langweilig wird es jedenfalls nicht, wie auch ihre fortgesetzten täglichen Wasserstandsmeldungen in sozialen Netzwerken ahnen lassen.

Im Gegensatz zu Frau Bachmann durfte Harald Ahrens fast ungehindert zu den Versammelten sprechen. Viel mitzuteilen hatte er nicht, er wies aber noch einmal entschieden jede persönliche Schuld beziehungsweise Beteiligung an der Veröffentlichung der E-Mails oder auch der vorübergehenden Beschlagnahme der Hansa-Geschäftsstelle zurück. Ganz klar: Bis zum Beweis des Gegenteils gilt die Unschuldsvermutung.

Ansonsten hatte ich den Eindruck, der frühere AR-Vorsitzende wollte vor allem einen Schlussstrich ziehen, damit es endlich vorbei ist. Verwunderlich ist hierbei, dass er nicht einfach seinen in einer Mitgliederinformation angekündigten Rückzug aus dem Aufsichtsrat vor der Mitgliederversammlung in die Tat umgesetzt hatte, was letztlich zu einem Glaubwürdigkeitsproblem führte. Einem vermutlich desaströsen Abstimmungsergebnis wich er mit dem Rücktritt in letzter Sekunde aus, dass er sich der Kritik persönlich stellte, ist dennoch zu respektieren.

Respekt verdiente sich Torsten Völker mit einer selbstkritischen und ehrlichen Bilanz seiner Tätigkeit im Aufsichtsrat und der Erkenntnis, zuletzt nicht ganz die Erwartungen verschiedener Fangruppierungen erfüllt zu haben. Daraus fehlende Basisnähe abzuleiten, geht mir dann doch eine Spur zu weit. „Fanvertreter“ im Aufsichtsrat zu sein hatte in erster Linie das Ziel, Fanthemen zum regelmäßigen Gegenstand der Arbeit in den Gremien zu machen. Ich denke schon, dass ihm das gelungen ist – bei aller berechtigten Kritik.

War die Diskussion in ihrem Verlauf schon sehr speziell, sollten die folgenden Abstimmungen diese noch einmal deutlich an Schrägheit übertreffen. Zunächst erklärten Harald Ahrens, Uwe Neumann und Jörg Hempel unmittelbar vor der Abwahl-Entscheidung der Mitglieder ihren Rücktritt. Insbesondere Hempel übte heftige Kritik am Werteverfall unseres Vereins, der sich in Inhalt und Stil der gerade beendeten Diskussion manifestiert hatte: Mit Mangel an Respekt und fehlender Toleranz war seine persönliche Schmerzgrenze überschritten, ein Rückzug, ohne das Votum der Versammlung abzuwarten, blieb als einzig mögliche Konsequenz. Schade, aber verständlich.

Über das nachfolgende Chaos bei der Abstimmung über die Abberufung des bisherigen Aufsichtsrates kann man nur voller Scham den Mantel des Schweigens legen – eine Katastrophe für alle Beteiligten, gerade auch für Ingo Brauer, eigentlich unzumutbar. Hier sollte sich der Verein tatsächlich dringend nach alternativen Auszählverfahren umsehen.

Vom bisherigen Aufsichtsrat gehört nun nur noch Torsten Völker dem neuen Gremium an, die restlichen fünf Mitglieder stellten sich ja praktisch von selbst auf. Zum Glück klappte dann die Abstimmung per Blockwahl, weitere drei Stunden später wäre dann wohl der neue Aufsichtsrat von den letzten noch anwesenden Mitgliedern mit dem berüchtigten Geräuschpegelmesser des früheren „Halbzeitspiels“ in sein Amt geschrien worden. Ein Wahnsinn.

Bei all dem Durcheinander trat leider das in den Hintergrund, was eigentlich Hauptthema der Versammlung sein sollte – die Satzungsänderungsanträge in Vorbereitung der beabsichtigten Ausgliederung der Lizenzspielerabteilung wurden mehr oder weniger im Eilverfahren „durchgewunken“, wenn auch mit vereinzelten Abstrichen. Das ist schon enttäuschend, passt aber zur relativ geringen Anteilnahme während der Phase der Antragstellung und Koordination bei den Mitgliederforen, danke an die „sechs Verrückten“, die das praktisch im Alleingang erledigt hatten. Wenigstens reichte die Konzentration noch, um den Antrag auf Einführung der Online-Abstimmung mit großer Mehrheit abzuschmettern.

Drei Tage sind seit der Mitgliederversammlung vergangen, der Aufsichtsrat hat sich konstituiert. Viel Erfolg und eine glückliche Hand für den neuen Vorsitzenden Rainer Lemmer und vor allem die Hoffnung, dass er oder einer seiner Mitstreiter nicht in einem Jahr als nächste Sau durchs Dorf getrieben wird. Ich glaube, alle sind sich einig, dass unser Verein keinen Bedarf mehr an Veranstaltungen dieser Qualität hat. Es bleibt zu hoffen, dass die persönlichen Querelen endlich aufhören und gemeinsame Sacharbeit im Interesse des Vereins in den Vordergrund tritt.

Und nun darf die Mannschaft auch gern mal wieder ein Spiel gewinnen!

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