Es raschelt … nein, es rauscht gewaltig im deutschen Blätterwald, die Monitore der Welt senden stroboskopartig Blitzgewitter in die Atmosphäre hinaus. Was ist passiert? Drei junge Deutsche sind in Santiago de Chile bei der grafischen Gestaltung eines Metro-Waggons erwischt worden. Das ist ärgerlich für die drei, man darf aber davon ausgehen, dass ihnen Risiken und mögliche Konsequenzen ihres Hobbys durchaus bewusst sind.
Das mediale Echo ist, wie eingangs erwähnt, gewaltig, die Sensationsmeldung beherrscht bei den „Privaten“ vorübergehend die Titelseiten – gleichrangig neben Meldungen aus aller Welt über Kriege, Krisen, Hunger und Flucht, auf „Augenhöhe“ sozusagen, um mal diese idiotischste aller Fußball-Metaphern zu verwenden, ein Fußballbezug ist ja durchaus gegeben.
Den journalistischen Vogel abgeschossen hat allerdings – wieder einmal – ein an sich „kleineres“, deshalb jedoch nicht weniger ärgerliches lokales Medium. Kenner der Medienlandschaft um den F.C. Hansa wissen – es ist die „Ostseezeitung“, hier das Onlineportal „Sportbuzzer“. Reißerisch triumphierend heißt es da:
(Screenshot OZ Sportbuzzer, zum Artikel bitte auf das Bild klicken)
Reicht normalerweise schon die Überschrift aus, die Nachricht in die richtige Schublade zu packen, geht man auf Nummer Sicher und beginnt den Text mit den Worten „Drei Anhänger des FC Hansa Rostock …“. Selbstverständlich erscheint der Text in der Rubrik „Vereinsnews“, ist ja auch ganz klar eine Vereinsangelegenheit.
Der Verfasser schafft es, auf engstem Raum Graffiti und Gewalt nicht nur zu vermischen, sondern sogar einen kausalen Zusammenhang zwischen beidem derart dramatisch herauszuarbeiten, dass selbst der Landesinnenminister stolz wäre. Dabei wird ein Bogen vom aktuellen „Fall“ zum inzwischen allseits bekannten Osttribünen-Wandbild im Ostseestadion geschlagen, das 2014 beim Spiel gegen Rot-Weiß Erfurt feierlich präsentiert wurde (siehe Titelbild oben). „Wir haben es ja damals schon gesagt“, springt es uns unausgesprochen zwischen den Zeilen entgegen, die logische Schlussfolgerung des OZ-informierten Lesers kann nur lauten: Hätte die damalige Klubführung (der Dahlmann und seine Ultras wieder!) das Wandbild nicht zugelassen, könnten die Waggonreiniger in Santiago heute früher in den Feierabend gehen.
Natürlich darf da ein Statement unseres bereits erwähnten Innenministers nicht fehlen. Die zitierten Worte haben zwar nichts mit dem aktuellen „Fall“ zu tun, sind aber in ihrer schlichten Universalität zeitlos schön und für jeden Anlass passend. Ohnehin geht bei Interviews der Trend zur Zweitverwertung.
Es gehört zum journalistischen Handwerk, immer klar zwischen Meldung und Meinung zu trennen, was ebenso regelmäßig, wie auch in unserem Beispiel hier, misslingt. Damit der Leser immer weiß, wie er einen Sachverhalt zu werten hat, gibt es beim Sportbuzzer sicherheitshalber kleine Hilfsmittel zur Orientierung, die sogenannten Hot Buzzer. Da wird unter anderem unterschieden zwischen „Läuft!“, „Peinlich!“ oder „#FAIL“. Den passenden Buzzer auszuwählen, scheint gar nicht so einfach zu sein, so wird ein Bericht auf dieser Seite über das Trainingslager des FC Mecklenburg Schwerin als „PEINLICH!“ gebuzzert, ohne dass aus dem Text hervorgeht, was daran nun peinlich ist, oder Neuzugänge beim Malchower SV werden mit „WTF“ angekündigt. „KRASS!“
Bei schlechten Nachrichten zum F.C. Hansa und seinen Fans ist das allerdings leichter, wie man sieht:
(Screenshot OZ Sportbuzzer)
Im letzten Absatz gibt es beinahe so etwas wie ein „Happy End“, wobei ich mich frage, ob ich da eine leise Enttäuschung mitlese? Aber das ist jetzt sicher böswillige Unterstellung meinerseits, wie auch die bei wortwörtlichem Lesen erscheinende Interpretation, Züchtigung mit dem Stock wäre in Deutschland eine gängige Bestrafungsform. Kleiner Tipp: Weniger missverständlich wäre es, im letzten Satz zu schreiben, die beiden Leipziger „waren … [dort] … zu neun Monaten Haft und Stockhieben verurteilt worden.“ Da sieht man mal, wie sich sprachliche Sorgfalt unter Umständen auf Gesundheit und Wohlbefinden auswirken kann.
(Screenshot OZ Sportbuzzer)
Ich bin gespannt, wann die ersten Aufforderungen zur Distanzierung an den Verein gehen, oder ob es wieder Statements von allen möglichen Seiten hagelt. Einen Zug zu bemalen, ist nicht gesetzeskonform, und – damit keine Missverständnisse entstehen – ich wäre persönlich auch nicht begeistert, wenn mein Eigentum ungefragt so verziert würde. Die jetzt aber einsetzende Skandalisierung und Einordnung in den Gewaltkontext geht jedoch entschieden zu weit und kann so nicht hingenommen werden. Die Sprayer, denen ich vor allem eine sichere Heimreise wünsche, werden mit den Konsequenzen leben (müssen), aber lasst unseren Verein da aus dem Spiel!