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Auf Wiedersehen, Boss!

2 Kommentare

Bruce Springsteen & The E Street Band World Tour 2023

München, Olympiastadion, 23. Juli 2023

Die Tage nach dem furiosen Abend von Hamburg sind schnell vergangen, noch nie war für mich die Wartezeit zwischen zwei Springsteen-Konzerten so kurz (der „Rekord“ lag bisher bei drei Wochen während der The Rising Tour 2003). Das ist ganz praktisch: Die Nach-Konzert-Euphorie ebbt nicht ab und trägt mich über die Zeit bis zur erneuten Abreise. Selbst ein langfristig geplanter Besuch bei meiner Zahnärztin verliert trotz notwendiger „Maßnahmen“ seinen Schrecken, es ist, als hätten sich die medizinischen in Musikinstrumente verwandelt: „Bohr’n in the …“ oder vielleicht „they can’t hurt you now“? Okay, Schluss mit den schlechten Wortwitzen!

Zwischendurch meldet sich leise die Sorge, dass bei einem solchen „Double“ beide Shows im Langzeitgedächtnis „verschmelzen“ und vielleicht die Einzigartigkeit des Erlebten verloren geht. Das muss die Zukunft zeigen, ich bin aber zuversichtlich, dass es nicht so weit kommt, wo ich mich doch immer noch an viele Details aller von mir besuchten Konzerte erinnere. Jetzt hilft die Vorfreude auf München erst mal dabei, mich (noch) nicht im „After Bruce Blues“ angesichts meiner möglicherweise letzten „persönlichen“ Begegnung mit dem Boss zu verlieren.

Mein Quartier befindet sich bei lieben Freunden in Augsburg, die mich freundlicherweise bei ihrer Heimreise vom Ostseeurlaub in Schwerin einsammeln. Dabei besuchen wir unterwegs als Warm-up ein kleines Open Air am Freitag in Flörsheim am Main und am Sonnabend ein großes am Alten Schlachthof in Wiesbaden.

Das erspart mir eine Bahnfahrt (hin) und zwei Hotelübernachtungen in München, aber wirklich wichtig ist für mich die ortskundige Begleitung im dichten Getümmel zwischen U-Bahn und Stadion vor und nach dem Konzert. Vielen Dank nochmal an die „Zähne“, ich werde mich irgendwann revanchieren.

In the crowd I feel at home

Natürlich ist das Olympiastadion ausverkauft, es sieht jedenfalls schwer danach aus. Auf dem Weg zum Einlass begegnen uns mehr Ticket-Suchende als -Anbieter. Die Menschenmenge im Innenraum und auf den Rängen ist kaum zu überschauen, irgendwo habe ich die Zahl 70.000 aufgeschnappt, einfach gigantisch. Wie schon vor einer Woche in Hamburg kocht die Stimmung hoch, bevor die ersten Akkorde erklingen. Schon Bruces Anfahrt zur Bühne wird von den Tribünenplätzen, auf denen man dies beobachten kann, bejubelt und mit den in der ganzen Welt bekannten „Bruuuuuce!“-Rufen begleitet. Spätestens jetzt sind etwaige Bedenken hinsichtlich der Einzigartigkeit jeder Springsteen-Show für heute zerstreut. Die Intensität des Erlebens ergreift einfach Besitz von allen Anwesenden, egal, wer schon wie oft dabei war, ob nun dicht vor der Bühne oder weit davon entfernt.

Unser frühzeitiges Erscheinen (schon um 16:30 durchqueren wir den gut vorbereiteten Einlass) verschafft uns einen richtig guten Stehplatz am Geländer der Absperrung rund um einen der Lautsprechertürme im mittleren Innenraum. Es gibt kein nervendes Gedränge, alle um uns herum sind tiefenentspannt. Nur das lange Stehen strengt mich mit jedem weiteren Lebensjahr mehr an. Aber wem sage ich das?

Die Sicht auf die Bühne und die Videoscreens ist gut. Am Sound habe ich diesmal gar nichts zu „mäkeln“. Die Lautsprecher für den rückwärtigen Stadionbereich hängen über unseren Köpfen, dank der Ausrichtung nach hinten droht kein Gehörschaden und ich kann dank der tollen Abmischung alles gut verstehen, mein eigenes Mitsingen eingeschlossen, natürlich unter Rücksichtnahme auf mein Umfeld, nur bei Klassikern wie THE PROMISED LAND, THE RIVER oder BADLANDS gehen mir die Pferde doch mal durch. Besser ist der Klang wahrscheinlich nur im FOS-Bereich, auch wenn den Leuten dort meine „Sangeskunst“ entgeht. Irgendwas ist ja immer.

Die Show

Bruce und Band sind erneut in allerbester Stimmung und Spiellaune. Da stört es nicht wirklich, das nahezu identische Programm wie in Hamburg noch einmal serviert zu bekommen, was aufmerksame Verfolger der bisherigen Tourberichte sowieso nicht überrascht. Mit den beiden „Neuzugängen“ hat Bruce eine tolle Auswahl getroffen: TRAPPED und JOHNNY 99. Ich hätte gern noch ein oder zwei Songs von „TUNNEL OF LOVE“ dabeigehabt. Das wird wohl auf die nächste Tour warten müssen.

Da sind wir bei einer Frage, die sich wohl sehr viele stellen. Aufbau und Vortrag der „regulären“ Setlist 2023 deuten schon sehr auf ein Ende der großen Touren hin, auch wenn nach den kraftvollen Auftritten, die ich jetzt miterleben durfte, schwer vorstellbar ist, dass der Boss nach dem letzten Gig in San Francisco am 12. Dezember die Gitarre einpackt und sagt „Let’s call it a day!“

Schwer vorstellbar vor allem für uns, aber die auf den Screens bei Nahaufnahmen wiederholt sichtbare Rührung, besonders in emotionalen Momenten (das Klavier-Intro zu BACKSTREETS im Anschluss an LAST MAN STANDING und die Erinnerung an die Anfänge mit The Castiles), die Songauswahl und -abfolge, die besonders intensive Interaktion mit den Fans vor der Bühne, die Geschenke an sehr junge Konzertbesucher, praktisch die fünfte Generation Tramps, die das Feuer am Brennen halten werden, das sieht alles schon sehr nach Abschied aus.

Springsteen and I

Und was ist eigentlich mit mir? Da ist vor allem Freude und Dankbarkeit, dies noch einmal genossen zu haben, solange ich auch selbst noch zur Teilnahme an Events dieser Größenordnung in der Lage bin. Aber (unter uns, nicht weitersagen): Wenn entgegen allen Erwartungen doch eine Ankündigung kommt, werde ich gar nicht anders können, als mich einmal mehr in den Vorverkauf zu stürzen, irgendwie gehören wir doch zusammen. Also bin ich es jetzt wohl, der sagt:

I’ll be seeing you.

Out in the street I walk the way I wanna walk. (Leipzig, 2013)

Setlist

NO SURRENDER / GHOSTS / PROVE IT ALL NIGHT / LETTER TO YOU / THE PROMISED LAND / OUT IN THE STREET / DARLINGTON COUNTY / KITTY’S BACK / NIGHTSHIFT / TRAPPED / JOHNNY 99 / THE RIVER / LAST MAN STANDING / BACKSTREETS / BECAUSE THE NIGHT / SHE’S THE ONE / WRECKING BALL / THE RISING / BADLANDS

BORN TO RUN / BOBBY JEAN / GLORY DAYS / DANCING IN THE DARK / TENTH AVENUE FREEZE-OUT

I’LL SEE YOU IN MY DREAMS

Mehr zum München-Konzert

Freddy Wettstein

Anna Lind (englisch)

2 Kommentare zu “Auf Wiedersehen, Boss!

  1. Avatar von sori1982

    So schön, aber da ich schon 3x bei Bruce im Münchner Olympiastadion war, habe ich auf ein 4. Mal verzichtet.
    „Springsteen & I“ habe ich mir beim 2. Termin in einem Wiener Kino angesehen, die Bluray ersteigerte ich relativ günstig bei eBay und auch wenn manche Fans in den Szenen richtig verrückt sind, mitfühlen kann ich dennoch.
    In Hamburg hast Du mir noch zum Abschied gegeben, dass wir uns vielleicht wiedersehen können. Zugegeben, bis vor kurzem hatte ich nicht daran geglaubt. Aber vielleicht wird das doch was mit nextes Jahr?

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