Hanseator

Musik & Fußball

Der Junge war an der frischen Luft

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Ein Doppler im Pott, 6. April 2025, Essen (Ruhr)

Heute abend ist Hansa in der 3. Liga zu Gast bei Rot-Weiss Essen. Ich bin schon seit gestern in der Stadt und bleibe auch nach dem Spiel noch eine Nacht, das mache ich bei Auswärtsspielen in großer Entfernung oft so. Das lässt mich entspannter reisen, ich habe keinen Zeitdruck mit dem Spieltermin, wenn es mal mit einem Anschluss eng wird. Und ich gehe großen, manchmal unangenehmen „Reisegruppen“ und dem damit verbundenen Risiko, ungewollt zum Teilnehmer komischer Veranstaltungen zu werden, aus dem Wege.

Außerdem gibt mir das die Möglichkeit, neue Grounds zu “machen“. Am Anreisetag ist es dafür leider schon zu spät, also lege ich diesen Programmpunkt auf den Sonntag. Zeit ist dafür ausreichend vorhanden, ich suche mir zwei Spiele heraus, die ich in Ruhe nacheinander sehen kann.

Den Anfang macht um 11 Uhr die Kreisliga A:

DJK TuS Essen-Holsterhausen – Fortuna Bredeney 3:3, Sportplatz Pelmanstraße, Kreisliga A Essen 2

Von meinem Hotel im Stadtkern gelange ich mit der U-Bahn (5 Stationen) und einem 15minütigen Spaziergang zum Sportplatz. Die Sonnenstrahlen streicheln die Haut, es herrscht idyllische Ruhe, aber man spürt, das Stadtviertel um das Universitätsklinikum erwacht allmählich. Der Sportplatz ist hinter einer dichten Hecke den Blicken verborgen, aber plötzlich stehe ich vor dem Eingangstor.

„Ermäßigt?“, fragt der Ticketverkäufer. Ich nicke und fingere nach einem meiner Berechtigten-Ausweise im Portemonnaie. Er glaubt mir auch so. Spricht das nun für oder gegen mich? 😉 Ich bekomme ein Abrissticket von der Rolle, entdecke aber plötzlich einen kleinen Stapel gedruckter Eintrittskarten und will dafür auf die Ermäßigung verzichten. Er nimmt einfach eine und drückt sie mir in die Hand. Ich stecke ein paar Euro in den Spendenball für die Jugendabteilung. So muss dat, gelungener Auftakt, würde ich mal sagen.

Ein paar Zuschauer sind schon da, es werden insgesamt 80. Ich gönne mir noch einen Kaffee an einem Stehtisch auf der Terrasse vor der Stadionkneipe „Eckfahne“, bevor ich mich zum Aufwärmen noch ein bisschen auf eine von der Sonne beschienene Bank setze. Allmählich trudeln mehr und mehr Leute ein, es wird ein Mehrgenerationen-Event. Ältere Herren fachsimpeln, jüngere und noch jüngere Damen plaudern und albern mit den Kindern herum. Schön, so’n Sonntagvormittag an der Luft, das könnte auch die Kulisse in einem Hape-Kerkeling-Film sein, nur ohne „de Henne“ und „dat Lisbeth“. Einem der Alten wird das muntere Treiben zu bunt: „Hallo?! Dat is’n Fußballspiel, und hier wird nur gequatscht. Guckt doch mal hin! Oder setzt euch in die Eckfahne.“

Ein bisschen hat er ja recht. Es lohnt sich hinzusehen. Schon beim Auflaufen beider Teams wird musikalisch groß abgeliefert: „Zorbas“ (M. Theodorakis), gefolgt vom Triumphmarsch aus Aida (Verdi). Als Tormusik erklingt später „Sara, per che ti amo“. Was für ein Mix.

Das Spiel hält, was der Auftakt verspricht. Nach wechselhaftem Spielverlauf trennen sich die Mannschaften mit 3:3. Der Berichte-BOT von fussball.de beschreibt das so.

Für mich ist es ein schöner Vormittag, ein Spiel, das Spaß macht, mit vielen Toren, mit Wechselspielern, von denen einer beim Warmhalten hinter dem eigenen Tor lautstark das Offensivspiel seiner Kollegen am entfernten Strafraum gegenüber dirigiert und kommentiert, dass man sich zwangsläufig fragt, wieso der Stratege nicht selbst auf dem Platz steht. Es „fetzt“ einfach dabei zu sein, wie wir als Kinder zu sagen pflegten.

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Nach dem Schlusspfiff mache ich mich gleich auf den Weg zum nächsten Spiel (Anpfiff um15 Uhr), es geht zu Fuß und mit dem Linienbus ein paar Spielklassen nach oben, in die Oberliga Niederrhein:

ETB Schwarz-Weiß Essen – SSVg Velbert 0:0, Uhlenkrugstadion, Oberliga Niederrhein

Das Uhlenkrugstadion gefällt mir optisch gut, mit überdachter Sitztribüne, auf der es aber gewaltig zieht, und Stehplätzen auf der Gegengeraden, die fließend in die großzügig dimensionierte Kurve übergeht, schön oldschoolmäßig und sonnenverwöhnt.

Zwischen Spielfeld und Zuschauerrängen befindet sich eine asphaltierte Fläche, die demnächst durch eine Laufbahn ersetzt werden soll, so habe ich das verstanden. Es heißt ja allgemein, dass sich eine Laufbahn zwischen Rasen und Tribünen nachteilig auf die Atmosphäre im Stadion auswirkt. Davon ist beim Spiel von Schwarz-Weiß gegen Velbert nichts zu merken, es gibt nämlich gar keine Stimmung, abgesehen von empörten Kommentaren und Zwischenrufen, Pöbelei nach allen Regeln der Kunst.

Punkte muss ich leider für die Musik vor dem Spiel abziehen. Es kommen ein paar Lieder zu Gehör, teils bekannt, bei denen Texte der Kategorie „Irgendwas mit schwarz-weiß, Hauptsache reimt sich“ aufgepresst wurden. Trauriger Höhepunkt ist eine umgedichtete Version des Pocher-Songs, der früher bei der Nationalmannschaft gespielt wurde. Wie sagt ein berühmter eiserner Hopperkollege immer? Hoppen muss weh tun. Stimmt, das tut es gerade. Und jetzt alle: „Schmerz und weiß …“

Das alles ist ausdrücklich nicht wertend von mir gemeint, ich hatte einfach nur andere Erwartungen an einen alteingesessenen Verein wie Schwarz-Weiß Essen, Gründung 1900, wo schon der Name so schön nach Ruhrpott und Fußballtradition mit allem Drum und Dran klingt. Also habe ich mir eine kompetente Meinung eingeholt:

„Der Uhlenkrug war mein erstes Stadion, ich komme ja aus dem Süden. Ich war ETB, bevor ich zur Hafenstraße kam. Allerdings gibt’s keinen lebenden Menschen, der von Stimmung am Uhlenkrug berichten kann. Voll war’s da noch nicht mal in der 2. Liga.“

Vielen Dank an meinen RWE-Bloggerkollegen Catenaccio 07.

Das Spiel passt sich dem Umfeld an, endet leistungsgerecht und auch in der Höhe verdient 0:0. Wir (einer meiner Begleiter zum abendlichen Hansa-Spiel ist inzwischen zu mir gestoßen) sind froh, als es endlich vorbei ist, und ergreifen sofort mit dem Schlusspfiff die Flucht, aber nicht vor dem Ground, denn ein schönes Stadion ist es ja, aber wenigstens wollen wir von den letzten Sonnenstrahlen des Tages noch etwas Wärme abbekommen. Und wir müssen ja noch durch dichtes Verkehrsgetümmel zu Hansa an die Hafenstraße, wo ich zugleich den dritten neuen Ground kreuzen kann, so dass ich am Ende doch drei Punkte mit nach Hause nehmen kann. Wer sagt’s denn?

Erkenntnis des Tages: Es geht auch ohne „modernen“ Fußball.

Damit verabschiede ich mich in die Osterpause. Bis dann!

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