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Tour de Trance

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In eigener Sache: Zeiten wie diese II

Am 27. Oktober 2023 sind genau 5 Jahre vergangen seit dem Tag, an dem mein Leben eine jähe Wendung nahm und für mich alles anders wurde. Anlässlich des „Jubiläums“ möchte ich versuchen, ein bisschen Aufarbeitung und „Loslassen“ zu betreiben:

  • Krankheit und Behandlung,
  • ein gescheiterter Rückkehrversuch in die Lohnarbeit, wie ich dabei unterstützt und „unterstützt“ wurde, alles aus meiner „Arbeitnehmer“-Perspektive, und was das „mit mir machte“.

Gleich vorab: Stand heute bin ich rezidivfrei (das war nicht durchgängig sicher und wird weiterhin regelmäßig kontrolliert, dazu später mehr). Ich bin schwerbehindert, kann nicht mehr arbeiten und beziehe Erwerbsminderungsrente. Heute steht erst mal „der Tag“ im Blickpunkt.

27.10.2018

In Kurzfassung: Als ich allein im Auto von Schwerin nach Neuenkirchen (Vorpommern) zur Hochzeit meiner Tochter unterwegs war, erlitt ich kurz vor dem Ziel einen epileptischen Anfall. Ein aufmerksamer Anwohner hatte meine Situation erfasst und den medizinischen Notdienst verständigt. In der Greifswalder Universitätsklinik wurde ein Hirntumor diagnostiziert, ich wurde operiert und mit Bestrahlung und Chemotherapie ambulant weiterbehandelt, zunächst bis August 2019. Ausführlicher ist diese Zeit in diesem Beitrag beschrieben.

Im Prinzip seit meinem dauerhaften Wiedererwachen in der „Stroke Unit“ „triggert“ mich von Zeit zu Zeit der Gedanke, dass mir von dem Tag, an dem es geschah, ein paar Stunden „Film“ fehlen, was mich bis heute verfolgt und wahrscheinlich nicht aufhören wird. Wie absurd: ich werde daran erinnert, dass ich mich an nichts erinnere?!

Ein Blitz aus heiterem Himmel?

Der Anfall, dem die Diagnose „Hirntumor“ folgte, kam ohne langfristige „Vorwarnung“, wie vielleicht Kopfschmerzen, Schwindel, Bewegungseinschränkungen, Sprachstörungen, ungewöhnliche Müdigkeit oder Erschöpfung. Wobei … ich erinnere mich an Momente, in denen ich im Büro mittags fast eingeschlafen wäre, was ich aber auf meinen Lebensrhythmus schob: Schichtarbeit, lange Fußballtouren quer durch das Land, oft selbst am Steuer, und mit allem verbunden viel zu wenig Schlaf.

Es gab schon während der Fahrt zur Hochzeit kurzfristige Signale meines Körpers, die ich damals zwar irgendwie wahrnahm, aber offenbar schon nicht mehr richtig einordnen bzw. notwendige Handlungen daraus ableiten konnte. Und doch habe ich noch heute den genauen Ort vor Augen, wo es losging: auf der Autobahn A20, in Fahrtrichtung Osten, Höhe der Ausfahrt Rostock-West. Ich spürte plötzlich seltsame „Vibrationen“ in meinem Brustkorb, die sich anfühlten wie schwache elektrischer Impulse und das Herz im Rhythmus der von mir gehörten Musik mein Blut durch den Körper pumpen ließen, als wäre meine Hauptschlagader eine Bass-Saite. Es lief gerade Flogging Molly, „If I ever leave this world alive“, ohne Mist. Da sage noch jemand, Gott (falls es sie/ihn gibt) hätte keinen Sinn für Ironie.

In der Medizin werden verschiedene Symptome oder Anzeichen eines bevorstehenden Schlaganfalls mit dem Sammelbegriff „Aura“ zusammengefasst, den ich nun, nach eigenem Erleben, ziemlich passend finde: Irgendetwas passiert gerade in mir, keine Ahnung, was es soll, ist aber bestimmt nichts gutes. Alarmsignal!

Lost in Trance

Zu diesem Zeitpunkt war ich also noch „voll im Bilde“, zumindest hatte ich die Kontrolle über das Fahrzeug und wusste genau, wo ich gerade war, zumindest bis kurz vor Greifswald, wo ich zwar immer noch „funktionierte“, aber meine Weiterfahrt bereits eine potenzielle Gefahr für mich selbst und andere darstellte. Ohne mir dessen bewusst zu sein, bog ich an jeder Kreuzung oder Einmündung rechts ab, bis ich dann am Ort meines Zusammenbruchs ankam, das konnte ich später anhand der GPS-Aufzeichnung einer mit dem Fahrzeug gekoppelten App nachvollziehen.

. Ich hatte zwar eine innere „Ahnung“, dass etwas „faul“ sein musste, setzte aber meine Fahrt fort, ich wurde ja erwartet. Ich verspürte dabei eine Art Drang, meine Familie anzurufen und zu sagen, ich bin gleich da, obwohl es dafür „eigentlich“ keinen Grund gab, schließlich lag ich gut im Zeitplan, während ich gleichzeitig damit rechnete, dass jeden Moment mein Telefon klingeln würde. War das irgendein metaphysischer Hokuspokus, den mein Gehirn mit dem Unterbewusstsein veranstaltete, weil es den „Eindringling“ bemerkt hatte und mich stoppen wollte? Wer weiß das schon?

Meine letzten bewussten Erinnerungsfetzen sind einsetzender Harndrang nach dem Verlassen der Autobahn bei Süderholz und die Absicht, bei nächster Gelegenheit kurz anzuhalten, um die Blase zu entleeren, sowie wenige Kilometer weiter noch der Anblick des Ortsausgangsschildes von Levenhagen in Richtung Greifswald, wo die „Aufzeichnung“ endet.

War ich von da an wie ein „Zombie“ unterwegs oder ist nur mein „Cache“ durch den Anfall „gelöscht“ worden? Ich werde das wohl nie erfahren. Aber es wird mich in irgendeiner Form immer begleiten.

Was mich auch nicht loslässt, ist die Zeit nach dem (vorläufigen) Abschluss der Therapie Ende 2019, auf die ich in einem späteren Beitrag eingehen werde:

2020/21 mit Wiedereingliederungsversuch und origineller „Willkommenskultur“, neuem Verdacht, nochmaliger Therapie, Reha (Teilhabe) und Rentenverfahren, all das im Schatten der Pandemie, und wie ich das erlebt habe.

Dauerhafte Folgen und deren Auswirkungen auf meinen Alltag (Mobilität, Prosopagnosie)

… wird fortgesetzt.

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