Rot-Weiss Essen – F.C. Hansa Rostock 2:1, 6. April 2025, Stadion an der Hafenstraße, 3. Liga, 31. Spieltag
Vorspiel: „Alte Schalker“ reloaded?
Ich bin erst zum zweiten Mal in Essen, das erste war am 30. April 2007. Auskenner wissen: Das war die „Brandnacht von Essen“, die im virtuellen Hansa-Gedächtnis untrennbar mit der urbanen Legende des Mitwirkens „alter Schalker“ verknüpft ist. Das Heimpublikum besang uns damals als „Abschaum der Liga“, was vermutlich von dem einen oder anderen sogar als „Kompliment“ aufgefasst wurde.
Um es klarzustellen: Dass ich mich heute mehr oder weniger halbironisch „verklärt“ an diese Zeit erinnern kann, ist ausschließlich meiner Wahrnehmung zu verdanken, dass bei dieser Aktion, soweit mir bekannt ist, niemand ernsthaft verletzt wurde, was aber nicht das Verdienst der damals Handelnden ist. Da haben einfach alle Glück gehabt. Zum Glück ist das nun Schnee von gestern.
Und doch sorgt 18 Jahre später die Aktualität dafür, dass ein Spiel RWE gegen Hansa, die sich beide genau zum sechsten Mal in 32 Jahren in einem Ligaspiel gegenüberstehen, amtlich als „hochriskant“ eingestuft wird. Respekt und „Dank“ an alle Akteure, die dazu beigetragen haben. Dass da offenbar auch Rot-Weisse involviert sein sollen, macht es nicht besser, ist aber auch nicht mein Thema.
Risiko!
Ich sehe das Spiel außerhalb des Gästeblockes, was ich seit ein paar Jahren möglichst überall so zu handhaben versuche. Heute ist es Block E4 auf der Gegentribüne, weit oben, mit guter Sicht auf den Platz und auch für die eigene „Sicherheit“ eine gute Wahl: Rücken und linke Flanke safe, untere Reihen und rechte Seite ohne Aufwand immer im Blick. Ist aber auch eine insgesamt friedvolle Umgebung, einziges Nervpotenzial verströmt ein Sitznachbar, der unter Ausnutzung der späten Anstoßzeit und des langen Sonntages wohl das „Vorglühen“ übertrieben und dann im Stadion einfach weitergemacht hat, zum Leidwesen derer, die als Sturzpolster herhalten oder seine verschütteten Getränke aus ihren Klamotten waschen müssen.
Mein Dank für die Begleitung vor Ort gilt C&C, die schon vorher beim Ticketkauf das „PLZ-Problem“ spielend umgingen und für meine sichere Ankunft an der Hafenstraße und später wieder im Hotel sorgten, allein wäre ich meinem schlimmen Albtraum ausgeliefert gewesen: Nachts in einer fremden Stadt desorientiert unterwegs sein.
Tag des begleiteten Toilettengangs
Das Vorspiel-Entertainment im Stadion nehme ich als angenehm unaufdringlich wahr. Ich stelle fest, als Verein mit respektabler Historie und sportlicher Relevanz verfügt RWE über jede Menge eigener Lieder, die sich auch als gegnerischer Anhänger ohne Nebenwirkungen weghören lassen. Ein Lied widmet sich der Frage „Was heißt RWE?“ das finde ich doch ein bisschen anstrengend, auch musikalisch, aber geschenkt, ich gehöre ja auch nicht zur Zielgruppe.
Etwas intensiver wird es mit der Verlesung der Teamaufstellungen. Es wird das 70jährige Jubiläum der Deutschen Meisterschaft bejubelt, ergänzt durch den Hinweis: „Die Gäste feiern heute den Tag des begleiteten Toilettengangs“. Was für ein Brüller! Wenn der wüsste, dass ich, zum Beispiel, dort nie allein hingehe. Egal, wenigstens hat er es nicht gesungen. Danke dafür.
Beeindruckend finde ich die unzähligen akustischen Werbebotschaften, in die jedes noch so kleine Ereignis verpackt werden kann, nun muss ich wohl in Zukunft bei Auswechselungen immer über meinen Stromanbieter nachdenken. Sehr subtil, ich danke Sie!
Das Spiel
Wie immer, nur wenig von mir zum Sport. Im Schnelldurchlauf: Gute Anfangsphase für Hansa, sogar mit schneller „Belohnung“, das auch noch durch einen „Ausgerechnet“-Spieler. Geht erst mal so weiter. Als ich gerade zu meiner Nachbarin sagen will, dass Essen ganz schön von der Rolle ist, erobert Arslan im Mittelfeld den Ball …
Alles danach habe ich vergessen. Ihr hoffentlich auch.
Die Diskussionen über ausgewählte Entscheidungen bekomme ich erst später und eher beiläufig mit, das nennt man wohl die Gnade der weiten An- und Rückreise. Ich schaue mir noch ein paar „Highlight“-Videos an, die gewisse Zweifel nähren, muss aber nun mal akzeptieren, dass der Schiri nach eigener Wahrnehmung urteilen muss und dies auch tut. Dass es in dieser Liga keinen VAR gibt, empfinde ich dennoch als einen Segen für das Spiel. Außerdem hat sich das ein lokaler Journalist extra nach dem Spiel nochmal angesehen und via „Social Media“ bestätigt, dass alles seine Richtigkeit hatte. Na, dann ist doch alles gut.
Im Übrigen ist es ja wohl völlig normal, dass gerade der verantwortliche Trainer der unglücklich unterlegenen Mannschaft nicht ganz so entspannt urteilt. Stellt euch einfach meinen „Lieblingstrainer“ Claus-Dieter W. nach so einem Spielverlauf vor. Das ist also kein „Herumheulen“ oder gar „Toben“, wie ich in einem regionalen Qualitätsmedium lesen durfte. Kommt alle mal ein bisschen runter. Vielleicht ja so:
Das Blitzinterview
Beim Verlassen des Stadions spricht mich von der Seite ein junger Mann an und hält mir ein Mikrofon mit rötlich schimmerndem Windschutz vors Gesicht: „Darf ich Ihnen für Radio Essen eine Frage stellen?“ Natürlich darf er: „Hätte das heute auch ohne den Elfmeter geklappt?“
Meine Antwort „AUF KEINEN FALL!“ erwischt ihn kalt. Mit geweiteten Pupillen schaut er mich ratlos an, das beste WTF-Gesicht, in das ich je blicken durfte. Könnte ich mir stundenlang ansehen, aber ich erlöse den Armen nach einer halben Sekunde inneren Genusses: „Ich bin für Hansa Rostock. Glückwunsch an RWE, vielleicht sehen wir uns nächste Saison wieder.“ Dann schreite ich erhobenen Hauptes von hinnen. Ich wüsste so gern, ob es meine tiefgehende Analyse ins Radioprogramm geschafft hat.
Nun muss ich doch nochmal kurz auf die „Schiri-Diskussion“ zurückkommen. Unser Trainer (nochmal: Der steht wenige Minuten nach dem Spiel voll unter Strom!) erwähnt während der Pressekonferenz eine …
„Tabelle der Fehlentscheidungen“
Häh?! Was soll das sein? Wer pflegt diese „Statistik“? Gibt es wirklich Leute, die so etwas ernst nehmen?
Vor zwei Jahrzehnten gab es bei der „Blutgrätsche“ die „Wahre Tabelle“, aber sicher wäre niemand, schon gar kein Offizieller, auf die Idee gekommen, darauf Statements für die eigene Außendarstellung aufzubauen.
Jetzt kommt das von „Transfermarkt“. Ich will ja nicht behaupten, das sei halbgare Springerscheisse, aber es IST halbgare Springerscheisse. Nicht ohne Grund reitet gerade der Vertreter einer gewissen „Zeitung“ in jeder PK darauf herum, beispielsweise in der PK vor dem Osnabrück-Spiel mit der Frage, ob denn erwogen würde, mit dieser Tabelle beim DFB vorstellig zu werden.
Bei uns im Verein werden bei jeder Gelegenheit „rote Linien“ gezogen, manchmal sogar überschritten. DAS ist auch eine.
Routine
Mein Ausflug ins Ruhrgebiet war lange vorausgeplant. Mit dem Stadion an der Hafenstraße kann ich den letzten, mir noch fehlenden, Ground der 3. Liga „machen“. Dass die Terminierung auf Sonntagabend ein Schlag ins Gesicht jedes Stadiongängers (und jeder Gängerin) ist, wird den Vordenkern dieser Spieltagsgestaltung eines Tages auf die Füße fallen, davon bin ich überzeugt.
In unserem Fall handelt es sich um einen gezielten Schlag, das ist bekannt. Dass sich die Auswirkungen auf die Zahl der anreisenden Fans in Grenzen halten, übrigens auch. Na und? Dann eben „spontane Routinekontrolle“. Die Sperrung einer Bundesstraße eigens zu diesem Zweck ist schon eine neue Qualität der Wegelagerei.
Funfact: Während meiner Heimreise per Bahn am Montag kommt es wegen einer Störung zu weiträumigen Streckensperrungen und in deren Folge zu einer Art „Zugstau“ im Norden. Mein ICE muss eine ganze Weile irgendwo in der Nordheide warten. Ich rechne minütlich damit, dass sich das plötzlich auch als „Maßnahme“ entpuppt und sich „Superrecognizer“ durch den Zug schnüffeln, als die Durchsage des Zugchefs die Situation erklärt: Störung in Hamburg-Altona. Glück gehabt!
Und sonst?
Ich habe den langen Sonntag natürlich nicht nur im Liegen verbracht, sondern die Zeit genutzt, noch ein paar Groundpunkte zu sammeln, nämlich am Sportplatz Pelmanstraße und im Uhlenkrugstadion. Dazu gibt es einen gesonderten Beitrag. Jetzt ist aber erst mal „englische Woche“ angesagt.