VfL Osnabrück – F.C. Hansa Rostock 1:1, Stadion an der Bremer Brücke, 31. März 2018
Ob es in Osnabrück wohl jemals ein ganz „normales“ Spiel für uns geben wird?
Am Anfang läuft es völlig entspannt, beinahe idyllisch. Nach Bilderbuchanreise ohne Hindernisse biege ich kurz vor 12 Uhr in die Osnabrücker Poststraße ein, freundliche Ordner und Polizisten weisen mir den Weg zum Gästeparkplatz. Noch sind nicht allzu viele Fans eingetroffen, ich gehe gleich zum Gästeeingang. Dort ist bereits der Einlass im Gange, vor der angekündigten Zeit. Sieht aus, als wolle man Szenen wie im letzten Jahr vermeiden, als die letzten Hansafans erst mit dem Halbzeitpfiff im Stadion waren.
Na wenn das so ist, leiste ich natürlich gern auch meinen persönlichen Beitrag zu einem stressarmen Nachmittag und begebe mich gleich nach drinnen. Wie angekündigt, muss ich meine Taschen leeren und den Inhalt in eine Ablage packen, bevor ich abgetastet werde. Immerhin darf ich, im Gegensatz zum Flughafen, den Gürtel in der Hose lassen und auch die Schuhe bleiben an den Füßen. Das Zurückpacken meiner Habseligkeiten nach der ergebnislosen Durchsuchung dauert letztlich länger als die Kontrolle, es ist denkbar, dass das später durchaus für Verzögerungen und Aufregung sorgen könnte.
Links am Weg ist ein gesonderter Bereich abgesperrt und mit Planen abgehängt, der laut Vorabinformation zur Begutachtung mitgeführter Materialien vorgesehen ist. Ein Fan, der gerade kontrolliert wird, tauscht ein paar Scherze mit einem draußen wartenden Freund aus, der übrigens über die Plane hinweg den Kontrollbereich einsehen kann, das ganze läuft unter dem Stichwort „Transparenz“. Aber auch das könnte später durchaus ein Auslöser für Unruhe werden.
Und doch geschieht vorerst nichts. Ich suche mir einen Platz links oben im Gästeblock, mit guter Sicht zum Spielfeld und auf die benachbarte Haupttribüne. Weitere Fans, die nach und nach die Plätze um mich herum einnehmen, berichten von einem sehr entspannten Einlass. Unten am Zaun werden inzwischen die Fahnen aufgehängt, das deutet darauf hin, dass offenbar auch die mitgebrachten Fanutensilien ohne Probleme ins Stadion mitgenommen werden durften. Na also, wer sagt‘s denn? Jetzt muss „nur noch“ die Mannschaft mitspielen – in jeder Hinsicht.
Plötzlich ist es mit der Idylle vorbei. In den nächsten Minuten nehmen die Dinge im und um den Gästeblock herum eine sehr unerfreuliche Wendung, in deren Ergebnis sich gut ein Drittel der angereisten Hanseaten entschließen wird, den Block zu verlassen. Was ist geschehen? In den einschlägigen regionalen Medien liest sich das wie folgt:

Screenshot NDR, 31.03.2018, 15:56 Uhr, zum Artikel



Screenshots NOZ, 31.03.2018, 18:49 Uhr, zum Artikel
Ich selbst kann zu den Ereignissen außerhalb des Stadions nichts sagen, da ich mich im Gästeblock aufhielt. Was sich dort jedoch abspielte, stellt sich für mich deutlich anders dar, als es in den oben abgebildeten Beiträgen zum Ausdruck kommt:
Auf dem Platz ist das Aufwärmen der Mannschaften im vollen Gange, in der Ecke zwischen West- und Nordtribüne werden die letzten Fahnen am Zaun befestigt, im Block sehe ich einen Hansafan und eine Person mit Ordnerweste. Letzterer bewegt sich auf den Fan zu und beginnt, als dieser sich umdreht, ohne ersichtlichen Anlass mit den Fäusten auf ihn einzuschlagen. Der Fan wehrt sich, als der Vorfall im Block bemerkt wird, eilen einige Fans ihrem Kameraden zu Hilfe. Es kommt zu Handgreiflichkeiten, bis weitere Ordner ihren Kollegen (?) aus dem verschlossenen Bereich holen, auf die Nordtribüne bringen, ihm dort die Weste ausziehen und ihn dann aus dem Stadion begleiten. Ein Polizeitrupp bezieht Stellung im Eckblock und beobachtet die weitere Entwicklung von da aus, ohne selbst aktiv zu werden, bis die Beamten ein paar Minuten später in Richtung Gästeeingang abgezogen werden.
Kurz vor Spielbeginn werden die Zaunfahnen abgenommen, es folgt eine kurze Ansprache des Vorsängers, der die Entscheidung der aktiven Szene bekannt gibt, den Block zu verlassen, und dies begründet. Niemand wird bedrängt oder gar gezwungen sich anzuschließen, es wird um Verständnis für die Entscheidung geworben. Und, das ist mir wichtig, es gibt hier keinerlei Aufruf zu wie auch immer gearteten Aktivitäten, die Grundaussage ist: Wir lassen uns so nicht behandeln. Alles in allem – bis hierhin ein aus meiner Sicht angemessener Umgang mit der Situation.
So weit zu dem, was ich mit eigenen Augen gesehen habe, ab hier folgen persönliche Schlussfolgerungen und Wertungen, die nicht zwangsläufig zutreffen müssen.
Ich weiß nicht, ob der Ordner zum ersten Mal eingesetzt war, oder ob er vorher nie im Gästebereich zu tun hatte. Dessen ungeachtet sollte beim Fußball eingesetzten Ordnungsdiensten bewusst sein, dass Fans jegliches Geschehen im unmittelbaren Umfeld ihrer Fahnen mit allerhöchster Aufmerksamkeit wahrnehmen und schon die bloße Annäherung unbekannter Personen als Angriff empfinden (können), gerade auswärts. Dass da auch eine Ordnerweste nicht zwingend für Entspanntheit sorgt, dürfte spätestens seit dem jüngsten Fahnendiebstahl beim Spiel Köln – Mönchengladbach jedem klar sein.
Warum sich der Ordner überhaupt allein in den Block begeben hat, erschließt sich mir auch nicht. Ein Fehlverhalten des Fans unmittelbar vor dem Vorfall war nicht zu erkennen, unabhängig davon waren ja auch im Innenraum noch Hansafans mit den Fahnen beschäftigt. Aber selbst wenn es einen Grund gegeben haben sollte, gegen den einzelnen Fan vorzugehen – welcher erfahrene Ordnungsdienst schickt in einem solchen Fall einen Kollegen allein und ohne Sicherung vor? Lag möglicherweise ein persönliches Motiv vor? (Achtung, Spekulation!)
Ein paar Anmerkungen zum Verhalten der Fans: Fakt ist, und das werden zahlreiche im Stadion befindliche Augenzeugen hoffentlich auch so erlebt haben, im Stadion gab es bis zu dem beschriebenen Vorfall keine zu beanstandenden Aktivitäten seitens der angereisten Hansafans. Die Ereignisse am Einlass und dort folgende Konflikte mit Polizei und Ordnungsdienst kann ich nicht bewerten, ich möchte lediglich festhalten, dass gewaltsame Auseinandersetzungen prinzipiell abzulehnen sind. Ebenso wenig stellt der Vorfall im Eckblock eine Begründung für die Eskalation dar, selbst wenn er deren Auslöser oder Katalysator gewesen sein mag.
Scharf zu verurteilen ist die erneute Brandstiftung und Zerstörung sanitärer Anlagen im Gästebereich. Das ist das Allerletzte und komplett asozial, dafür gibt es nicht die geringste Rechtfertigung. Ein solches Verhalten ist sowas von abartig, dass ich mir schon blöd vorkomme, eine solche Feststellung überhaupt formulieren zu müssen: Man zündet nichts an! Punkt!
Es gibt im Verlauf des Spiels, das übrigens 1:1 ausgeht, noch einen weiteren Aufreger. Als in der 72. Minute Amaury Bischoff eingewechselt wird, richtet sich ab sofort die fokussierte Ablehnung des Heimpublikums auf diesen Spieler, der nun bei jedem Ballkontakt ausgepfiffen und übel beschimpft wird und sich eigener Gesänge „erfreuen“ darf, wie „Bischoff, du A***!“ oder „Alle auf die 10!“. Als unser Kapitän (und Geburtstagskind) einen abgewehrten Ball aus Nahdistanz mit voller Wucht ins Gesicht bekommt, ist der Jubel auf allen Tribünen mindestens genauso groß wie beim Ausgleich, das Publikum fordert: „Zugabe!“
Wenn man das so miterlebt, fragt man sich natürlich zu Recht, ob die noch alle Latten am Zaun haben? Aber abgesehen davon, dass es so etwas in allen Stadien gibt (man denke nur an die Begeisterung, die unser Martin Retov einst für seinen Amoklauf am Millerntor erntete), hat die „Liebe“ der Osnabrücker zu Bischoff noch eine spezielle Vorgeschichte:
Beim Spiel Preußen Münster gegen VfL Osnabrück 2013 wurde der VfL-Spieler Tom Merkens durch ein brutales Foul Bischoffs schwer verletzt (Sprunggelenk gebrochen) und konnte monatelang nicht spielen. Beim Spiel beider Vereine an der Bremer Brücke 2015 eilte Merkens in der Euphorie eines VfL-Treffers in der Nachspielzeit nach dem Schlusspfiff von der Tribüne auf den Rasen (nach eigenen Angaben, um mit seiner Mannschaft zu feiern), rannte dabei geradewegs auf Bischoff zu und warf diesen zu Boden.
Amaury Bischoff ist seitdem Hassfigur Nummer 1 beim VfL. Dass das bei Fans so ist, ist nicht neu: einmal verschissen, immer verschissen. Eine etwas zweifelhafte Rolle in dieser Angelegenheit spielt der VfL. Man kann den Eindruck gewinnen, dass die Hexenjagd die Offiziellen nicht wirklich stört. Beim Hinspiel der aktuellen Saison in Rostock sah ein Beitrag auf dem offiziellen Twitteraccount des Vereins beispielsweise so aus:

Screenshot vom Twitter-Account des VfL Osnabrück, 20.10.2017, 21:46 Uhr
Der „Abschuss“ des ungeliebten Spielers bleibt diesmal allerdings im sonst minutiös getwitterten Spielverlauf unkommentiert. Immerhin.
Ex-Trainer Walpurgis meinte einst, Spiele gegen Hansa würden immer besonderen Spaß machen. Sieht so aus, als bliebe das vorerst so.