Hanseator

Musik, Fußball und manchmal auch ein bisschen Hansa

Kein Wort zum Sonntag

Ein Kommentar

Eine illustre Runde war am drittletzten Dezembertag aus Metropolen wie Rostock, Schwerin, Driedorf und Zernsdorf ins an der romantischen A10 gelegene Wildau, früherer Standort von Industriegiganten wie dem VEB Schwermaschinenbau „Heinrich Rau“, der wiederum Trägerbetrieb meines alljährlichen Sommerferienlagers in Groß Köris … ok, das führt jetzt zu weit. Es waren also Ropi, Ricarda & Pfütze, Han, Rebekka & Basti und der Autor dieser Zeilen angereist, um mit den Toten Hosen und den Broilers einen mehr als angemessenen Schlusspunkt unter das Konzertjahr 2012 zu setzen.

Die Fahrt von Wildau zur Max-Schmeling-Halle absolvierten wir  im schick designten Achtsitzer, musikalisch wurde die Reisezeit mit einem Potpourri der schönsten Punk-Gassenhauer verkürzt, zusammengestellt von unserem aufmerksamen Gastgeber Thommy, der dabei das Berufsbild des DJ neu definierte: Sobald ein Stück erkannt war, wurde die Skip-Taste betätigt. Ja, auch der Punk entwickelt sich weiter.

Unser Gefährt wurde auf Hin- und Rücktour sicher von Basti und seiner Rebekka durch den nächtlichen Moloch Berlin gesteuert – sicher gesteuert, nicht etwa weil, sondern obwohl von den hinteren Bänken aus mit Hilfe mobiler Navigationsgeräte der Kurs angegeben wurde. Das gipfelte zwischenzeitlich in Dialogen wie dem folgenden:

Nächste Kreuzung links abbiegen. Kannst aber auch geradeaus. – Wie jetzt? – Abbiegen! Aber jetzt noch nicht. – ?! – Oder nee, fahr mal doch geradeaus …

Fünf Minuten später:

Komisch, das Ding zeigt immer noch geradeaus an … ach, ich hab ja gar keine GPS-Verbindung!

Na super, das lief ja wie ein Länderspiel, also wie eins der DDR-Auswahl unter Manfred Zapf, wohlgemerkt. Nun stört so eine kleine Abweichung vom Wege im Normalfall weniger, Leute wie wir werden überall gebraucht. Aber diesmal lag die Sache anders, schließlich waren wir es, die etwas brauchten, neben dem immer näher kommenden Konzertbeginn und einer gewissen Trockenheit in der Kehle forderte die Natur bei dem einen oder anderen entschieden ihren Tribut.

Aber den Seinen gibt es der Herr bekanntlich im Schlaf, und so erkannte unser Gastgeber Thommy plötzlich ihm bestens vertraute Straßenzüge, und navigierte uns auf den letzten zwei, drei Kilometern mit traumwandlerischer Sicherheit zum Ausflugsziel. Ja, der Thommy, den seine eisernen Freunde im Wissen um seine heimliche große Liebe BFC-Torsten nennen. Nie werde ich seine feuchten Augen beim Überqueren der Cantianstraße vergessen.

Für lange Momente der Rührung war dann jedoch keine Zeit, denn nun hieß es, einen Parkplatz zu finden, ein nahezu aussichtsloses Unterfangen, in den benachbarten Straßen war selbst im Halteverbot nichts mehr frei. Blieb also nur die Flucht nach vorn, zielstrebig steuerten wir den Parkplatz neben der Halle an, an dessen Einfahrt ein freundlicher, hilfsbereiter Ordner seine lange Liste der Zufahrtberechtigten mit der noch längeren Schlange der Zufahrtwilligen abglich.

Wahrscheinlich überrascht es jetzt niemanden, dass unser Fahrzeug nicht auf der Liste stand, hätten wir mal doch die schwarze Stretch-Limousine genommen. Aber wir mussten unbedingt auf diesen Parkplatz. Ich bin ja ohnehin gegen diese Sonderrechte beim Parken, da fühlt man sich immer als Bürger zweiter Klasse.

Hah! Zweite Klasse – oder am Ende gar Dritte Wahl? Versuchen kann man es ja mal, der Typ sah nicht aus wie einer, der sich in der deutschen Musikszene wirklich gut auskannte. Kommunikationsgenie Thommy übernahm die Argumentation und beschwerte sich energisch über die fehlerhafte Liste, die man dem guten Mann übergeben haben musste. Schließlich waren wir eingeladen:

Dritte Wahl aus Rostock, kennste doch, wa? Oder watt denkste, warum wir hier in so ‘ne bunte Kiste vorturnen? Allet wejen die Sozialarbeit, Koile. Vastehste?!

Koile verstand tatsächlich, wollte sich aber trotzdem Gewissheit holen, da er die Band nicht kannte, und fragte noch einmal per Funk nach. An dieser ewigen Rückversicherei beim Vorgesetzten aufgrund mangelnder Entscheidungskraft wird der Punk eines Tages endgültig zugrunde gehen.

Dabei hatte Thommy ihn bereits in der Tasche. Während des Wartens auf die Antwort entschuldigte sich unser Freund für die Umstände und zeigte sich erleichtert, dass wir wenigstens nicht auftreten müssten, das würde ja nun wirklich knapp mit der Zeit. Dann kam die Antwort: „Die Herren sind hier nicht bekannt.“ Schade, Scheiße, wie konnte das passieren? So blieb uns nur, den geordneten Rückzug anzutreten, natürlich nicht ohne der Unterhaltung mit dem gewissenhaften Ordner einen positiven Abschluss zu geben:

Jut, ditt klär’n wa denn selba. Mach da ma keen‘ Kopp, Koile, is nich deine Schuld, wa?

Bei dem ganzen Palaver war wieder eine Menge Zeit verstrichen, und so ließen wir dann unser Gefährt in der nächstbesten Lücke am Rande der Schönhauser Allee stehen und begaben uns Richtung Max-Schmeling-Halle. Vor dem Eintritt zum Konzert gönnten wir uns in verkleinerter Runde noch schnell ein kühles Getränk im „Meta“, zu Thommys großer Begeisterung gab es sogar „Berliner Cider“.

Etwa 10 Minuten vor Konzertbeginn waren wir dann endlich drin und trafen den Rest der Gang auf dem Umlauf oberhalb des Unterranges, natürlich links von der Bühne, wie es sich bei den Broilers gehört (wer sie jemals gesehen hat, kennt den Grund). Der Versuch, noch in den Innenraum zu gelangen, scheiterte denkbar knapp, zum zweiten Mal innerhalb nur einer Stunde musste sich Thommy einem Ordner (vorerst) geschlagen geben, obwohl er auch hier wieder alles gegeben hatte. Dienst ist Dienst, da kennt der Deutsche nix, selbst wenn noch jede Menge Platz unten war.

Viel Zeit zum Ärgern blieb nicht mehr, denn nun legten auch schon die Broilers los. Und wie sie das taten – eine großartige Liveband, die viel mehr verdient hätte als die knapp bemessenen 30 Minuten. Na ja, wem sage ich das? Leider hatten wir wirklich schlechte Plätze erwischt, die Sicht von schräg oben aus zweiter oder dritter Reihe hinter den Sitzplätzen war überaus bescheiden. Dafür hatten wir es nicht so weit zum Bierholen, man muss ja aus allem das Positive mitnehmen.

Während des Umbaus gelang es Thommy im Windschatten von Pfütze dann doch noch, sich in den Innenraum zu schleichen, ich fand einen Sitzplatz seitlich von der Bühne – nicht unbedingt eine ideale Perspektive, aber immerhin mit freier Sicht auf das Geschehen und unbedrängter Bewegungsmöglichkeit.

Die Toten Hosen lieferten dann einen grandiosen Auftritt vor begeistertem Publikum. Zweimal geriet die Begeisterung etwas außer Kontrolle, so dass die Band kurz unterbrach und erst fortsetzte, als alle vor der Bühne wieder standen – eine verständliche Handlungsweise angesichts trauriger Erfahrungen aus der Vergangenheit. Offensichtlich hatten das aber nicht alle verstanden, so dass eine entsprechende Ansage Campinos notwendig war – schade, aber das bleibt wohl manchmal nicht aus, wenn sich zu viel reines „Partyvolk“ unter die Fans mischt.

Aber abgesehen davon herrschte schon eine tolle Stimmung in der Halle, deutlich intensiver als einen Monat zuvor in Hamburg, wo man von großen Teilen des Publikums den Eindruck hatte, es wäre zu „Wetten dass“ erschienen. Gemessen an der heißen Berliner Atmosphäre ging es in Hamburg doch vergleichsweise „unterkühlt“ zu, und das zeigte sich nicht nur in wiederholt brennenden Fackeln in der Max-Schmeling-Halle.

Einen bemerkenswerten Unterschied konnte man bei den zahlreichen Fußball-Anspielungen Campinos feststellen, der in beiden Städten nicht mit Sticheleien gegen die örtlichen Teams geizte. Während man in Berlin den gönnerhaft-spöttischen Trost in Richtung Charlottenburg größtenteils mit weltstädtischer Ignoranz strafte (es wollte sich wohl auch kaum jemand als Herthaner outen?), offenbarten die Hamburger eine gehörige Portion Masochismus:

Nachdem Campino über den Abend verteilt immer wieder über den sympathischen Kiez-Kultclub abgelästert, der am Abend in Braunschweig verloren hatte, und auch der in der benachbarten Wie-heißt-sie-eigentlich-gerade-Arena beheimatete selbsternannte Gigant von der Elbe sein Fett wegbekommen hatte, nahmen die Toten Hosen nach der letzten Zugabe am vorderen Bühnenrand Platz und starteten eine „Humba“.  Als wäre das nicht schon gruselig genug, grölte nun auch noch die halbe Halle lautstark mit: „Fooortuuuuunaaaaaaaaaaaa – Düüüüüüüsseeeeldooooorf!“.

Hömma, Hamburg! Der verarscht euch den ganzen Abend und dafür feiert ihr dann seinen Verein? Ist klar. Ich hätte zu gern mal die Berliner Reaktionen hierauf gesehen. Da verwundert es dann auch nicht mehr, dass sich ein besonders Verwirrter beim Bayernlied im Trikot selbiger feiern ließ.

Nach dem Konzertende trafen nach und nach alle wieder am Fahrzeug ein, wo Pfütze dann den staunenden Anwesenden erklärte, nie wieder zu den Hosen gehen zu wollen. Die Begründung dafür hat inzwischen sicher jeder, der Pfütze kennt, schon selbst von ihm gehört. Für alle anderen: Die haben das Wort zum Sonntag nicht gespielt!

Tja, Pfütze, du hättest dich vielleicht doch an die Kleiderordnung halten sollen. Eine uralte Regel für den Besuch neuzeitlicher Konzerte besagt bekanntlich: Ziehe niemals Klamotten aus dem Merchandising der auftretenden Band beziehungsweise des Künstlers an. Niemals, das geht so was von gar nicht. Und was trug Pfütze? Broilers-Shirt und Hosen-Jacke. Ob er auch noch eine Max-Schmeling-Unterhose anhatte, kann heute nur noch spekuliert werden. Natürlich durfte die Missachtung dieses ungeschriebenen Gesetzes nicht folgenlos bleiben.

Davon abgesehen – es war ein großartiger Abend, danke an alle Beteiligten und besonders natürlich an Thommy für die Übernachtungsmöglichkeit und an unsere tapferen Fahrer Rebekka und Basti.

Eine kleine Konzertimpression findet ihr hier.

Und das waren die Sets:

Broilers

Die Toten Hosen

Frohes 2013 euch allen, Roggen Roll!

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