„Ich liebe es, wenn ein Plan funktioniert.“ Dieser Satz voller Weisheit vom guten Hannibal Smith kam mir bei der Heimreise am Sonnabend immer wieder in den Sinn, denn irgendwie ist der Ausflug nach Leipzig fast genauso verlaufen, wie ich ihn mir in meiner Vorschau bei hansafans.de ausgemalt hatte (aber eben auch nur fast):
Ich habe ja schon des Öfteren Auswärtsspiele des FCH außerhalb der Gästeblöcke verfolgt, die Gründe dafür waren unterschiedlicher Natur, einige Male hätte ich „offiziell“ gar nicht da sein dürfen (Sandhausen, Aue, Düsseldorf, St. Pauli), bei anderer Gelegenheit stand ich mit befreundeten Fans der gegnerischen Mannschaft zusammen (Union). Alle diese Spiele hatten jedoch eines gemeinsam – man konnte sich mal aus eigener Anschauung vom Wahrheitsgehalt persönlicher Vorurteile und Klischees hinsichtlich der Anhänger der jeweils anderen Vereine überzeugen.
Und so sollte auch der Besuch im Zentralstadion nun dazu beitragen, den oft geschmähten Fußballkonsumenten einmal in seiner natürlichen Umgebung zu studieren. Einen Titel für den Bericht hatte ich mir auch schon zurechtgelegt: „Allein unter Bullen“. Aber daraus wurde nichts.
Schon die Anreise zum Spiel ließ deutlich werden, dass dies ein besonderer Ausflug, ein außergewöhnliches Spiel werden sollte. Auf den Autobahnen in Richtung Süden fühlte man sich an längst vergangene Erstligazeiten erinnert, in denen sich tausende Hanseaten zu Spielen in Berlin, Hamburg oder München aufmachten und die dortigen Stadien rockten. Auch in meinem nicht-hanseatischen Bekanntenkreis war die Anteilnahme riesig, selbst Anhänger eines gewissen Hamburger Clubs gaben (natürlich gegen Zusicherung strengster Diskretion) gute Wünsche mit auf den Weg.
Voller Hoffnung und mit gaaaaanz vorsichtigem Optimismus erreichten wir drei Stunden vor Spielbeginn die Messestadt, dank Presse-Akkreditierung meines Freundes Basti blieb uns die lästige Suche nach einem Parkplatz erspart. Lediglich eine konzertierte Abschleppaktion im Waldstraßenviertel verzögerte noch einmal kurz die Anfahrt, dann konnten wir unseren Mietwagen in Sichtweite des Haupteinganges abstellen und ein wenig dem Treiben an den Kassen zusehen.
Dabei wurde ich Zeuge, wie ein Ordner versuchte, ein kleines Mädchen mit Hansa-Trikot und die zugehörige Familie vom Betreten der Haupttribüne abzuhalten, Stichwort: Fantrennung. Die Kleine (vielleicht 8 Jahre alt) wusste nicht, wie ihr geschah, die Eltern („Wir sind RB-Fans, nur sie ist für Hansa.“ – ein prächtiges Kind, nicht wahr?) drohten zu eskalieren, so dass ein Supervisor die Situation retten musste: „Mach einfach die Jacke zu, Kleine, dann geht das schon.“ Der Ordner fügte sich widerwillig: „Was soll das werden, wenn wir das mit allen machen?“
Na super, das konnte ja heiter werden. Ich versteckte erst mal vorsichtshalber Schal und Mütze in der Jacke (hey, so haben wir das früher in der DDR-Oberliga auch schon gemacht) und ging mit Heiko, einem anderen Hanseaten in „Zivil“ zum Einlass, wo uns ein Rostocker Ordner, der Heiko aus dem Ostseestadion kannte, zielsicher ansteuerte und ihm ein Gespräch aufdrängte: „Geht ihr bitte in den Gästeblock?“ – „Nein, auf keinen Fall.“ – „Wir wollen hier keine Konfrontation.“ – „Wir auch nicht, du kennst mich doch.“ – „Na gut.“
Die Aufregung war groß, wie man sieht. Aber egal, wir konnten die Einlasskontrolle problemlos passieren und sondierten zunächst die Lage im Bullenstall. Noch während wir darüber sinnierten, ob wir es eigentlich mit Zuchtbullen oder Mastbullen zu tun hatten, konnten wir feststellen, dass nicht nur die beabsichtigte Fantrennung misslungen war, sondern darüber hinaus jede Menge Hopper für ein buntes Fangemisch auf der legendären früheren Osttribüne sorgten. Dabei offenbarten sich allerdings auch Abgründe, ich hätte nicht für möglich gehalten, jemals in einem Leipziger Stadion den Ruf „Dynamo Ostberlin!“ in sächsischer Mundart hören zu müssen, jedenfalls nicht ohne den Pflichtzusatz „Scheiß-…“.
Gemeinsam beobachteten wir von der Dammkrone aus die in einiger Entfernung vorbeiziehenden Hansafans auf dem Wege zum Gästeblock, allerdings war außer jeder Menge Blaulicht und einem umherirrenden Wasserwerfer nicht viel zu sehen. Hin und wieder waren Detonationsgeräusche zu hören, aber das war weniger organisierte Pyro-„Action“ als vereinzelte Spontanzündungen.
Inzwischen rückte der Spielbeginn näher und wir begaben uns auf unsere Plätze in Block 5 und gaben uns noch ein wenig dem Animationsprogramm a la RBL hin. Da wäre das Maskottchen, natürlich ein „Bulle“, der aber für seine Spezies recht schmale Schultern hatte. Hin und wieder versuchte er, mit einem Fußball zu jonglieren, sah dabei aber auch nicht besser aus als andere Huftiere. Da ich Maskottchen generell skeptisch gegenüber stehe, bin ich dahingehend aber sicher befangen.
Wirklich gruselig wurde es immer dann, wenn der Stadionsprecher zu Wort kam, ein schlimmer Vertreter der Gattung Entertainer, der sich für „den Wendler“ zu halten scheint und bei dessen aufdringlichem Geschrei man sich fragt, was das eigentlich noch mit Fußball zu tun hat. Das Verlesen der Mannschaftsaufstellung wurde von merkwürdigen Moves mitten auf dem Platz begleitet, die zu allem Überfluss auch noch ein persönlicher Fotograf für die Nachwelt festhielt. Es hätte nur noch gefehlt, dass Mister Selbstverliebt zum Abschluss seinen eigenen Namen hätte skandieren lassen. Später dann, nach dem Anschlusstreffer der „Bullen“ wurde es richtig albern, als der Spielstand ausgerufen wurde: RBL – EINS! – Hansa – NUUULLL! Selten so gelacht.
Dass das Auflaufen der Mannschaften mit Blitzlichtgewitter und Rauch aus dem Spielertunnel eher an eine Seniorenausgabe der Miniplaybackshow als an ein Fußballspiel erinnerte, war dann letztlich nur noch konsequent. In unserem Block wurde der ganze Vorspiel-Zauber relativ teilnahmslos hingenommen, es gab zwar ein paar vereinzelte Träger von RBL-Fanartikeln, aber die Masse sah so aus, als wäre sie tatsächlich „nur“ zum Fußballgucken da.
Glück hatten die vielen Hansafans, die vor dem Gästeblock warteten und all den Unsinn nicht mit ansehen mussten. Sieben Minuten nach Spielbeginn begann dann ihr großer Auftritt. Innerhalb einer Minute hatte sich der Block im Unterrang gefüllt und von nun an hatten die Hanseaten das akustische Kommando im Zentralstadion. Lautstarker, geschlossener Support über weite Strecken des Spieles erzeugte immer wieder Gänsehaut bei allen, die es mit den Blauen hielten. Aber es gab einen Moment, der wie kein anderer diesen Auswärtsauftritt zu einem ganz besonderen machte. Mitte der ersten Halbzeit wurde im Gästeblock „Steht auf …“ angestimmt, und überall im Stadion – vielleicht mit Ausnahme der Südtribüne (Sektor B) – erhoben sich Hansafans und –Sympathisanten, bei uns im Block gut die Hälfte – ein so erhebender wie atemberaubender Anblick.
Spätestens jetzt war aber auch klar, dass ich meine geplante Millieustudie wohl ein anderes Mal durchführen müsste, denn in Unterzahl passt sich der Konsument – wie jedes Wesen – natürlich den geänderten Rahmenbedingungen an. Wobei … ein kleines Erlebnis gab es ja doch. Die „Eroberung“ des Gästeblockes veranlasste den neben mir sitzenden Heiko zu einem euphorischen „Jawohl!“. Damit zog er sich den Unmut eines zwei Reihen vor uns sitzenden Herren zu, der sich voller Entrüstung empörte: „Ohne Geld kommt ihr doch auch nicht klar!“ Das hatte zwar auch keiner behauptet, aber Heiko, der in seiner Jugend Sächsisch als Fremdsprache im Leistungskurs belegt hatte, konterte: „Ich verstehe dich nicht.“, um dann noch ein bisschen herumzusächseln, was den guten Mann noch mehr auf die Palme brachte. Dann erinnerte er sich aber daran, was wir dem Ordner am Einlass versprochen hatten, und war wieder lieb. Gelebte Selbstreinigung, würde ich sagen.
Bemerkenswert am Auftritt des Gästeblockes war übrigens, dass während der gesamten Spieldauer am Oberrang ein den „alten“ Leipziger Vereinen Lok und Chemie gewidmetes Banner hing – für unsere Verhältnisse (unsere aktive Szene legt ja sehr großen Wert darauf, mit niemandem in irgendeiner Form gemeinsame Sache zu machen) ein geradezu unglaublicher Vorgang, Respekt dafür! Erfreulich auch, dass man der großen Versuchung, eine gigantische Pyroshow abzuliefern, widerstehen konnte, so dass sicher der eine oder andere vorbereitete Pressebericht wieder in die Schublade wandern musste.
So bleibt vom Spiel in Leipzig eine großartige Erinnerung für jeden Hanseaten, der dabei war. Vielleicht weiß man solche Erlebnisse erst dann wirklich zu schätzen, wenn man ein solches Tal durchschritten hat beziehungsweise gerade durchschreitet wie wir. Mit dem Verstand allein ist die Faszination, die von diesem FC Hansa ausgeht, nicht zu begreifen. Es lohnt sich, den mit der Neuordnung im Verein eingeschlagenen Weg konsequent weiterzugehen, auch und gerade in der Arbeit mit und für Fans.
25. November 2013 um 12:16
Prima, wie Du über die 22 verletzten Polizisten berichtet hast. Auf dem Platz habt Ihr gewonnen, vor dem Stadion mal wieder verloren. Schade Empor Lauter!
25. November 2013 um 12:22
In meinem Beisein wurde niemand verletzt, auch keine Polizisten. Ich kann nicht über Dinge berichten, bei denen ich nicht zugegen war.
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25. November 2013 um 15:22
Ich glaube um Sektor 3 und 5 gab es die größten Hansa -Inseln. Schön, dass so was bei RB Leipzig möglich ist, dass die Fans nebeneinander sitzen, Fußball gucken und keiner angepöbelt wird oder auf die Fresse kriegt, nicht wahr?
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