Hanseator

Musik, Fußball und manchmal auch ein bisschen Hansa

Ricky Martin und die dritte Halbzeit

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Die Party zum St. Patrick’s Day am Vortag hatte es in sich. Inspiriert vom irischen Rugby-Triumph über England, der den Bhoys zugleich den Gewinn der Six Nations bescherte, wurde es ein langer, intensiver Abend, der uns folgerichtig nicht gerade früh im Bett sah. Dank vorausschauender Reiseplanung und der großartigen Spieleübersicht in der Groundhopper-App, für die ich hier gern die Werbetrommel rühre, hatte der Besuch zweier Fußballspiele einen festen Platz im Programm bekommen und wurde somit ohne Wenn und Aber durchgezogen.

Newcastle United F.C. – Royal Antwerp FC 1:1 („eigentlich“ 1:0), Pinatar Arena, 18. März 2018

Den Auftakt bildet ein Kurztrip in südliche Richtung nach San Pedro del Pinatar. Die dortige Pinatar Arena ist sicher dem einen oder anderen Fußballinteressierten ein Begriff, so mancher deutsche Verein ist dort schon im Rahmen eines Wintertrainingslagers auf internationale Gegner getroffen, auch der F.C. Hansa hat dort 2014 ein Trainingslager mit Spielen gegen den FC Cartagena und eine Mannschaft aus Shanghai abgehalten.

Heute steht immerhin ein Testspiel mit Premier League-Beteiligung an, Newcastle United spielt um 12 Uhr gegen den belgischen Erstligisten Royal Antwerpen. Eine halbe Stunde vor dem Anstoß sind wir am Parkplatz vor der Sportanlage und reihen uns in den recht ansehnlichen Strom der Schaulustigen ein, der überwiegend aus Engländern zu bestehen scheint, in vielen Orten entlang der Costa Blanca gibt es englische Wohnsiedlungen. Es sind aber tatsächlich auch Fans von der Insel herüber gekommen.

Newcastle nutzt die durch eine FA-Cup-bedingte Spielverlegung entstandene Pause für ein Kurztrainingslager. So bleibt die Mannschaft im Rhythmus und kann gleichzeitig ein paar Tage den winterlichen Temperaturen daheim entfliehen. Von dem englischen Club weiß ich nicht mehr, als dass der legendäre Paul Gascoigne da seine Profikarriere begonnen hat und dass Alan Shearer zehn Jahre das schwarz-weiße Trikot trug. Aktuelle Spieler kenne ich nicht, immerhin bringt Trainer Rafael Benitez einen Hauch große Fußballwelt mit.

Und Royal Antwerpen? – Nennen wir es „Neuland“. Immerhin haben sie einen Spieler im Aufgebot, der auf den wunderbaren Namen van Damme hört. Dieser ist es auch, der für den stimmungstechnischen Höhepunkt der Begegnung sorgt, als er – angefeuert von den englischen Fans – Mitte der zweiten Halbzeit an der Seitenlinie eine gefühlte halbe Minute lang den Inhalt seiner Hose sortiert.

Ansonsten bleibt eine an Höhepunkten arme Partie in Erinnerung, in der die Engländer ein paar Minuten vor der Halbzeit in Führung gehen und diese in der zweiten Hälfte unaufgeregt über die Zeit bringen. Streng genommen, braucht kein Mensch solche Spiele, aber wenn man schon mal in der Gegend ist, sollte man auch den Groundpunkt mitnehmen, und 5 Euro Eintritt sind ja auch noch im Rahmen.

Wir verlassen das „Stadion“, schließlich haben wir noch ein weiteres Spiel zu besuchen. Später am Abend stellt sich heraus, dass es tatsächlich noch eine dritte „Halbzeit“ gegeben hat, in der Antwerpen der Ausgleich gelang und Newcastle einen Elfmeter verschoss. Endstand somit 1:1.

Elche CF – UE Cornellà 3.0, Estadio Manuel MartínezValero, 18. März 2018

Die Fahrt zum zweiten Spielort dauert nur wenig mehr als eine Stunde, und so steuern wir gegen 15:30 Uhr auf die schon von der Autobahn erkennbare und klobig wirkende Betonschüssel zu, hinein in eine Plattensiedlung, die die die Herzen der Freunde architektonischer Verbrechen der 1970er Jahre zum Hüpfen gebracht hätte. Rund um das Stadion ist nicht allzu viel los, die letzten Händler eines am Vormittag veranstalteten Wochenmarktes packen zusammen und räumen das Feld. Nichts deutet darauf hin, dass hier in einer Stunde das Spitzenspiel der Segunda División B, Gruppe 3 angepfiffen wird.

Wir fahren auf den Stadionparkplatz, der frei zugänglich ist, niemand hindert uns daran, Parkgebühren will auch keiner. Das Auto steht nun keine 20 Meter vom nächsten Eingang entfernt, nicht schlecht. Aus unmittelbarer Nähe wirkt der 1976 eröffnete Betonklotz noch wuchtiger als von der Autobahn aus gesehen. Die Stadiontore sind komplett verschlossen, auch die Kassen haben noch nicht geöffnet. Wir lassen uns in der stadioneigenen Sportbar nieder, dort laufen auf mehreren Bildschirmen Spiele aus Serie A und Bundesliga. Die Mehrheit der Gäste interessiert sich aber eher für die Spielautomaten in einem Nebenraum.

Eine halbe Stunde vor dem Anstoß stellen wir uns an einem Ticketschalter an, der Blick auf die Preistafel löst sofortige Schnappatmung aus: 30 Euro für die 3. Liga? Kaum haben wir uns eingereiht, werden wir plötzlich von Leuten bestürmt, die uns Tickets in die Hand drücken wollen. Vorsichtig, wie wir sind, winken wir ab: Nee, lass mal, wir kaufen lieber an der Kasse, nix für ungut, aber man hört da immer so Sachen über das Ausland. Kaufen? Nein, nein, die sind umsonst. Viel Spaß! So ähnlich hätte der Dialog lauten können, wäre da nicht die Sprachbarriere.

Die Auflösung: Es gibt am Spieltag eine Aktion für Dauerkartenbesitzer, die jemanden mitbringen dürfen, und so kommt es eben, dass uns wildfremde Menschen ein Gratisspiel ermöglichen – einfach, weil sie es können. Und so steht auf unseren Tickets anstelle eines Preises das süße Wort „Invitación“. Sollte mal jemand aus Elche Lust haben, ein Spiel im Ostseestadion zu besuchen, werde ich mich natürlich gern revanchieren.

Nach zügigem Einlass schweift der Blick durch das Stadion und über die knapp 36000 Zuschauer fassenden Ränge. Man sieht dem Bau seine mehr als 40 Jahre Existenz an, an einigen Stellen blättert die Farbe schon gewaltig ab. Auf dem Oberrang (nicht überdacht) ist ein Gästeblock zu erkennen, der rundherum mit Fangnetzen „gesichert“ ist. Erkennbare Auswärtsfans sind heute nicht anwesend, sehr schade, hatte ich doch ein bisschen auf die sagenumwobene südländische Atmosphäre gehofft.

Leider wird unsere dreiköpfige Reisegruppe auseinander gerissen, da unsere Plätze in verschiedenen Blöcken liegen. Genügend Platz ist überall, aber mein Versuch, mich zu meinen Gefährten zu gesellen, endet an verschlossenen Gittertüren.

Die Stadionbeschallung vor dem Spiel ist ziemlich anstrengend, nicht nur von der Lautstärke her, auch aus musikalischer Sicht. Egal, welches Lied erklingt, alles hört sich so an, als wäre es von einer Ricky-Martin-Coverband eingesungen worden. Muss man mögen, beziehungsweise nicht. Jetzt zahlt sich das jahrzehntelang in deutschen Stadien antrainierte Weghören bei den diversen „Hitmixen“ aus.

Mit der Titelmelodie von „Game of Thrones“ – natürlich im Latino-Style – wird die Mannschaftsaufstellung der Gastgeber präsentiert, dann setzen die Ballermann-Beats aus, und erhabene Klänge dringen an die Ohren: Zeit für die Vereinshymne des Elche FC. Einem Opernchor gleich legt sich festliche Atmosphäre über das weite Rund. Nach ein paar Takten dreht die Stadionregie komplett den Ton weg, das Publikum macht nun allein weiter. Die 6862 Zuschauer geben ihr Bestes, aber für Gänsehaut sorgt in erster Linie der an Frische zunehmende Abendwind. Das Stadion ist einfach zu groß.

In der gegenüber liegenden Kurve hinter dem Tor hat sich ein kleiner Stimmungsblock versammelt. Die vielleicht 60 Unentwegten geben über 90 Minuten ihr Bestes ohne Rücksicht auf Stimmbänder, es gelingt ihnen aber nicht, das restliche Publikum mitzureißen. Auf meiner Seite haben sich ein paar Trommler verteilt, denen es zumindest gelingt, situationsbezogene Reaktionen der Umsitzenden auszulösen – rhythmisches Einklatschen bei Standards, oder gelegentliche „Elche!“-Sprechchöre.

Auffällig sind viele Familien im Block, ein gemeinsamer Stadionbesuch kann den Sonntagnachmittag durchaus bereichern. Oma und Opa, Mutter und Vater schauen beim Plausch über Gott und die Welt ein bisschen Fussi, die Kinder bejubeln frenetisch jede Aktion ihrer Lieblinge auf dem Platz, bei jedem Eckball versammelt sich ein kleiner Mob direkt an der Absperrwand und animiert die Spieler zu Höchstleistungen.

Die Unterstützung zahlt sich aus, schon zur Halbzeit steht es 2:0 – eine hoch verdiente Führung für Elche (ich muss mich gerade echt konzentrieren, nicht ständig „die Elche“ zu schreiben, das ist einfach zu verlockend). Die Heimmannschaft hat das Spiel jederzeit im Griff, den Gästen gelingt praktisch gar nichts. Die Zuschauer dürfen insgesamt dreimal jubeln, bei der moderierten Torzelebration wird es dann doch immer wieder „südländisch“, beginnend mit dem lang anhaltenden „Goooooooooool!“-Schrei des Stadionsprechers und DEM Kurvenklassiker: „Seven Nations Army“, ihr ahnt es sicher, natürlich im unvermeidlichen Ricky-Martin-Style.

Nach dem Schlusspfiff leert sich das Stadion sehr schnell, auch die Abfahrt unserer wieder vereinten Gruppe gelingt in rekordverdächtigem Tempo, mit den Feierlichkeiten zum 3:0 habe ich jetzt einen unlöschbaren Ohrwurm eingefangen:

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