Jedes Jahr am ersten Juli-Wochenende veranstalten die Wildauer Kickers, ein alteingesessener Union-Fanclub, ein großes Fußballturnier, offen für Fanclubs des 1. FC Union, aber auch anderer Vereine. In diesem Jahr fand nun – passend zum 30jährigen Jubiläum der Kickers – das 10. Fanturnier statt. Dieser Termin hat auch in meiner Jahresplanung einen festen Platz, ich bin seit 2006 jedes Jahr dabei, zuerst als Spieler, aber beim letzten Mal und auch in diesem Jahr zwang mich zunehmender körperlicher Verfall, von der aktiven Teilnahme abzusehen. Man wird halt nicht jünger.
Mittlerweile leider schon traditionell zerfiel auch unsere Mannschaft, die unter dem Namen Störtebeker fußballerischen Glanz ins Dunkel des brandenburgischen Outbacks bringen sollte, wenige Tage vor dem Turnier in ihre Einzelteile, und so machten sich letztlich nur noch drei Unentwegte auf den Weg, um die hanseatischen Farben wenigstens neben dem Platz zu vertreten. Um es vorweg zu nehmen – einer der drei, the incredible Tretti himself, brachte es als Gastspieler der Stierwascher aus Salzburg (Austria übrigens, damit keine Missverständnisse aufkommen!) dann doch noch zu ein paar Spielminuten, in denen er sich mit seinen unorthodoxen Bewegungsabläufen und kapitalem Auslassen hundertprozentiger Chancen in die Herzen seiner Mannschaftskameraden und der Fans spielte.
Zuvor waren aber erst mal andere Herausforderungen zu meistern – Anreise und Zeltaufbau. Als Einmal-im-Jahr-Camper war es für uns ein besonderes Geschenk, dass ein berücht… äh, Verzeihung: berühmter Discounter kürzlich ein ganz spezielles Produkt im Angebot hatte, nämlich ein „2-Sekunden-Schnellbauzelt“. Wahnsinn – einfach nur hinfahren, Zelt auspacken und in die Luft werfen, und nicht mal eine Minute später, wenn die Heringe im Boden verankert sind, steht das Eigenheim für zwei Nächte und wartet auf den Einzug des glücklichen Besitzers. Und tatsächlich, liebe Verbraucher, genau so geht es. Unfassbar! Dank sich selbst aufblasender Matratzen ist der Auftakt eines Camping-Wochenendes jetzt sogar für notorische Handarbeitsverweigerer wie mich das reinste Kinderspiel, quasi eine Art Fastfood des Übernachtens. Seine wahre Bewährungsprobe sollte dem Wunderzelt aber noch bevorstehen, doch dazu später.
Nachdem also die Unterkunft für das Wochenende in nur wenig Zeit mehr aufgestellt war, als Hansa für zwei Gegentore in einem Testspiel benötigt, standen der Antrittsbesuch beim Veranstalter und eine erste Platzbesichtigung auf dem Programm. Zimmi, dieser ungemein gut aussehende Enddreißiger war gerade dabei, ein paar Pavillons aufzustellen und am Boden zu befestigen – sicher um angesichts des bevorstehenden Sommerwochenendes noch ein paar zusätzliche schattige Plätze zur Verfügung zu stellen. Das war wirklich sehr vorausschauend von ihm, wie der Turniertag dann zeigen sollte. Nach kurzer, schmerzloser Begrüßung wurden dann erste Bekannte von früheren Turnieren in die Arme geschlossen und die Ankunft weiterer Teams beobachtet. Optische Akzente setzen konnten vor allem die aus Schottland angereisten Celtic-Fans vom St. Andrews & District Supporters Club im farbenfrohen Kilt.
Wenig später drang „Gesang“, wie man ihn sonst an den Theken rund um El Arenal vernimmt, an das Ohr, der Parkplatz hüllte sich in dichten Nebel, in dessen Inneren Fackeln südländisch vor sich hin flackerten: das gemischte Volk aus Offenbach und Leipzig-Leutzsch war eingetroffen. Der weitere Abend stand dann gemeinsam mit weiteren aus vielen Ecken des Landes (Burghausen, Osnabrück, Stralsund und weitere) angereisten Fans im Zeichen exzessiven Getränkekonsums, lautstarker Musik und noch lauterer Grölgesänge bis spät in die Nacht – kurz gesagt: Endlich normale Leute!
Gegen Mitternacht wurde dann die Musik abgestellt, auch um Beschwerden aus der Nachbarschaft vorzubeugen. Wesentlich leiser wurde es danach nicht, aber auch das ist für erfahrene Turnierteilnehmer und –anwohner im nunmehr dritten Jahr in Wernsdorf nichts Neues. Neu in diesem Jahr war, dass es erstmals zu nicht-verbalen Auseinandersetzungen gekommen ist. Inwiefern Leute von außerhalb des Turniers beteiligt waren, ist mir nicht bekannt, denkbar wäre es, allerdings möchte ich hier auch keine Spekulationen anheizen. Schade ist es so oder so, ist doch dieses Turnier ein schönes Beispiel dafür, dass Anhänger verschiedener Vereine (selbst solcher, deren Fanszenen in der öffentlichen Wahrnehmung und auch im eigenen Selbstverständnis regelrecht verfeindet sind) durchaus gemeinsam Spaß haben und feiern können.
Am Morgen danach galt ein erster prüfender Blick dem Zeltinneren, alles lag an seinem Platz, fremden Personen oder Tieren war es nicht gelungen einzudringen. Der zweite Blick ging nach draußen und brachte nichts gutes. Es hatte begonnen, leicht zu tröpfeln. Hoffentlich würde das nicht so bleiben. Nun, es blieb tatsächlich nicht so. Im Gegenteil – im Verlaufe des Tages nahm der Regen immer mehr zu, mal etwas stärker, dann wieder etwas schwächer, gelegentlich mit Windunterstützung aus wechselnden Richtungen, aber ohne auch nur ein einziges Mal auszusetzen. Sehr praktisch, wenn man bekleidungstechnisch so gar nicht auf Winter eingerichtet ist.
Natürlich waren die Aktiven unter den Turnierteilnehmern Hauptopfer der widrigen Umstände, die Freude am Spiel ließ sich aber keiner nehmen und so wurde auf dem Platz Wind und Wetter getrotzt, übrigens auch von den obligatorischen Flitzern, die ganz eigene optische Reizpunkte setzten. Überhaupt stand bei allen Mannschaften der Spaß absolut im Vordergrund und es gab kein Team, das durch überzogenen Ehrgeiz aufgefallen wäre. Das war in den vergangenen Jahren ja nicht immer so.
Das regnerische Wetter führte dazu, dass unsere bereits erwähnten Zelte einem unfreiwilligen Test ihrer Gebrauchseigenschaften unterzogen werden konnten. Wir können voller Freude feststellen, dass sie diesen Test mit Pauken und Trompeten … verloren haben. Das beginnt mit der sehr schlechten Be- und Entlüftungsmöglichkeit. Es gibt lediglich ein kleines Fenster, eher ein Schlitz, was dazu führt, dass schon die Atemluft nur einer Person ausreicht, dass die gesamte Innenhaut nach einer Nacht von einer durchgängigen Feuchtigkeitsschicht überzogen ist. Dafür ist das Zelt aber hervorragend geeignet, Feuchtigkeit zu konservieren und kann so in trockenen Gebieten zur Wassergewinnung eingesetzt werden – die Nächte müssen nur kalt genug sein.
Besondere Vorkehrungen, um das Wasser aufzufangen, sind nicht nötig, auch das hat der Zelthersteller berücksichtigt. Denn gemeinsam mit dem Kondenswasser im Zeltinneren sammelt sich das mit zunehmendem Regen durchsickernde Regenwasser (wir verhinderten Biologen nennen diesen Prozess Osmose) auf dem Zeltboden, der sich als einziges Teil am Zelt als wasserundurchlässig erwiesen hat. So undurchlässig, dass man bei starkem Regen Gegenstände wie zum Beispiel Schuhe, die unbedingt trocken bleiben müssen, einfach unter das Zelt legen kann. Das sollte man sich auf jeden Fall patentieren lassen, es gibt ja beim Zelten immer mal was zu trocknen – Socken, Kindernahrung oder Gras.
Ein solcher Verbrauchertest ist natürlich ungemein wichtig, dennoch erfüllte uns die Aussicht auf eine Nacht im feuchten Zelt trotz Wassersäule 1500 nicht gerade mit Euphorie. Und so entschlossen wir uns schweren Herzens, bereits am Sonnabend die Heimreise anzutreten. Sehr ärgerlich, hatten wir uns doch gerade auf die Party nach dem Turnier besonders gefreut. Ein Blick über die sich lichtenden Reihen auf dem Zeltplatz bestätigte uns aber, dass wir nicht allein so dachten.
Auch wenn die Witterung nahezu alles überschattet hat, sollen natürlich ein paar Highlights nicht unerwähnt bleiben. Es herrschte das gesamte Wochenende eine ausgelassene Partystimmung. Den Offenbachern war es sogar gelungen, einen großen Entertainer vom Mallorca-Urlaub mitzubringen: Manolo, der Mann mit der Gitarre, erfüllte den ganzen Tag alle Musikwünsche, selbst wenn sie gar nicht geäußert wurden, und sorgte so für glückliche Gesichter bei seinen vielen Fans, die seine großen Hits wie „Marina“, „irgendein Deospray“ oder ein Cover der Lokalmatadore, dessen Titel mir gerade partout nicht einfallen will, endlich mal live und unplugged erleben konnten.
Aufgrund der kühlen Temperaturen brachte ich vor lauter Verzweiflung meine gute Platinum-Jogger zum Einsatz, was mir immer wieder irritierte Blicke eintrug. Apropos Blicke: Im „Bösegucken“ kann sich unsere Ultraszene bei ihren Berliner Kollegen noch einiges abschauen. Das war schon ziemlich kuhl. Aber keine Sorgen, von meiner Seite wird es beim einmaligen Gebrauch dieses Kleidungsstückes bleiben, nicht dass mir, dem erklärten Pazifisten, doch noch irgendwann jemand ein Match anbietet.
Wenn es stimmt, dass jeder statistisch gesehen irgendwann mal unter völlig ungeeigneten Umständen im Zelt wohnen muss, haben wir diesen Punkt auf unserer Lebensliste nun erfüllt und so bleibt letztlich die Vorfreude auf das Turnier im kommenden Jahr, bei strahlendem Sonnenschein und vielleicht in einem Zelt, das diese Bezeichnung auch verdient. Denn wir kommen auf jeden Fall wieder.
Bis dahin übt bitte alle den neuen Schlachtruf, zu dem mich der Anblick der Milliarden Regentropfen am Sonnabend inspiriert hat:
Nass! Nass! Nass, wie noch nie!
All drops are bastards.
A. D. A. B.
6. Juli 2011 um 16:08
Geiler Artikel – am besten jedoch, das klar angemerkt wurde das wir Austrianer sind und nicht der R** B*** Dreck der die Szene verseucht … thx!
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