Hanseator

Musik, Fußball und manchmal auch ein bisschen Hansa

Let’s go Murphys

Ein Kommentar

Sag mal einen Satz mit Sommer, Hamburg und Kultur. – Willst du mich verarschen?

Es sollte DER Höhepunkt eines bislang nur nominellen Sommers werden. Innerhalb des „Hamburger Kultursommers 2011“ gastierten die Dropkick Murphys auf der Open-Air-Bühne an der Trabrennbahn Bahrenfeld. Ein absolutes Muss für jeden Liebhaber lauter, kraftvoller, dynamischer und ehrlicher Musik mit einem Faible für nordamerikanischen Folkpunk mit irischen Wurzeln, das durfte man sich einfach nicht entgehen lassen.

Die Tickets waren beizeiten besorgt und je näher der Termin rückte, umso mehr wuchs die Vorfreude. Die Murphys-Alben liefen im CD-Player rauf und runter, um noch ein bisschen Textsicherheit zu gewinnen, Urlaubstage oder Frühschichten wurden eingereicht und geplant, und nun, am 16. August 2011, war es dann endlich so weit.

Anreise und Parkplatzsuche stellten überhaupt keine Hürde da, gegen 16:30 Uhr, also eine halbe Stunde vor dem geplanten Veranstaltungsbeginn, hatten wir den Einlass erreicht. Es gelang mir den Ordner zu überzeugen, dass ich ohne Messer angetreten war, und der Weg auf das Konzertgelände war frei.

Um die Zeit zu überbrücken, nahmen wir das eine oder andere großzügige Versorgungsangebot wahr – 0,3 Liter Becks für 3 Euro, eine mittlere Portion gebratene Nudeln mit symbolischer Fleischbeilage für 5 Euro, ein Crêpe mit Nutella für 3,50 – recht stattliche Preise gibt es da in Hamburg. Aber erstens fordert Kultur nun mal Opfer und zweitens arbeitet man schließlich beim Fernsehen, also was soll der Geiz?

Über den diversen lukullischen Genüssen verging die Zeit wie im Fluge und schon um 18:30, also nur mit eineinhalb Stunden Verspätung drangen erste Töne aus Richtung Bühne an die erwartungsvollen Ohren. Eine Band namens Montreal, nach eigenem Bekunden aus Schwarzenbek, spielte den Einheizer für die beiden nachfolgenden Bands. Ganz ehrlich: Es wäre für alle Beteiligten des Abends das Beste gewesen, die Jungs hätten weiter in ihrer Garage üben dürfen. Musikalisch und textlich war es eine sehr dünne Darbietung, die von den Zwischenmoderationen aber noch locker unterboten wurde. Ich würde jetzt gern konkreter werden, aber manchmal weigert sich das Gedächtnis einfach, irgendetwas gegen seinen Willen zu speichern. Ich erinnere mich nur noch, dass viele Besucher erleichtert waren, als es endlich vorbei war.

Nach dieser Geduldsprobe traten dann Face to Face aus Southern California (where it never rains, you know?) auf den Plan. Bestimmt sind die extra über den großen Teich gekommen, um endlich mal richtigen Regen zu erleben. Daraus, also aus dem Regen, wurde – zum Glück für uns Zuschauer – nichts. Musikalisch bot die Band dann ein sehr erfreuliches Kontrastprogramm zu ihren Vorgängern. Schöner, straighter Rock’n’Roll, bei dem der Fuß automatisch im Takt mitwippte, und kein überflüssiges Gelabere zwischen den Songs. Hier lohnt es sich auf jeden Fall, demnächst mal den Plattenhändler des Vertrauens  zu konsultieren.

Und dann um 20:45 Uhr war es endlich so weit. Aus den Lautsprechern erklang Sinead O’Connor’s Stimme mit der alten traditionellen Weise „The Foggy Dew“, ein sicheres Zeichen für den unmittelbar bevorstehenden Auftritt der Headliner des Abends. Und die Murphys legten los, als gäbe es kein Morgen. Ein Auftritt voller Power und ohne Zeit zum Verschnaufen zog das Publikum vom ersten Ton an in seinen Bann. Songs vom aktuellen Album „Going Out In Style“ wechselten sich in einer guten Mischung mit älteren Stücken ab, dazwischen gab es die üblichen Grüße an das Publikum, den Auftrittsort und an „Germany – kind of a second home“. Nur einmal fiel Sänger Al Barr, der einen Teil seiner Kindheit in Deutschland verbracht hatte, etwas aus dem routinierten Rahmen, als er in feinem Deutsch erzählte, wie er sich damals für Udo Lindenberg begeistert hatte, und wissen wollte, ob dieser wirklich in Hamburg lebt, woraufhin Bassist Ken Casey (stolz sein Trikot der Boston Bruins tragend) charmant anmerkte: „What the fuck is he talking about?“

Das Konzert nahm mehr und mehr an Tempo auf und erreichte kurz vor 22 Uhr seinen Höhepunkt. Kaum waren die ersten Takte von „Shipping Up to Boston“ gespielt, gab es im Publikum kein Halten mehr. Die Menge tobte und hüpfte, bengalische Feuer gingen an und jedes einzelne Wort wurde mitgeschrien, dass es eine Freude war – einer der seltenen Momente, wenn die auf der Bühne mit denen vor der Bühne eins werden, ein perfekter Augenblick. In den tosenden Jubel nach dem Songende hinein erklang nun das AC/DC-Cover „TNT“, ebenfalls mit hohem Mitsingfaktor, danach verließ die Band die Bühne.

Es war 22 Uhr, 75 Minuten waren vergangen, man freute sich auf die Zugaben, erfahrene Murphys-Besucher fachsimpelten, welche Songs auf jeden Fall noch kommen würden. Die Band erschien nach wenigen Momenten wieder und begann mit „Boys on the Docks“, zum Ende des Songs rief Sänger Al zur allgemeinen Überraschung noch kurz „Gute Nacht“ und erneut verschwand erst er, danach die restliche Band hinter der Bühne. Dann begann auch schon der Abbau der Mikrophone und des Schlagzeugs, während aus den Boxen wie zum Hohn „We gotta get out of this place“ dröhnte.

Das sollte es also gewesen sein?  Nicht mal für eine ordentliche Verabschiedung der Band hatte es gereicht? Ganz zu schweigen von vergeblich erwarteten Murphys-Klassikern wie „Fields of Athenry“, „The Dirty Glass“, „Skinheads on the MBTA“, „Kiss me I’m Shitfaced“, „(F)lannigan’s Ball“, „Captain Kelly’s Kitchen“ und … und … und …, ohne die ein Konzert dieser Band bislang unvorstellbar war. Wie, um alles in der Welt, ist so ein unwürdiger Konzertabschluss möglich? Liegt es an der Band, die vielleicht einfach keine Lust mehr hatte? Den Eindruck hatte man nicht, es sah schon so aus, als hätten die Musiker großen Spaß gehabt. Andererseits lässt ein Blick auf setlist.fm vermuten, dass wir ein abgespecktes Festival-Set zu sehen bekommen haben, mit dem die Jungs derzeit in Europa unterwegs sind. Ein Grund, sich so stillos von der Bühne zu schleichen, ist das aber nicht.

Der Veranstalter darf sich gern für den verspäteten Beginn in den A… getreten fühlen. Auch wenn Tickets vergleichsweise preiswert sind, darf man den Besuchern etwas mehr Respekt entgegen bringen. Und – falls das anfangs nicht so klar zum Ausdruck gekommen ist – „Montreal“ war pure Zeitverschwendung, da wiederhole ich mich gern.

Für mich war es nach verschiedenen Festivals in Meck.-Pomm. mal ein Konzert ohne Merchandising-Stand des FC St. Pauli – und das im braun-weißen Hamburg, wer hätte das gedacht? Verzichten musste man auf die allgegenwärtigen Totenkopf-Shirts und -Jacken trotzdem nicht, einzelne besonders aufdringliche Träger dieser Accessoires musste man allerdings – bei aller hanseatischen Toleranz – regelrecht wegschubsen, um ungestört an seinem Platz das Konzert verfolgen zu können. Nicht wegschubsen ließ sich ein (Ehe?)-Paar, dessen weiblicher Teil vergeblich versuchte, die volltrunkene männliche Heulsuse abzuschütteln, die im Zehn-Minuten-Rhythmus immer wieder angekrochen kam und greinend um gut Wetter bettelte. Um das Maß voll zu machen, trug der Typ auch noch ein Springsteen-Shirt. Mensch, Springsteen ist der BOSS, du Weichwurst!

Beim Verlassen der Trabrennbahn mussten wir an einer jungen Frau vorbei gehen, die gerade dabei war, ihre Hosen herunter zu lassen, um danach aus einer leichten Hockstellung eine unbekannte Menge Harnflüssigkeit ins Freie zu entlassen, ohne sich von den zahlreichen heimwärts strebenden Konzertbesuchern auch nur ansatzweise irritieren zu lassen. Hamburger Kultursommer 2011!

Mein Russischlehrer, damals vor 30 Jahren auf der Penne, pflegte immer zu sagen: „Zivilisation ist, wenn man ein Wasserklo besitzt. Kultur ist, wenn man es benutzen kann.“ Da sage noch mal einer, das Bildungswesen in der Zone hätte nichts getaugt.

Ein Kommentar zu “Let’s go Murphys

  1. Montreal kenne ich aber anders. Ich bin aber auch noch jung und dementsprechend eher deren Klientel. Daher wohl Fehlbesetzung als Vorbändchen.

    Aber wieso sagt mir eigentlich keiner was von diesem Konzert?! Ich versuch mich jetzt in den eigenen Arsch zu beißen, Gott verdammt!

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