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Udo Lindenberg in Leipzig, 13.06.2014

Sonnabendvormittag, wir brausen auf der A9 nordwärts, plötzlich flackern auf Höhe der Raststätte Köckern vor uns auf allen Spuren Bremslichter, wir legen eine astreine Vollbremsung hin und kommen dank ABS und ausreichenden Sicherheitsabstandes problemlos zum Stehen. Nach einer kurzen Schrecksekunde setzt sich die Blechlawine wieder in Bewegung, im Vorbeifahren sehen wir eine Entenfamilie, die in aller Seelenruhe gerade die Fahrbahn überquert hat. Mutti watschelt vorneweg, als wolle sie sagen „Keine Panik“, und sechs bis acht Küken folgen ihr völlig unaufgeregt. Das bleibt nicht unsere einzige Begegnung der dritten Art – nur wenige Kilometer weiter überfliegt ein Storch in weniger als zwei Metern Flughöhe die Fahrbahn, auch er völlig ohne jedes Anzeichen von Stress oder Gefahrenbewusstsein. Die seit Donnerstag andauernde Regentschaft des Panikpräsidenten über Mitteldeutschland hat zumindest im Tierreich schon mal Früchte getragen. Verwundern kann das uns, die wir am Vorabend Teilnehmer einer gigantischen Party im Zeichen allgegenwärtiger Panik sein durften, natürlich nicht mehr.

Unsere Reise hatte etwa 24 Stunden vorher, am Freitagvormittag, hoch im Norden begonnen, voller Vorfreude waren mein Kumpel Dieter und ich vom Ostufer des Schweriner Sees Richtung Pleißestrand aufgebrochen, um im Leipziger Zentralstadion das dritte von vier Konzerten der Stadiontour 2014 von Udo Lindenberg & dem Panikorchester zu erleben. Zweimal war der Meister schon in Düsseldorf aufgetreten, am Sonnabend sollte das Finale folgen, wir hatten „dank“ eigener Zögerlichkeit beim Kartenkauf „nur“ noch Karten für das Zusatzkonzert bekommen. Egal – wichtig war am Ende nur, dass wir dabei sein konnten, denn auch die Show am Freitagabend war natürlich ausverkauft.

Mit Tickets für den Bereich „Front of Stage 1“ hatten wir eine gute Wahl getroffen. Einmal war natürlich die Sicht auf die Bühne bestens, zum anderen herrschte da aufgrund der begrenzten Stückzahl an verkauften Karten bei weitem nicht so ein Gedränge wie weiter hinten, so dass man sich wirklich voll dem Konzertgenuss hingeben kann.

Die Organisation rund um das Konzert war absolut erstklassig. Nach der schlechten Parkerfahrung am Zentralstadion beim Springsteen-Konzert 2013 blieb das Auto diesmal gleich jenseits der Jahnallee in einem Wohngebiet stehen, was uns zum einen 10 Euro Parkgebühr und vor allem später bei der Abfahrt endlose Wartezeit ersparte. Der Einlass zu den Stehplätzen verlief vollkommen entspannt und zügig ohne jegliches Gedränge oder gar Ellenbogeneinsatz, sehr freundliche und hilfsbereite Stewards wiesen den Weg in Richtung unserer Plätze.

Die Zeit bis zum Veranstaltungsbeginn ließ sich hervorragend mit der Besichtigung unzähliger „Hilfs-Udos“ vertreiben, die mehr oder weniger gelungen im Outfit ihres Idols erschienen waren. Ohne Rücksicht auf Körpergröße und –umfang, Haarfarbe oder –länge und nicht zuletzt auch Geschlecht wurde dabei eine äußerst große Bandbreite an Ähnlichkeiten ausgeschöpft, man kann sagen, es war für jeden etwas dabei. Einzelne gingen sogar so weit, Bewegungsstil und Sprechweise des Meisters zu imitieren, ich bin mir relativ sicher, dass darunter auch noch ein paar Leute waren, die sich selbst sogar für Udo Lindenberg hielten.

Egal – die Zeit verging fast wie im Fluge, außerdem wurde ja auf der Bühne auch noch für Unterhaltung gesorgt. Den Anfang machte dabei Max Buskohl, der nur mit Gitarre und Mikrofon „bewaffnet“ eigene Lieder vortrug – größtenteils in englischer Sprache, aber auch ein deutscher Titel war dabei. Mit dem großen, noch lange nicht gefüllten Stadion bei Tageslicht zurechtzukommen ist sicher nicht einfach, der junge Mann meisterte dies aber äußerst souverän und natürlich, man darf sicher gespannt sein, demnächst vielleicht mehr von ihm zu hören.

Von der Teilnahme des Künstlers an einer berüchtigten RTL-Castingshow hatte ich übrigens bis gestern noch gar nichts gewusst, da ich diese Sendung nie anschaue. Dass Max Buskohl dort freiwillig ausgestiegen ist, wie ich beim Googlen erfahren konnte, spricht aber schon mal sehr für ihn.

Nach einer kurzen Pause ging es dann im Vorprogramm weiter mit der Midnight Rambler Allstar Band, deren Besetzung schon mal einen kleinen Vorgeschmack auf das Motto des Abends – „Familientreffen“ – lieferte. Mit Pascal und Julien standen schon mal zwei Drittel der Kravetz-Musikerdynastie auf der Bühne, dazu gesellte sich die Familie Taylor: Vater Ken war mir als Bassist von Wolfgang Niedeckens Leopardefell-Band und somit aus dem 1995 in Berlin gedrehten Video zu „Hungry Heart“ (Bruce Springsteen) bekannt, und hatte noch seine Frau und seinen Sohn (beide Gesang) dabei.

Zusammen mit Gitarrist und Frontmann Carl Carlton (Panikorchester, Maffay u. a.) gaben die Musiker Klassiker des Rock’N’Roll, Soul und Reggea zum Besten und brachten das Publikum schnell auf Betriebstemperatur. Am Ende des Vorprogramms sang dann noch Andreas Bourani zwei aus dem Rundfunk bekannte Songs, was nicht ganz den ungeteilten Beifall des Publikums fand, jedenfalls nicht den einiger etwas älterer Hardcore-Lindianer ein paar Reihen hinter mir. Diese mussten sich aber nicht lange ärgern, denn nach einer letzten kurzen Umbaupause, hob sich pünktlich um 20:30 Uhr der elektronische Vorhang zum Hauptact des Abends.

Die große Videowand hinter der Bühne teilt sich in der Mitte und der Bug des Rockliners schiebt sich auf die Bühne. Von Bord gehen die Musiker des Panikorchesters und rollen den akustischen (roten) Klangteppich für Udo Lindenberg aus, der von der gegenüberliegenden Seite kommend über die Köpfe des Publikums hinweg quer durch das Stadion auf die Bühne schwebt und mit „Odyssee“ eine gigantische Party der Superlative startet.

In den nächsten fast drei Stunden werden wir Zeugen einer positiv wahnsinnigen Mischung aus Rockkonzert und Varieté, Rock’n’Roll, Big Band und Pop, mal laut und temperamentvoll, mal leise und nachdenklich. Das Leipziger Publikum, verstärkt durch viele aus allen Himmelsrichtungen Angereiste, macht die Show von der ersten bis zur letzten Minute zum Heimspiel und darf seine Stadt wohl zu Recht als „Panik-Hauptstadt“ feiern lassen.

Ein Höhepunkt jagt den nächsten, es ist gar nicht so einfach, da einzelne Momente herauszugreifen. Ich versuche es trotzdem:

Einen grandiosen Auftritt liefert Udo gemeinsam mit Peter Maffay. Große Teile des Panikorchesters waren regelmäßig als Tourband mit Maffay unterwegs, so dass natürlich alle auf einer Wellenlänge musizieren. „Sie brauchen keinen Führer“ warnt vor den Umtrieben am äußeren rechten Rand des politischen Spektrums, der mit fremdenfeindlichen und rassistischen Parolen in die Mitte der Gesellschaft drängt – ein fast 30 Jahre alter Text, der heute leider aktueller denn je ist, hoffentlich haben alle gut zugehört.

Noch älter ist „Na und?!“, ein Lied über Freundschaft und Liebe, die nicht danach fragen, ob beide verschiedenen Geschlechtern oder dem gleichen angehören, weil es, wenn es passiert, einfach nicht wichtig ist. In der Ansage zu diesem Lied und mit Videoeinblendungen thematisiert Udo vor allem die Situation in Russland und namentlich die Rolle Putins bei der Verfolgung und Unterdrückung gleichgeschlechtlicher Liebe, die Botschaft des Songs gilt aber uns allen: Für eine offene, bunte und tolerante Gesellschaft, gegen Fremdenfeindlichkeit und Homophobie.

Wiederholt wechseln sich während des Programmes solche stillen Momente, in denen das Mitsingen des Publikums immer wieder für Gänsehaut sorgt, mit ausschweifender, temperamentvoller Partylaune ab. Dies sorgt für eine beeindruckende Dynamik, die einen einfach nicht loslässt. Verstärkt wird das noch durch eine überaus aufwändige Produktion mit vielen überraschenden Effekten, besonders in den zahllosen Videosequenzen, die die Musik perfekt illustrieren. Es ist ein multimediales Fest für die Sinne, das ich als Lindenberg-Rookie so, ehrlich gesagt, nicht erwartet hätte.

Perfekt fügen sich die vielen Gäste in das Programm ein. Neben dem schon erwähnten Peter Maffay sind das Sebastian Krumbiegel (Prinzen), der Udo für einen kleinen Auszug aus „Rock’n’Roll Arena in Jena“ am Klavier begleitet, Clueso (natürlich!) bei „Cello“, Jan Delay bei „Ganz anders“ und „Reeperbahn“, Max Herre bei „Bunte Republik Deutschland“ (auch das einer DER Höhepunkte des Abends) und die Hauptdarstellerin von „Hinterm Horizont“, Josephin Busch. Nicht vergessen möchte ich auch „Kids on Stage“, die bei „Wozu sind Kriege da“ für manchen Kloß im Hals sorgten.

Und doch gehört dieser Abend vor allem einem: Udo Lindenberg. Immer wieder „menschelt“ es gewaltig, wenn Udo an vergangene Zeiten erinnert, sei es an die – je nach Laune der Parteioberen – offizielle Wahrnehmung des Künstlers in der DDR als Friedensheld oder Staatsfeind, oder an die ersten Auftritte nach dem Mauerfall im Osten, speziell hier in Leipzig, wo ein besonderes Band zwischen dem Sänger und seinen Fans geknüpft wurde. Man spürt, dass Udo hier kein routiniertes Anbiedern a la „Ihr seid die Geilsten“ abzieht, sondern dass diese Dankbarkeit seinem Publikum gegenüber (und natürlich auch umgekehrt) echt ist.

Nach knapp drei Stunden (beim Blick auf die Uhr bin ich echt überrascht) besteigt Udo eine Rakete und hebt ab – nicht ohne das Versprechen wiederzukommen. Die Inszenierung des Startvorgangs mit Video, Schall-Vibrationen, die den ganzen Körper erfassen, und einem nun auch buchstäblichen Feuerwerk bildet einen furiosen Schlusspunkt, bevor die Stadionlichter wieder angehen und fast 50000 begeisterte Konzertbesucher den Heimweg antreten. Ich bin ein bisschen neidisch auf alle, die das am Sonnabend (noch einmal) sehen dürfen, aber vielleicht gibt es ja wirklich ein nächstes Mal.

Danke, Udo!

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