AC/DC im Olympiastadion Berlin, 25. Juni 2015
Es gibt da so eine imaginäre Liste von Dingen, die ich gern erledigt haben möchte, bevor ich eines (hoffentlich noch sehr fernen) Tages die Reise auf dem „Highway to Hell“ antreten muss. Breiten Raum auf dieser Liste nimmt die Musik ein, da steht eine ganze Latte an Bands und Künstlern, die ich unbedingt mal live erleben wollte oder noch will. Ein Großteil der Liste ist inzwischen „abgearbeitet“, aber hin und wieder findet sich doch noch eine unerledigte Position, so auch (bis letzten Donnerstag) eine der größten Hardrock-Bands aller Zeiten: AC/DC.
Ein Riesenfan dieser Combo, der jeden Song beim ersten Akkord erkennt und von vorn bis hinten mitsingen kann, war ich nie, dennoch sind einige ihrer Werke bleibende musikalischen Erinnerungen an meine Jugendzeit und natürlich gehören die Männer um Angus Young ganz klar in die Kategorie „Sollte man mal live erlebt haben“. Also habe ich mich bei Bekanntgabe der Tourtermine für 2015 gleich ins Getümmel bei eventim gestürzt. Leider war ich für den Innenraum schon zu spät dran, so dass es nur für einen Sitzplatz in der Ostkurve des Olympiastadions, in fast maximaler Bühnenentfernung reichte.
Zum Vorglühen bin ich gegen 16 Uhr im Preußischen Landwirtshaus mit ein paar Freunden aus dem brandenburgischen Umland verabredet, das schaffe ich nicht ganz, da ich zunächst auf der A24 zwischen Walsleben und Neuruppin-Süd Augenzeuge eines Elefantenrennens werde, bei dem beide Akteure offenbar eine kleine Meinungsverschiedenheit lösen wollen, indem sie sich ständig abwechselnd überholen, beim Spurwechsel schneiden und anschließend ausbremsen. Es gibt schon seltsame Hobbies. Auch die Suche nach einem Parkplatz dauert etwas länger, fündig werde ich fast an derselben Stelle wie bei meinem letzten Besuch im Olympiastadion vor knapp zwei Jahren, in der Nähe einer englischen Schule.
Es sind unglaublich viele Menschen unterwegs. Wie es die Kleiderordnung für ein Hardrockkonzert vorschreibt, tragen die Leute überwiegend dunkle Klamotten, jede Menge Leder und Jeans, vereinzelt sind Schuluniformen zu sehen. Aber vor allem das Angebot an Kutten ist überwältigend, es sind prächtige Teile zu bestaunen, denen man ihre sorgfältige Pflege und Aufbewahrung ansieht, die diversen Aufnäher glänzen wie Seide vor Freude über den selten gewährten Sauerstoff und das unverhoffte Sonnenlicht.
Der Biergarten ist ordentlich gefüllt, es herrscht große Vorfreude auf das Konzert. Noch größer ist die Lautstärke, mit der sich die Gäste auf den Abend einstimmen. Ich war eine ganze Zeit nicht in Berlin, daher fällt mir das gegenseitige Anschreien, das wirklich an allen Tischen praktiziert wird, sofort auf. Es ist so laut, dass die Kellnerinnen bei der Aufnahme von Getränkebestellungen die gewünschte Anzahl nochmal mit den Fingern bestätigen, selbst wenn sie direkt neben der bestellenden Person stehen. Eigenartige Menschen, diese Brandenburger, aber so sind die Ohren wenigstens schon mal im Konzertmodus.
Vor der Frauentoilette hat sich eine beeindruckende Schlange gebildet, nebenan bei den Herren geht es deutlich zügiger voran. Die Mädels freuen sich über jeden, der mit süffisantem Grinsen an ihnen vorübergeht. Aber was will man machen? Vielleicht ist ja eine Lösung in Sicht, jemand meint, es gäbe mittlerweile schon Adapter zu kaufen, die es den Damen ermöglichen, im Stehen zu … na ja, das kann sich ja jede(r) selbst vorzustellen versuchen.
Langsam wird es Zeit, ins Stadion zu gehen. Auf dem Wege dahin kommen wir vor der S-Bahnstation an einem Straßenmusiker vorbei, der Bob Geldof ziemlich ähnlich sieht und „Californication“ von den Red Hot Chili Peppers singt und uns damit einen versteckten Hinweis auf die im Stadion gerade spielende Supportband „Vintage Trouble“ liefert. Die vier Musiker aus L.A. spielen durchaus anhörbare Songs, die in Rhythmus und Struktur an die Rolling Stones erinnern, die auch ihre Vorbilder zu sein scheinen, jedenfalls scheint sich der Gitarrist für seine Mimik und Gestik das eine oder andere bei Keith Richards abgeschaut zu haben. Für mich widerlegen sie auf jeden Fall das kolportierte Vorurteil, bei AC/DC gäbe es immer schlechte Vorgruppen.
Gegen 20:45 Uhr ist es dann so weit, auf den Großen Bildschirmen knallt und brennt es, zwei Astronauten rammen die australische Flagge in den Mondboden, ein paar Sekunden später stehen dann die Helden des Abends endlich auf der Bühne, um in den nächsten zwei Stunden eine mitreißende Mischung neuer Stücke vom aktuellen Album „Rock or Bust“ und berühmter Hits ihrer langen Karriere zu zelebrieren.
Dass sich die in die Jahre gekommenen Herren zwischen den Songs die eine oder andere Pause gönnen, stört den Konzertgenuss kaum, auch das Publikum ist mit den Jahren nicht jünger geworden, wobei man schon sagen kann, dass AC/DC zu den Bands gehören, die durchaus mehrere Generationen vereinen und auch nach mehr als vierzig Jahren noch neue, jüngere Fans dazu gewinnen. Dass ihnen das mit einer über die Zeit nie veränderten Songrezeptur gelingt, macht das umso bemerkenswerter.
Das Geschehen auf der Bühne lässt sich im Wesentlichen auf eine unglaubliche Energieleistung Angus Youngs reduzieren, der unermüdlich von einer Bühnenseite zur anderen und wieder zurück hetzt und dabei ununterbrochen die Saiten malträtiert. Da ist natürlich eine Menge Routine zu spüren, aber mindestens ebenso viel pure Spielfreude und Lust am Rock’n’Roll. Er ist der eigentliche Frontmann der Band und nicht etwa Sänger Brian Johnson, der seinen Part solide abliefert und ebenfalls permanent die Bühne beackert. Aber seine Stimme ist letztlich „nur“ eines von fünf Instrumenten. Die übrigen Bandmitglieder treten optisch kaum in Erscheinung.
Kommunikation mit dem Publikum gibt es kaum, was zu sagen ist, übernimmt Angus mit der Gitarre und gelegentlichen einheizenden Gesten. Im Mittelpunkt steht die Musik, für die Optik gibt es Videoanimationen und spezielle Requisiten bei einzelnen Songs, so zum Beispiel die Glocke bei den unvermeidlichen „Hells Bells“ oder eine üppig ausgestattete, animierte Rosie, die zu ihrem Song verführerisch das linke Bein abspreizt und mit der Hand die Innenseite ihres Oberschenkels massiert.
Mehr Schnickschnack ist aber auch nicht nötig, die Musik von AC/DC trägt sich selbst. Deutlich wird das, als Angus etwas zu schnell für seine Kollegen kurz die ersten drei/vier Töne von „Thunderstruck“ anspielt und das Publikum sofort in ekstatischen Jubel ausbricht. Auch sonst wird jeder einzelne Song euphorisch begrüßt, gehen die 70000 Besucher im ausverkauften Olympiastadion begeistert mit. Ich habe auf dem Oberrang der Ostkurve eine relativ bewegungsscheue Umgebung erwischt, viele bleiben während des ganzen Konzertes sitzen, was ich bei AC/DC so nicht erwartet hätte. Aber jeder kann und soll natürlich den Abend so genießen, wie er es selbst möchte, das ist mir lieber als selbsternannte Animateure, die permanent die Umgebung tyrannisieren. Das haben wir zum Glück auch nicht.
Etwas irritiert bin ich von tausenden rot blinkenden Teufelshörnchen überall im Stadion. Kurzzeitig mache ich mir Sorgen, dass plötzlich ein rotes Marsimoto-Klon auf die Bühne springt und Brian Johnson mit verkiffter Stimme zu Reggae-Klängen aus Angus‘ Hawaiigitarre singt. Aber wenn es sogar der Band gefällt, immerhin werden die Dinger ja im Stadion verkauft, kann man wohl nichts machen. Egal, was zählt, ist die Musik.
Auf der Heimfahrt nach einem erlebnisreichen Abend übernimmt ein Schwerlasttransport auf der A24 zwischen Kremmen und Wittstock die Rolle des Bremsers, so dass ich später zu Hause bin als erhofft. Das stört mich aber weniger, denn ich kann einen weiteren Haken auf meiner musikalischen Lebensliste setzen und ich kann nun aus eigener Erfahrung bestätigen: AC/DC sollte man auf jeden Fall einmal live erlebt haben.
Setlist Vintage Trouble
Hard Times / Blues Hand Me Down / Total Strangers / Jezzebella / Angel City, California / Run Like The River / Strike Your Light (Right on Me)
Setlist AC/DC
Rock Or Bust / Shoot to Thrill / Hell Ain’t a Bad Place to Be / Back in Black / Play Ball / Dirty Deeds Done Dirt Cheap / Thunderstruck / High Voltage / Rock’n’Roll Train / Hells Bells / Baptism by Fire / You Shook Me All Night Long / Sin City / Shot Down in Flames / Have a Drink on Me / T.N.T. / Whole Lotta Rosie / Let There Be Rock
Highway To Hell / For Those About to Rock (We Salute You)