Hanseator

Musik, Fußball und manchmal auch ein bisschen Hansa

Heimspiel

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Marteria im IGA-Park Rostock, 13. Juni 2015

Es ist schon faszinierend, welchen unterschiedlichen Einfluss Musik manchmal auf die persönliche Stimmungslage haben kann, je nachdem, ob sie live erlebt wird oder aus der „Konserve“ kommt. Bühnenpräsenz des Künstlers, Interaktion mit dem Publikum sowie äußere Bedingungen, Atmosphäre und Gruppendynamik zeigen mitunter erstaunliche Wirkung.

Ich hatte, besonders in meiner Jugendzeit, große Schwierigkeiten, Rap überhaupt als Musik wahrzunehmen, und, um ehrlich zu sein, hat sich bis heute nur wenig daran geändert. Trotzdem habe ich gestern abend den Weg in den IGA-Park gefunden. „Schuld“ daran ist ein Künstler, der in den letzten Jahren für mich mehr als „nur irgendein Rapper“ geworden ist. Ein gebürtiger Rostocker, der nicht müde wird, seine Heimatstadt landesweit positiv in das öffentliche Bewusstsein zu rücken.

Vor allem aber steht Marteria wie kaum ein anderer „Ehemaliger“ für seinen Fußballverein öffentlich ein. Das ist, wie wir Hansafans lernen mussten, ja durchaus nicht selbstverständlich, ist es doch momentan eher en vogue, sich in einer Zeit wachsender öffentlicher Skepsis gegenüber dem F.C. Hansa in der lokalen Politik, in einschlägigen Medien, aber auch im regionalen Sport mittels Abgrenzung zu profilieren. Und nicht zuletzt hat Marteria mit dem Benefizspiel im März einen wesentlichen finanziellen Beitrag dazu geleistet, dass es für die Hansa-Gegner überhaupt noch etwas zum Abgrenzen gibt. Insofern war es für mich Ehrensache, mit dem Kauf einer Eintrittskarte zum Konzert auch etwas zurückzugeben.

Mit mir sind 19999 weitere erwartungsfrohe Besucher im IGA-Park erschienen. Die gut gefüllte Fläche vor der Bühne bietet einen tollen Anblick. Geschätzte 70% der Leute tragen Trikots, T-Shirts, Jacken des F.C. Hansa, dazu kommen jede Menge blau-weiße Schals und Fahnen. Kurzes Kopfrechnen: 70% von 20000 sind 14000. Leute, wo seid ihr denn immer bei den Heimspielen?

Beim Merchandising herrscht reges Treiben. Ein „Mein Rostock“-Schal findet reißenden Absatz und ist zwischenzeitlich sogar kurzzeitig vergriffen, es wird aber schnell für Nachschub gesorgt. Die Preise für Fanartikel sind nicht von schlechten Eltern, 25 Euro für ein T-Shirt, 45 Euro für ein Hoodie, gekauft wird aber trotzdem. Insofern – wohl alles richtig gemacht.

Beim Catering sieht es ähnlich aus. Mit Preisen von 7 Euro und mehr für eine Mische ist es kein Wunder, wenn den Kids der Bock auf Kiffen, Saufen, Feiern vergeht. Dafür weicht das Angebot allerdings auch mal vom üblichen 3B-Standard (Bratwurst, Boulette, Bier) ab. Meine persönlichen Favoriten sind „Pulled Pork“, bei niedriger Temperatur langsam gegartes Schweinefleisch mit Krautsalat im Brötchen, und ein überaus leckeres, frisch gebackenes Brot mit Käse/Schinken oder Käse/Champignons und Sour Creme. Man muss da nur sehr deutlich sprechen, um das richtige zu bekommen, wird aber für Trinkgeld mit Glockengeläut belohnt.

Egal, heute ist Konzert. Die Stimmung ist bestens, der Himmel über der Bühne ist bewölkt, sieht aber nicht weiter besorgniserregend aus. Das spätere Unheil erwischt uns jedoch hinterrücks aus der anderen Richtung. Pünktlich zum Auftritt des Supportacts Chefket (Berlin) dreht der Himmel zum ersten Mal kurz den Wasserhahn auf. Ein feiner, solider Regen tröpfelt mit zunehmender Stärke und Windunterstützung auf uns herab. Zum Glück habe ich in weiser Voraussicht noch eine Regenjacke dabei. Die hat mir schon oft gute Dienste geleistet und hält auch zunächst ganz gut der Nässe stand. Als Chefket (solider Auftritt, der gut ankommt, meine grundsätzliche Meinung zum Rap allerdings nicht zu ändern vermag, immerhin erscheint aber auch er im Hansatrikot!) die Bühne verlässt, macht auch der Regen erst mal eine kurze Pause.

Nach der Umbaupause setzt pünktlich der nächste Guss ein und wird bis zum Konzertende mit wechselnder Stärke unser treuer Begleiter durch den Abend bleiben. Ein Pärchen vor uns begeistert die Umstehenden mit dem vergeblichen Versuch, sich unter einem riesigen Bogen Frischhaltefolie vor der Nässe zu schützen, scheitert aber mit der Entfaltung der Folie grandios. Lustig sieht es auf jeden Fall aus.

Dann erscheint ein Moderator der „Ostseewelle“ auf der Bühne, auch das noch! Der Mann lässt sich und seinen Sender dafür feiern, Marteria nach Rostock geholt zu haben (nicht wirklich, oder?), verschwindet dann zum Glück aber schnell und ein faszinierendes Konzert nimmt seinen Lauf.

Vom ersten Ton an wird deutlich, dass Marten in seinem Leben viele richtige Entscheidungen getroffen haben muss und mit der Entscheidung für die künstlerische Laufbahn sein Meisterstück abgeliefert hat. Er erweist sich als geborener Entertainer, der sein Publikum von der ersten bis zur letzten Sekunde in der Hand hat und nicht mehr loslassen wird. Fast jeder der 20000 Anwesenden tanzt und springt im Rhythmus der Songs, tausende Arme sind in der Luft, um zu winken und zu klatschen. Selbst ich erwische mich immer wieder beim Mitwippen und Klatschen (hatte ich meine Meinung zu Rap eigentlich erwähnt?). Und dann diese unfassbare Textsicherheit der Leute, vor allem auch jüngerer und ganz junger Konzertbesucher, das ist echt beeindruckend.

Immer wieder gehen im Publikum Fackeln an, steigt mehrfarbiger Rauch zum Himmel empor. Was dann aber bei „Bengalische Tiger“ abgeht, sprengt jeden bisher bekannten Rahmen. Der IGA-Park steht minutenlang komplett in Flammen, ein atemberaubender Anblick. Insgesamt scheint es, dass im Verlauf des Abends der komplette Bedarf einer Auswärtssaison mit Hansa in Flammen aufgeht. Großer Sport!

Bei Marteria Girl öffnen sich im Himmel alle Schleusen, die Regentropfen werden immer größer und schwerer. Während meine „Regenjacke“ ihre Tätigkeit endgültig eingestellt hat, gelingt es dem Folienpärchen, zumindest die Köpfe teilweise einzuwickeln. Ich schicke Stoßgebete himmelwärts, aber die Wolken wollen sich nicht mal ansatzweise lila verfärben.

Zwischendurch erscheint Marterias Alter Ego Marsimoto für ein paar Lieder auf der Bühne. Sorry an den Künstler und alle Fans, aber das ist für mich musikalisch jetzt doch eine Spur des „Guten“ zu viel. Für mich klingt das nach Alvin & The Chipmunks auf Speed. Ich konzentriere mich so hauptsächlich auf die Texte und – immerhin – gibt es mit „Der Nazi und das Gras“ doch ein recht witziges Stück. Vielleicht kann er das ja mal als Gedichtband herausbringen.

Dann steuert der Abend auf ein gigantisches Finale zu. Mit „Welt der Wunder“ entdecke ich mein erstes Marteria-Lieblingslied für mich, ein großartiger Text zu wunderbaren Harmonien und dazu die beeindruckende Ansicht unseres blauen Planeten auf der Bühne – jetzt stimmt einfach alles. „Offiziell“ ist das Konzert beendet.

Natürlich ist es das nicht, Marteria erscheint im Hansa-Trikot der neuen Saison auf der Bühne und nach ein paar bewegenden Worten beginnt, nur wenige Kilometer von Groß Klein, dem Zuhause seiner Kindheit, entfernt, die musikalische Liebeserklärung an seine Heimatstadt: „Mein Rostock“. Die Gänsehaut und die kalten Schauer, die meinen regendurchnässten Rücken hinunter laufen, kommen definitiv nicht vom Wetter. Und so geht es wohl allen. Eine intensive Spannung liegt in der Luft, wenn jetzt der Blitz einschlüge, könnte er niemandem etwas anhaben, so stark ist das atmosphärische Kraftfeld über dem IGA-Park.

Es folgt ein mehrminütiger gemeinsamer Gesang von „Dem Morgengrauen entgegen“, der Künstler und Publikum vereint, bevor mit den letzten, allerletzten und (nun aber wirklich) aller-aller-allerletzten 20 Sekunden der Blutkreislauf für den Heimweg hüpfenderweise allmählich wieder in Gang gebracht wird. Ein Wahnsinnsabend ist zu Ende!

Ein Sohn Rostocks, der dort einst vor 20 bis 30 Leuten seine ersten Auftritte hatte, später über Zwischenbau und MAU immer größere Veranstaltungsorte füllte und im letzten Jahr in der ausverkauften Stadthalle begeisterte, hat nun in seiner Stadt vor 20000 Menschen gespielt. Wie soll man das noch toppen? Wenn es nach Marteria geht, kommt dafür nur ein Ort in Frage: das Ostseestadion. Ich denke mal, das sollte sich einrichten lassen.

Ich werde wahrscheinlich auch in Zukunft keine Rap-Alben kaufen, sieht man einmal von einer (hoffentlich) geplanten DVD zur aktuellen Tour oder vielleicht sogar von diesem Abend ab. Aber im Ostseestadion wäre ich auch wieder dabei, das ist sicher.

Lassen wir abschließend den Künstler noch einmal zu Wort kommen:

„Für euch bin ich nicht Marteria. Für euch bin ich Marten!“

Danke, Marten!

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