14. Fanclubturnier des Union-Fanclubs Wildauer Kickers in Senzig, 4. Juli 2015
Freitagabend, es ist 19 Uhr, als Sirenenklang die beschauliche Abendstille im brandenburgischen Senzig brutal zerreißt. Nur wenige Minuten später ist ein Einsatzfahrzeug der Freiwilligen Feuerwehr unterwegs zum idyllisch gelegenen Sportplatz „Am Wiesengrund“, dem Schauplatz des 14. Internationalen Fanclubturniers der Wildauer Kickers. Geht ja gleich gut los, 18 Uhr war offizieller Beginn, es sind noch nicht mal alle angereist, und schon muss Feuer gelöscht werden? Kann man diese „sogenannten Fans“ nicht eine Minute allein lassen? Haben wir eine neue Dimension des Freizeitfußballs erreicht?
Nun ja, die Wirklichkeit ist – wie so oft – weit weniger dramatisch und boulevardtauglich. Von einem der die Anlage umgebenden Hänge droht ein Baum nach unten zu stürzen und gefährdet so die am Rande des Platzes stehenden Zelte. Nachdem diese vorübergehend beiseite geräumt werden, geht es dem vorwitzigen Gehölz mittels Drehleiter und Motorsäge an den Kragen und das Fest kann ohne weitere Störenfriede seinen Lauf nehmen. Danke für die schnelle Hilfe! Der erste Rekord steht schon mal.
Der erste Abend gehört traditionell einer (be)rauschenden Eröffnungsparty für die von außerhalb anreisenden Teams und Gäste, für internationales Flair sorgen der St. Andrews Celtic Supporters Club aus Schottland, die Stierwascher (Austria Salzburg) und ein mutinationales Team namens „G.F.C. Rovers“. Den deutschen Fußball außerhalb Köpenicks repräsentieren Fanclubs von Wismut Aue und Wacker Burghausen (Fanaten), vom 1. FC Köln, Chemie Leipzig (Feinherb), Hansa Rostock (Stralsunder Kickers) und gleich zweimal Rot-Weiss Essen (Stauderkommilitonen und Assindia Amici). Auch einige Union-Fanclubs aus Senzig, Oranienburg und Halbe sowie die Eisernen Ladys und Titelverteidiger Red Flame sind schon vor Ort und machen die erste Nacht zum Tage.
Insgesamt nehmen in diesem Jahr 22 Mannschaften teil, also zwei mehr als üblich und vermutlich neuer Teilnehmerrekord. Wer mag sich da wohl verzählt haben? Das in diesem Jahr zum zweiten Mal ausgetragene Neunmeterschießen, mit dem die Gruppeneinteilung für das Turnier ermittelt wird, gestaltet sich bereits als erster Höhepunkt. Die Trefferquote ist … äh … bescheiden, was doch etwas überrascht, gilt doch gerade diese Teildisziplin als eine angebliche Spezialität des deutschen Fußballs. Dafür kommen jedoch die Ästheten unter den zahlreichen Schaulustigen voll auf ihre Kosten, denn so mancher erfolglose Schütze weiß dennoch mit künstlerisch wertvollen Darbietungen zu begeistern.
Als Torwart stellt sich kein geringerer als der frühere (2007-2011) Union-Spieler Macchambes Younga-Mouhani zur Verfügung. Da er in seiner Profizeit auch in Burghausen und Essen aktiv war, gibt es so manchen Moment des unerwarteten Wiedersehens mit alten Bekannten. Sportlich bereitet ihm das Strafstoßschießen auch als Feldspieler keine nennenswerten Probleme, wie schon erwähnt, machen es ihm die Spieler auch relativ leicht zu glänzen. Zuvor hat „Mac“ schon eine kurze Trainingseinheit mit Senziger Nachwuchsfußballerinnen abgehalten und den jungen Spielerinnen noch die eine oder andere Anekdote aus seiner aktiven Zeit mit auf den Weg gegeben.
Es ist ein sehr farbenfroher Abend, immer wieder erhellen Lichter in allen möglichen Farben den Himmel, liegen Nebelschleier über dem Platz und geben der Außenwelt deutliche Signale, dass König Fußball seinen rechtmäßig beanspruchten Thron auch im Sommer nicht verlässt. Und natürlich schallt manch lautstarker Gesang über den Wiesengrund, der hier seine akustischen Vorzüge besonders entfalten kann, denn es dringt kaum ein Geräusch in die Außenwelt. Eine kleine Beschwerde aus der Nachbarschaft gibt es dem Vernehmen nach, weil der abziehende Rauch auf seinem Weg in die Atmosphäre einer benachbarten Terrasse zu nahe kommt. Die Antwort des gastgebenden Vereins: „Macht doch einfach kurz die Tür zu oder – noch besser – geht runter und trinkt mit den Leuten ein paar Bier.“ Es ist genau dieser Sportsgeist, der Senzig als Veranstaltungsort einzigartig und die SG Südstern zum perfekten Gastgeber macht.
Am Turniertag zieht der diesjährige Sommer alle Register. Die Spiele finden bei tropischen Temperaturen statt, auf dem Rasen werden stolze 45,4 °C gemessen, auch das klingt rekordverdächtig. Unter diesen Bedingungen bemühen sich alle Mannschaften um eine gemäßigte Gangart, die Spiele verlaufen überaus fair, so dass keine Verletzten und auch keine Hitzeausfälle zu beklagen sind. Wenn es doch mal kurz hitzig (in jedem Sinne) zu werden droht, hilft eine kurze, freundliche Erinnerung an den Turniergedanken und alle kriegen sich schnell wieder ein. Überhaupt ist an dieser Stelle mal ein Riesenlob an das „Tonteam“, bestehend aus Moderator Thomas und DJ Pille, fällig, die unaufdringlich und mit viel Humor den langen Tag begleiten und so zum Gelingen der Veranstaltung beitragen. Und wenn ich schon beim Bedanken bin: Es ist unvorstellbar, was die Wildauer Kickers als Gastgeber jedes Jahr auf die Beine stellen, also vielen Dank an die vielen fleißigen Helfer für eine perfekte Rundumbetreuung, dank der man sich bei euch wirklich wie zu Hause fühlt. Jede/r einzelne von euch darf sich herzlich gedrückt fühlen.
Die Endrunde wird etwas verkürzt ausgetragen, aufgrund der hohen Temperaturen bleibt es den Mannschaften überlassen, ob sie spielen wollen oder die Entscheidung gleich im Neunmeterschießen fallen soll. Eine vernünftige Lösung, die auch in fast allen Fällen einvernehmlich über die Bühne geht. Das Finale gewinnen dann die „Rovers“ gegen Köln und sichern sich so erstmals den Turniersieg.
Die Siegerehrung, bei der „Mac“ Younga-Mouhani die Pokale überreicht, und das abschließende gemeinsame Foto aller Turnierteilnehmer und Gäste werden dann zum inzwischen traditionellen Bekenntnis für unsere historisch gewachsenen Fußballwerte, und gegen den totalen Ausverkauf und Missbrauch unseres Sports als bloße Marketingplattform gestaltet. Mit einem bunten Farbengemisch auf und über dem Wiesengrund findet der sportliche Teil des Wochenendes seinen würdigen Abschluss.
Aus Schottland ist in diesem Jahr erfreulicherweise wieder eine größere Truppe am Start, von der auch fast alle als Spieler aktiv sind. Besonders hervorzuheben ist hier Yvonne, die sich als wahre Spitzenathletin in allen Turnierdisziplinen auf und neben dem Platz erweist. Und „alle“ heißt hier wirklich alle: Yvonne kann nicht nur ganz gut mit dem Ball umgehen, sondern ist auch auf der Tanzfläche und am Tresen eine ernsthafte Konkurrentin für jeden Teilnehmer. Es ist unfassbar, welche Menge an Flüssigkeit in diesen kleinen Körper passt, ohne ihre Aktivität in irgendeiner Form einzuschränken, sieht man mal von einer ganz kurzen Auszeit am Sonnabendnachmittag ab, von der sie aber rechtzeitig zur Party zurückkehrt.
Der Abend steht im Zeichen der Begegnung, bunt gemischt feiern Fans verschiedener Vereine sich selbst und ihren Sport. Am „Celtic-Tisch“ werde ich Zeuge, wie zwei junge Salzburger im Dialog mit „Wullie“, der einen sehr starken Akzent pflegt, bei dem sogar die anderen Schotten manchmal nachfragen müssen, ihre englische Aussprache vervollkommnen, Stichwort: „Edinburgh“. Die jüngeren Schotten nutzen die Zeit, um mal nach Herzenslust mit Feuer und Rauch herumzutoben – ein schönes Bild. Teammanager Paul äußert wiederholt, wie gerne er so eine Veranstaltung mal zu Hause haben würde, aber das wäre selbst ohne Pyro wohl unmöglich, einfach weil es zu viele Bedenkenträger gibt, deren Vorstellungsvermögen ein solches Fantreffen übersteigt.
Die traditionelle Feuershow weicht in ihrer Art von den letzten Jahren ab, an die Stelle bunter Raketen treten beeindruckende Effekte mit Feuerstrahlen im Rhythmus von AC/DC’s „Thunderstruck“. Später folgt noch ein musikalischer Höhepunkt: Mike, der zu Hause in Schottland als Sänger mit der Band „Amber Road“ unterwegs ist, singt zwei Songs der Band live und löst damit, wie schon vor zwei Jahren große Begeisterung aus.
Auch die schönste Party geht irgendwann zu Ende, gegen 2 Uhr morgens geht langsam sogar das Bier zur Neige, auch DJ Pille ist am Ende seines Programmes angelangt. Den Schlusspunkt setzt eine spontane „Uffta“, gestartet von den feinherben Chemikern und neben dem Dank an großartige Gastgeber mit drei wesentlichen Aussagen, die durch die Nacht schallen:
Scheiß RB Leipzig! Scheiß Kommerz! Nur der Fußball!
In Momenten wie diesen wird deutlich: Bei Veranstaltungen wie dem jährlichen Turnier der Wildauer Kickers schlägt das Herz des Fußballs.
Es werden noch ein paar Verabredungen für gegenseitige Spielbesuche bei Austria oder Celtic getroffen, dann kehrt allmählich Ruhe ein, während sich am nächtlichen Himmel Dunkles zusammen braut. Später in der Nacht zieht ein Gewitter über die Gegend und das Berliner Umland hinweg, es knallt ordentlich und Blitze lassen die Umgebung taghell erscheinen. War ja klar, dass sich der Himmel so etwas nicht zwei Tage hintereinander bieten lässt: Selbst schuld, wenn man Helene Fischer im Olympiastadion auftreten lässt!
Das war also mein zehntes Mal. Ich denke, dass ich nicht der einzige bin, der die Tage in Senzig wie ein gigantisches Familienfest empfindet. Auf ein Neues 2016!