50 Jahre F.C. Hansa Rostock – 28.12.2015
Lieber F.C. Hansa,
zum ersten Mal über den Weg gelaufen sind wir uns am 3. März 1979 im Leipziger Zentralstadion, wohin dein Oberligagastspiel beim 1. FC Lok wegen Unbespielbarkeit des Platzes im Bruno-Plache-Stadion verlegt worden war. Die ungefähr 7500 Zuschauer, die sich damals in der riesigen Betonschüssel verloren, sahen ein denkwürdiges Spiel, in dem sich beide Mannschaften nach wiederholt wechselnder Führung am Ende 5:5 trennten. „Fischköppe raus!“, „Kische, Kische, hüte deine Fische!“, so erklang es immer wieder aus unserem Fanblock. Was waren wir jung. Und lustig.
Etwas mehr als ein Jahr später war ich dann zum ersten Mal im Ostseestadion zu Gast. Zum Saisonauftakt 1980/81 gab es wieder ein Unentschieden zwischen beiden Mannschaften (2:2). Wir saßen damals in der Kurve, wo sich heute Block 1 & 2 befinden. In Erinnerung geblieben ist mir ein fetter alter Kerl mit Vollbart auf der Haupttribüne, der uns nach der schnellen Hansa-Führung höhnisch grinsend den zwischen Zeige- und Mittelfinger eingeklemmten Daumen zeigte, was wir beim Ausgleich 15 Minuten vor dem Schlusspfiff dann zum Glück freundlich erwidern konnten. Das Rückspiel am 21. Februar 1981 im Bruno-Plache-Stadion gewann Hansa dann mit 2:1, ob der alte Fettsack im Stadion war, weiß ich nicht, den Daumen hat uns dann stellvertretend die Mannschaft um Rainer Jarohs, Juri Schlünz und Gerd Kische gezeigt.
Wir sind uns in den 80er und 90er Jahren dann noch gelegentlich begegnet, herausragend für mich war natürlich das Pokalfinale 1987 in Berlin, aber ich will hier keine alten Wunden aufreißen. Oder der 8. November 1989, ein Mittwochabend inmitten wendiger Zeiten. Ich wohnte inzwischen in Wismar, das Oberligaspiel endete 3:3, danach verbrachte ich wegen eines defekten Zündschlosses die halbe Nacht in Rostock. Und dann war da noch unser letztes Treffen als sportliche Gegner, am allerletzten Spieltag der (inzwischen) NOFV-Oberliga besiegte Lok den schon feststehenden Meister mit 4:1. Ich stand oben in der Kurve der heutigen Blöcke 8 & 9, zusammen mit meinem Schwager und einem Kollegen von ihm, der mich immer wieder verständnislos ansah (man konnte mir den Spielverlauf vom Gesicht ablesen), als wollte er fragen: Was stimmt denn mit dir nicht?
All meine Besuche im Ostseestadion oder auch beim Pokalfinale 1987 hatten eines gemeinsam: Die Mannschaft konnte sich immer einer unglaublichen Unterstützung durch ein überaus fanatisches Publikum sicher sein. Lektion 1 für den Neu-Mecklenburger seit 1988: Zuerst kommt Hansa, dann eine ganze Weile nichts! Anders ausgedrückt: Ich hatte nach den sportlichen und politischen Entwicklungen seit 1990 und auch aus familiären Gründen – inzwischen war ich endgültig in Mecklenburg sesshaft geworden – irgendwann die Wahl, gar nicht mehr ins Stadion zu gehen oder eben zu Hansa. Keine wirklich schwere Entscheidung, zumal es in der Zeit um die Jahrtausendwende sportlich ja auch ganz ordentlich lief (Erfolgsfan, ich weiß).
Auch wenn der sportliche Erfolg mit den Jahren nachließ, der Lust am Stadionbesuch und den gemeinsamen Touren quer durch das Land mit Freunden, von denen ich viele bei und dank Hansa kennenlernen durfte, tat dies keinen Abbruch. Im Gegenteil, je prekärer die Lage, umso mehr weiß man doch die immer seltener werdenden Glücksmomente zu schätzen, bei denen man dabei sein darf. Nur ein paar Stichworte:
- 20. Mai 2000 – 2:0 gegen Schalke im Parkstadion, ein Jahr nach Bochum wieder die Rettung am letzten Spieltag
- 24. August 2002 – 4:0 in Cottbus, nach einer 0:3-Demütigung 6 Monate zuvor eine Demonstration!
- 30. März 2007 – 2:1 in Jena, nach Ausgleich in der Schlussphase im direkten Gegenzug der Siegtreffer, 1.200 Hansafans in der Jenaer Südkurve drehen völlig durch. Siegtorschütze Cetkovic bemerkt im Adrenalinrausch beim Abklatschen am Zaun das Ende des Hansa-Bereiches nicht und jubelt so auch noch mit vor Wut schäumenden Jenaern, ein Bild für die Götter.
- 25. September 2007 – 3:1 im Berliner Olympiastadion, einer der schönsten Auswärtssiege aller Zeiten, 10.000 Hanseaten an einem Dienstagabend in kollektiver Extase.
- 23. November 2013 – 2:1 im Zentralstadion gegen
RB… du weißt schon wen. 6.000 Hansafans im Gästeblock, bei „Steht auf, wenn ihr für Hansa seid!“ erhebt sich gegenüber die halbe Osttribüne.
Du hattest auch ganz furchtbare Erlebnisse für uns parat, ich denke an Spiele gegen den HSV, in Kaiserslautern und Darmstadt, gegen Ingolstadt, Bornheim und Neustrelitz (WTF?!), hier fallen mir spontan noch einige mehr ein, gerade in der jüngeren Vergangenheit, oder dass wir nun schon das dritte Jahr in Folge um den Klassenerhalt in Liga 3 (LIGA DREI!) zittern. Aber was soll’s, es sind nicht ausschließlich die sportlichen Ergebnisse, die in einer Freundschaft zählen.
Auch abseits des Platzes war es nicht immer einfach mit uns beiden, Stichworte: Stadionname, Südtribüne, ganz zu schweigen von den unsäglichen Ereignissen, die in diesem Herbst dein öffentliches Erscheinungsbild prägten und noch lange nachwirken werden. Nun hast du es sogar geschafft, in nicht mal eineinhalb Jahren erst das 60jährige Stadionjubiläum und nun auch noch den 50. Vereinsgeburtstag mehr oder weniger in den Ostseesand zu setzen. Das nenne ich doch mal hanseatische Gründlichkeit.
Aber weißt du was, Hansa? Das alles ist völlig nebensächlich, denn du bist nicht „einfach nur ein Fußballverein“. Doch, du bist natürlich ein Fußballverein, und über deine Ergebnisse freuen oder ärgern sich Woche für Woche unzählige Menschen überall in unserem Bundesland und weit darüber hinaus. Aber du bist vor allem ein überaus relevantes gesellschaftliches Ereignis, das über die Maßen polarisiert und zugleich fasziniert. Du bringst Menschen zusammen, die ein gemeinsames Ziel verfolgen, die einen beträchtlichen Teil ihrer Zeit dafür aufwenden, dir zu folgen, vom finanziellen Einsatz ganz zu schweigen. Es gibt Leute, die dich lieber heute als morgen von der Bildfläche verschwinden sähen, aber selbst denen bist du – wie man sieht – nicht egal.
Lieber F.C. Hansa,
wir kennen uns jetzt schon mehr als 35 Jahre. Ein „Paar“ sind wir noch nicht so lange, grob geschätzt sind seit unseren ersten vorsichtigen Annäherungsversuchen um die 18 Jahre vergangen. Du bist einer der Gründe, dass ich, der ich mit 16 Jahren „Fischköppe raus!“ gegrölt habe, mich mittlerweile in Mecklenburg so zu Hause fühle, als wäre ich hier geboren. Ich habe bei deinen Spielen großartige Menschen getroffen und kennengelernt, von denen ich einige als gute Freunde bezeichne. Wir hatten zusammen gute Zeiten, wir haben schwierige Zeiten, gemeinsam werden wir unseren Weg weitergehen.
Heute wirst du 50 Jahre alt, nicht unbedingt ein stattliches Alter im deutschen Fußball, mit 1899 können wir da nicht mithalten, aber wer will das schon. Für einen früheren DDR-Club ist das ein „normales“ Alter, immerhin hast du nun schon zehn Jahre länger durchgehalten als das Land deiner „Geburt“. Durchhalten wirst du auch weiterhin, wünschen wir allen Beteiligten Geschick und Glück bei den bevorstehenden existenziellen Entscheidungen zur Zukunft des Vereins. Ich wünsche dir heute einen schönen Tag und viele ehrliche Gratulanten. Du kannst dir sicher sein, dass deine Fans Wege finden, auch ohne große Gala das Jubiläum angemessen zu zelebrieren.
Ach, und einen persönlichen Wunsch habe ich noch. Wir standen uns ja schon im Pokalfinale gegenüber, ich würde zu gerne nochmal mit dir gemeinsam hinfahren.