Erster Tag, 25.November 2016
Es ist das letzte Wochenende im November, und das bedeutet was? Richtig, die Ropiraten begeben sich auf ihren alljährlichen Wochenendausflug in das Land, dem die Menschheit das großartige Wasser des Lebens verdankt. Ziel der Reise ist in diesem Jahr Glasgow, der Spielplan der schottischen Fußballliga SPFL hielt für uns die Begegnung Celtic F.C. gegen St. Johnstone bereit – theoretisch jedenfalls. Praktisch sah es so aus, dass sich die Bhoys für das Finale des Ligapokals („Betfred Cup“) qualifiziert hatten und somit das Ligaspiel dem für den Sonntag angesetzten Finale weichen musste.
Die gute Nachricht: Bei der Gelegenheit kommen wir mal in den Hampden Park. Die schlechte Nachricht: Es dürfte nahezu aussichtslos sein, auf Karten aus dem begrenzten Celtic-Kontingent zu hoffen, selbst unsere 27 deutschen Ingenieurstitel würden uns diesmal wohl kaum als Türöffner nützen. Sehr schade, aber andererseits – so lange keiner auf die Idee kommt, sämtliche Bars und Pubs übers Wochenende zu schließen, würden wir uns die Zeit schon angemessen vertreiben. Und da war ja auch noch der Ausflug zur Glengoyne Distillery, in deren heiligen Hallen der kostbare Schatz der Ropiraten seinen mehrjährigen Reifeprozess durchläuft.
Ganz ohne Fußball geht es natürlich nicht, und so kam beizeiten die Idee auf, vielleicht ein Ligaspiel zu besuchen, es gibt ja in Glasgow und Umgebung noch andere Teams. Eines hatte ich sogar schon einmal besucht: 2014 durfte ich einen 3:1-Sieg von Partick Thistle gegen die Hibs bewundern. Aber da würden wir in diesem Jahr wohl auch kein Glück haben, denn die erwarteten am Sonnabend den Stadtrivalen Rangers F.C., das relativ kleine Stadion dürfte aus allen Nähten platzen. Mit dieser Befürchtung lag ich aber sowas von komplett daneben. Eine Woche vor dem Spiel konnte ich doch tatsächlich vier Tickets über die Vereins-Homepage zur Abholung in der Geschäftsstelle bestellen. Wer sagt es denn?
Gleichzeitig wurde bekannt, dass bei Celtics Finalgegner Aberdeen noch Karten im freien Verkauf erhältlich waren, einziger Haken hier war die Frage, ob der Versand innerhalb der kurzen Zeit von gerade mal acht Tagen bis zur Abreise noch gelingen würde. Würde er nicht, aber mit nur einer E-Mail konnte die Lieferung in unser Glasgower Hotel veranlasst werden.
Ein kleines bisschen unsicher, ob das alles klappen würde, bin ich dann am Freitagmorgen doch, als ich um halb sechs die Fahrt zum Flughafen Berlin-Schönefeld antrete. Dichter Nebel ist mein Begleiter durch verschlafene Landstriche links und rechts der „Erlebnisstraße der Deutschen Einheit“ in Mecklenburg und Brandenburg, wie die A24 neuerdings heißt. Das per Verkehrsfunk angekündigte Erlebnis Stau auf der Berliner Stadtautobahn hebe ich mir lieber für eine andere Gelegenheit auf, und so umrunde ich die Hauptstadt über den östlichen Ring und finde mich überpünktlich am Flughafen ein. Als erstes und bislang einziges Mitglied der Reisegruppe darf ich mich über ein frisch gezapftes Guinness im guten, alten Kilkenny Pub freuen.
Die Wartezeit auf meine Gefährten vertreibe ich mir damit, eine Gruppe junger Männer am Nebentisch zu belauschen. Dies lässt sich nicht vermeiden, denn die fünf oder sechs „Jungs“ Ende zwanzig/Anfang dreißig (Typ Prenzlberger Schwaben) sind unfassbar laut und versuchen permanent, gleichzeitig zu Wort zu kommen. Ich fürchte, es handelt sich um einen Junggesellenabschied, bei dem die netten Jungs aus guten Hause mal so richtig die Sau raus lassen wollen, wenn Schatzi (oder sogar Mutti?) nicht zuschaut.
Auf jeden Fall haben sie viel zu viel Bier bestellt. Einer von ihnen schreit plötzlich: „Jungs! Wir müssen.“ Ein anderer versucht, den Inhalt seiner beiden vollen Gläser aufzuteilen und witzelt dabei: „Nachher im Puff wird aber nicht geteilt … haa haa haaa“, der Rest geht in allgemeinem Grölen unter. Ich kämpfe mit den Tränen, dann schreit wieder der erste: „Jungs! 60 Sekunden!“ Eine qualvolle Minute später herrscht dann paradiesische Ruhe, die Schwabenyuppies sind weg, nur ein einsames Bier verdunstet traurig und ungetrunken in der Pub-Luft, den Soundtrack zu dieser bedrückenden Szene liefern passenderweise die Sportfreunde Stiller.
Dann trudeln nach und nach meine Reisegefährten ein, es wird wieder etwas lauter, aber sein Bier trinkt jeder selbst aus. Wäre ja noch schöner. Unser Airbus wird mit dreißig Minuten Verspätung abheben, aber uns treibt ja nichts. Beim Flug in westliche Richtung lockern sich die Wolken mehr und mehr und geben den Blick frei auf die Westfriesischen Inseln, Windparks und Ölplattformen in der Nordsee und die englische Kreideküste. Später erblicke ich Newcastle mit der großen Tyne-Mündung, auch die Forth Bridge in Edinburgh glaube ich zu erkennen, was mich daran erinnert, dass ich da auch mal wieder hin muss.
Das malerische Panorama der Highlands kündet von der bevorstehenden Landung, dann tauchen wir in die wieder zunehmende Wolkendecke ein und erreichen wohlbehalten Glasgower Boden. Ein Linienbus bringt uns in die Innenstadt, eine knappe halbe Stunde später sind die Zimmerschlüssel im Premier Inn George Square verteilt, außerdem halte ich einen Briefumschlag aus Aberdeen mit meinen Finaltickets für Sonntag in den Händen. Wow, das klappt also wirklich.
Den angebrochenen Nachmittag nutze ich, um die Tickets für das morgige Spiel von Partick Thistle abzuholen. Für den Weg zum Firhill Stadium brauche ich nicht mal eine halbe Stunde, zwei Stationen mit der U-Bahn bis St. George’s Cross sind zu fahren, von da sind es noch knapp zehn Minuten Fußweg. Die Geschäftsstelle befindet sich gleich hinter der ersten Tür am Tribünengebäude, gut vor den Augen ortsunkundiger Fußballtouristen versteckt. Das wird mir aber erst nach einer vollständigen Stadionumrundung bewusst, bei der ich außer am Fanshop, der nur an Spieltagen öffnet, nirgendwo die in Deutschland üblichen Hinweisschilder entdecke. An einem Klingelschild mit Wechselsprechanlage werde ich endlich fündig, tatsächlich liegt ein Umschlag mit meinem Namen bereit. Ich kaufe dazu noch vier weitere Karten, dann trete ich den Rückweg in die Innenstadt an.
Im „Lauder’s“ schließe ich mich einem Teil der Reisegruppe an, der dort gerade ein wenig feste Nahrung zu sich nimmt. Aus den Lautsprechern dröhnt in ohrenbetäubender Lautstärke Musik der 1980er Jahre, der Lärm ist so unerträglich, dass sich die Vegetarier unter uns gegenseitig das Essen wegzunehmen versuchen. Am Ende werden alle satt und wir wandern ein wenig stadteinwärts, um der einen oder anderen Bar einen kurzen Besuch abzustatten. Nach Zwischenstopps in Etablissements mit verlockend klingenden Namen wie „Maltman“ oder „Horseshoe“ landen wir schließlich an einem sehr vertrauten Ort: Die Tolbooth Bar empfängt uns mit offenen Armen und handgemachter Musik, Karl Byrne, alter Bekannter vom St. Patrick’s Day 2015 und sommerlicher Andrea-Berg-Support sorgt für Stimmung und erfüllt auch unsere Musikwünsche.
Tolbooth hat eine einzigartige Atmosphäre, in der man sich immer schnell wie ein Stammgast fühlt. Die Leitungen glühen, man findet schnell Kontakt zu den Einheimischen. Bei Guinness, Tennants oder Stella und der einen oder anderen Probe des berühmten schottischen Lebenswassers vergeht der Abend wie im Fluge. Am Tresen neben mir steht ein älterer Herr, so um die 70, der ganz begeistert ist, dass wir am Sonntag zum Finale gehen wollen. Er zeigt mir ein altes Youtube-Video von 1974 über einen Celtic Supporters Club namens „Gorbals Emerald“, in dem er kurz zu sehen ist. Ein tolles Zeitdokument, das ganz nebenbei den Beweis dafür liefert, dass damals in Ost und West die gleichen fiesen Scheitel getragen wurden.
Bevor wir uns ins Hotel zurück begeben, checken wir kurz das musikalische Programm am Wochenende. Volltreffer! Am Sonntag wird Paul Sheridan von The Wakes auftreten. Mit einem letzten Pint in der Hotelbar „Thyme“ geht der Tag unserer Anreise zu Ende.