Hanseator

Musik, Fußball und manchmal auch ein bisschen Hansa

Volle Lotte

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Sportfreunde Lotte – F.C. Hansa Rostock 0:2, „FRIMO Stadion“, 22. Juli 2017

Was für ein Auftakt! Elfmeter bekommen (und verwandelt!), ohne Gegentor geblieben und den unerwarteten Auswärtssieg mit einem Tor des (mindestens) Monats gesichert! Der musculus buccinator schmerzt bereits vom debilen Auswärtssiegsdauergrinsen. Fußball kann so schön sein, HANSA KANN SO VIEL SPASS MACHEN!

Neue Saison mit fast komplett neuer Mannschaft, die meisten Spieler in einem Alter, wo Mutti abends vor dem Spiel die Reisetasche packt, dazu ein neuer Trainer, der zu allem Überfluss auch noch zwei Tage vor dem Spiel schnell mal einen neuen Torhüter ohne Spielpraxis aus dem Ärmel zaubert. (Für die bereits gedruckte Stadionzeitung kam diese Ausgeburt moderner Transferpolitik zu spät. Sage keiner, Hansa wäre nicht spontan.)

Die erste Reise führt zu einem Gegner, der uns in der letzten Saison zweimal nach allen Regeln der Kunst vorgeführt hat. Und unser Rezept gegen das Altaussehenlassen heißt „Jugend forscht“? Macht auch nicht jeder, ein Wahnsinn, das alles. Aber egal, wir fahren ja doch immer wieder hin. Also steigen wir 8 Uhr morgens in den flotten Mietwagen und düsen dem Morgengrauen hinterher. Okay, es ist dank Sommerzeit eine durchaus moderate Startzeit, immerhin ist Lotte mit knapp 350 Kilometern einfacher Entfernung aus Schwerin fast schon ein Nachbarort, sowohl Abfahrt als auch Ankunft gelingen bei Tageslicht. Ich denke schon jetzt mit Grauen an den obligatorischen Winterausflug zur Andrea-Berg-Alm.

Unterwegs vertreiben wir uns die Zeit mit Fahren nach Gehör im sintflutartigen Regen, der sich rund um Bremen über die A1 ergießt. Im Radio erklärt uns derweil eine „Stylebloggerin“, was uns zum perfekten Outfit fehlt. Freut euch schon mal auf den Zeitpunkt, an dem mir zu Fußball und/oder Musik eines Tages nichts mehr einfällt, dann werde ich es euch mal so richtig zeigen.

Zwei Stunden vor dem Anstoß rollen wir auf den Gästeparkplatz, für einen Platz auf der befestigten Fläche vom letzten Mal ist es schon ein bisschen zu spät, aber der Untergrund rund ums Gehöft ist erfreulich trocken und fest – keine Gefahr, dass wir uns festfahren könnten. Einige Neuankömmlinge zeigen sich wieder überrascht von der ländlichen Idylle im Schatten des Autobahnkreuzes, was uns langjährigen Lotte-Touristen natürlich nur noch ein gelangweiltes Gähnen entlockt.

Nach dem bewährten Motto „Vereint marschieren – getrennt zuschlagen“ teilt sich unsere Reisegruppe diesmal auf. Danny und Johannes begeben sich in den Gästestehblock. Während Eike und ich es uns zum altersgerechten Pöbeln im Sitzblock bequem machen, darf sich Johannes schon im zarten Vorschulalter dank Selfie mit Marten L. aus Rostock als Endboss fühlen. Dann nehmen wir Lotte über 90 Minuten akustisch mal so richtig in die Zange, dass den (laut eigenem Fangesang) „asozialen Bauern“ Hören und Sehen vergeht.

Aus Hintertorperspektive, Höhe Eckfahne, haben wir einen hervorragenden Blick auf das Spielfeld. Die Sportfreunde haben sich wie wir einen neuen Rollrasen gegönnt. Dass dieser ähnliche gelbe Stellen hat wie das Grün im Ostseestadion, beruhigt mich etwas. Auch der Einbau einer Rasenheizung wird stolz vom Stadionsprecher verkündet, der mir ansonsten diesmal nicht ganz so penetrant auf die Nerven geht wie beim letzten Mal. Selbst die zwar immer noch gewaltige Beschallung aus der Lautsprecheranlage scheint mir erträglicher als im Frühjahr, aber auch die Natur in Lotte scheint ihren Frieden mit dem Lärm gemacht zu haben, hinter „unserer“ Box nistet eine Vogelfamilie. Die stolzen Eltern sind zwar ausgeflogen (haha!), aber der Nachwuchs wirkt keineswegs verzweifelt, wie er so mit aufgerissenem Schnabel den Kopf aus dem Nest streckt.

Rechts von uns befindet sich der Heim-Stehblock, in dem die „Freibier Ultras“ den Ton angeben und (meist vergeblich) versuchen, das restliche Heimpublikum zum Mitmachen zu animieren. Rein äußerlich würde als Name übrigens auch „Bierbauch Ultras“ passen. (Um das zu schreiben, bin ich extra in mein eigenes Glashaus gegangen.) Die Zaunbeflaggung kann sich aber durchaus sehen lassen, im Block geben abwechselnd zwei Trommler den Takt vor, die dabei mehr Ausdauer beweisen als große Teile der Umstehenden. Letztlich macht es ihnen der Spielverlauf aber auch nicht gerade leichter, für Stimmung zu sorgen.

Das Spiel beginnt mit etwas Verzögerung, vermutlich wegen der TV-Übertragung, unsere Mannschaft zeigt sich trotzdem auf den Punkt vorbereitet. Die Einstellung auf Spiel und Gegner passt, da hat das Trainerteam in der Vorbereitung einen guten Job gemacht. Die Gastgeber hatten das wohl in Erinnerung an unseren letzten Besuch nicht so erwartet, aber darauf können wir leider keine Rücksicht nehmen.

Das erste Tor resultiert aus einem schön eingefädelten Angriff über die linke Seite. Bouziane flankt von der Grundlinie in den Strafraum, es folgt ein Pfiff und der Schiedsrichter zeigt zum Tor. „Eh, der war doch nicht aus, du … (zensiert)“, fange ich an zu pöbeln, während Eike mich darauf hinweist, dass es Elfmeter gibt. Evseev ist im Strafraum zu Fall gekommen. Wow, guter Schiedsrichter, sieht nicht jeder. Benyamina verwandelt mit Eiseskälte, während die volle Lotte erst mal bedient ist.

Die letzten zehn Minuten der ersten Halbzeit wirken die Hanseaten (die übrigens in Blau, und nicht im befürchteten neongelben Trikot spielen) etwas unkonzentriert, aber außer einem gut geschossenen Freistoß, den unser neuer Torhüter Blaswich über das Tribünendach hinaus klären kann, kommt von den Gastgebern nicht viel.

Die zweite Hälfte verläuft bei größeren Spielanteilen für Lotte recht ruhig, mitten in die verzweifelte Schlussoffensive hinein gelingt Bryan Henning dann sein Geniestreich der Kategorie „Tor des Monats“, wie man ihn gewöhnlich nur von Ü50-Spielern bei Fanturnieren geboten bekommt. Vielen, gerade älteren Fans schießen spontan Freudentränen ins Gesicht. Ein weltbekannter Ropirat gibt später per Social Media zu Protokoll: „Ich habe genau 45 Jahre auf dieses Tor gewartet! Wer auch immer du bist, Herr Henning, diesen Augenblick werde ich nie vergessen.“ Wir auch nicht, Pfütze.

Dem Heimpublikum gefriert das vom Stadionsprecher bis zum Erbrechen malträtierte „Volle Lotte!“ auf den Lippen, während wir zufrieden nach dem Schlusspfiff die Heimreise antreten, außer der obligatorischen Einkehr bei KFC am Autohof Bockel geschieht nichts Berichtenswertes mehr. Wobei – die einheimische Presse hat noch einen kleinen Vorfall aus dem Polizeibericht abgeschr aufbereitet:

(Screenshot: Norddeutsche Neueste Nachrichten, 23. Juli 2017)

Lässt man mal die reißerische, schlimme Massenkrawalle implizierende, Überschrift beiseite, bleibt übrig, dass, so weit bis jetzt bekannt wurde, vermutlich (ich war ebenso wenig am Ort des Geschehens wie der Verfasser des Artikels) drei der geschätzt 1800 angereisten Hansafans in den erwähnten Vorfall verwickelt sind, einer davon hat mutmaßlich mit einem Wurfgegenstand einen Polizisten verletzt. Beeindruckend für mich ist vor allem (neue Dimension und so), dass Pfefferspray jetzt schon als anerkanntes Mittel zur Personalienfeststellung gilt. Aber noch interessanter wäre für mich der Beitrag des Hundes. Ich hoffe, es geht ihm bald besser, wäre schade um das außergewöhnliche Tier.*

Inzwischen ist der erste Spieltag komplett, Hansa nimmt Platz 3 ein, was aufgrund der Nichtberechtigung der Bremer U23 zum direkten Aufstieg in Liga 2 berechtigt. Gegen ein sofortiges Saisonende gibt es daher keine nachvollziehbaren Einwände. Da auf mich aber nur selten jemand hört, geht es nächste Woche weiter und zwar mit dem absoluten Spitzenspiel gegen Tabellenführer Großaspach. Bis dahin pflegen wir erst mal ungeniert die ungewohnte Euphorie, ganz so, wie es ein anderer Ropirat einst so treffend formulierte:

Hansafans: Wenn es läuft, drehen sie durch. Ansonsten sind es halt Mecklenburger.“**

*Anmerkung 1: Ich bedaure ausdrücklich, dass der Hund verletzt wurde, allerdings gibt der Artikel weder Auskunft über die Art noch die Entstehung der Verletzung. Es ist ja auch nicht völlig ausgeschlossen, dass vom Hund angegriffene Menschen zur Verteidigung ihrem Selbstschutzreflex erliegen. Das herauszufinden, wäre mal eine Aufgabe für Journalisten. Und natürlich wünsche ich auch dem verletzten Polizisten baldige Genesung und Wiederherstellung der Dienstfähigkeit.

**Anmerkung 2: Ja, und Vorpommern auch.

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