Hanseator

Musik, Fußball und manchmal auch ein bisschen Hansa

Ein Sommernachtstraum

Ein Kommentar

Nopperhof FestEvil, Langen Trechow, 28./29. Juli 2017

Ich habe ja nichts gegen Niederschläge, aber …

Keine Angst, hier folgt jetzt kein endloses Wehklagen besorgter Urlauber an der Wetterfront. Wie heißt es so schön? Es gibt kein schlechtes Wetter, es gibt nur falsche Kleidung.

Was haben sich meine eigens für‘s legendäre Force Attack 2011 erworbenen Gummistiefel gefreut, endlich mal wieder aus der ewigen Dunkelheit ihrer unbeachteten Schrankecke ans Licht geholt zu werden. Ganz feine Kerle und ohne Aufwärmzeit auf den Punkt einsatzbereit. Wie kein anderes Schuhwerk verkörpern diese Boots die Symbiose von Kultur und Natur in zeitlos schöner Schlichtheit. Oder doch eher schlichte Schönheit? Outdoor Usability meets Street Credibility, oder als Hashtag: #FCKSNKRS!

Freitag

Also zumindest bekleidungstechnisch bin ich für alle Eventualitäten gerüstet, die ein zweitägiger Ackerausflug ins mecklenburgische Hinterland für arglose Stadtbewohner bereithält, als ich mich am Freitagmittag auf den Weg zum Nopperhof in Langen Trechow mache, wohin Nico und seine FestEvil-Crew nun schon zum fünften Mal eingeladen haben. Unsicherheit verbreitet nur die Frage, ob es wohl gelingen wird, den fahrbaren Untersatz ohne bleibende Schäden auf das Feld und wieder herunter zu manövrieren – hier kämpft sich die Erinnerung an das eingangs erwähnte Force Attack und die dort beobachteten Offroad-Aktivitäten unheilsschwanger aus den Tiefen des Unterbewusstseins ans Tageslicht.

Sei es drum, wird schon alles seinen geregelten Gang gehen, Bange machen gilt nicht. Vor dem Befahren der Campingzone empfiehlt mir ein Feuerwehr-Ordner, mich nicht festzufahren. Trifft sich gut, denn genau das will ich ja tatsächlich nicht. Die Wiese macht aber durchaus einen passablen Eindruck, also nicke ich kurz und bedeutsam und steuere meinen Stellplatz an. Zelt oder ähnliches brauche ich nicht, als (inzwischen) Kombi-Fahrer ist die Fläche aus umgeklappter Rückbank und Kofferraum lang genug, um mir sogar gestrecktes Liegen zu ermöglichen.

Ich schaue ein bisschen den Nachbarn beim Zeltaufbau zu, beziehungsweise bei dem, was der recht frische Westwind zulässt. Mein lieber Freund Adrian aus Rostock stemmt sich tapfer gegen die Naturgewalt, leider verfügen die Zeltstangen nicht mehr ganz über die Widerstandskraft früherer Jahre, was den Hobby-Architekten aber nicht anficht: „Och, wenn man erst mal drin ist, geht es eigentlich.“ Das ist genau die richtige Einstellung.

Ein paar Böen und Regenschauer später steht die Behausung. Als dann auch noch die Sonne verschämt hinter der letzten Wolke des Tages hervorschaut, ist unsere kleine FestEvil-Welt in Ordnung. Versonnen gönnen wir uns noch ein Bierchen, bevor es zum ersten Mal zur Bühne geht. Zwischen Einlass und Bühne wird schnell deutlich, dass der gute Ratschlag des Ordners an der Zufahrt durchaus seine Berechtigung hat, denn der weiche Boden gibt immer wieder unter den Füßen nach. Ein Teil des Weges, passenderweise rund um den Toilettenwagen, ist bereits mit Stroh gepflastert. Den berühmten Dialog aus einem Klassiker des Heimatfilms denkt sich jetzt bitte jeder selbst. Es scheint mir eine gute Idee zu sein, die jetzt noch im Auto auf ihren Einsatz wartenden Gummistiefel zu aktivieren, was ich sogleich in die Tat umsetze.

Untenrum“ bin ich mit einer knielangen Hose bekleidet und besagten Gumboots an den Füßen, darunter schützen Fußballstutzen die Waden gegen Reibung an den Stiefelkanten, eine Hansa-Regenjacke aus der VEOLIA-Kollektion umschmeichelt lässig die Schultern. Der Schriftzug des früheren Hauptsponsors wird später beim Toiletten-Personal mit Begeisterung wahrgenommen: „Guck mal, VEOLIA. Die waren doch vorhin schon mal da.“ Ein schwarzer Fischerhut zum Schutz gegen übermäßige UV-Strahlung komplettiert das stylisch wertvolle Outfit, so dass ich mich nun umfassend und ohne Gedanken an Nebenwirkungen der Kultur unter freiem Himmel hingeben kann. Sommer ist, was man daraus macht.

Und nun Schluss mit der Wetterbetrachtung, das wird weder den Veranstaltern, noch der großartigen Crew und schon gar nicht den Bands gerecht, die doch das FestEvil ausmachen. Fangen wir mal mit letzteren an. Es ist beeindruckend, welch großartiger musikalischer Fang dem Team um Nico mal wieder ins Netz gegangen ist. (Nico … Netz … Habt ihr‘s? Geile Anspielung, oder?) Das Line-Up kann sich wirklich sehen und hören lassen.

Am Freitag kommen vor allem Freunde etwas härterer Klänge auf ihre Kosten, als „Quoten-Metaller“ holen Bloodpunch ihren im Vorjahr krankheitshalber abgesagten Auftritt nach. Ich bin, zugegeben, nicht so der Headbangertyp, nichtsdestotrotz liefern die Greifswalder ein solides Brett ab, ich ertappe mich dabei, wie die Fußspitzen immer wieder im Takt mitwippen.

Es folgt der bereits erwähnte Schuhwechsel, als ich zurückkehre liegen seltsame Vibes über der Bühne und der Fläche davor. MaidaVale versetzen mit psychedelischen Klängen den Nopperhof zurück in die 60er Jahre, die Janis-Joplin-eske Performance von Sängerin Matilda sorgt für einen Hauch Woodstock-Feeling schon vor Einbruch der Dämmerung. Mit dieser großartigen Band hat sich Nico schon mal ein erstes Bienchen für sein Muttiheft verdient. Grundsätzlich kann man ohnehin mit den teilnehmenden Bands aus Mecklenburg-Vorpommern nichts falsch machen, aber wo, um alles in der Welt, treibt man solche Perlen wie die wunderbaren Schwedinnen auf? Hände hoch, wer sie vor dem FestEvil schon kannte, geschweige denn live gesehen hat.

Die energiegeladene Darbietung der nachfolgenden Tricky Lobsters aus Rostock ist genau das Richtige, um die Köpfe aus den Wolken zurückzuholen. Mit dem kürzlich veröffentlichten Album „Worlds collide“ im Gepäck bringen die Drei das immer zahlreicher werdende Publikum ordentlich auf Betriebstemperatur, dabei beeindruckt mich vor allem der fette Sound, der nicht vermuten lässt, dass da „nur“ je eine Gitarre und Bass plus Schlagzeug am Werk sind. Klarer Kaufbefehl also für das Album, das gehört in jedes gut sortierte Plattenregal!

Auf ein neues Caspars-Album muss die Welt wohl noch ein bisschen warten, natürlich heizen die Männer um Frontmann Snoopy dem Publikum trotzdem mit dem bekannten Repertoire gewohnt kraftvoll und schweißtreibend ein. Wäre ja auch noch schöner. Bei „Viva la Rostock“, Snoopy trägt eine schicke Maske, denken wir uns den legendären Filmdialog zu Ende. 

Mit Smoking Hut On Stones übernimmt nun eine von drei „Hausbands“ des FestEvil den letzten Slot vor dem internationalen Headliner des ersten Tages. Die „Rand-Bützower“ gehören praktisch zum Nopperhof-Inventar, und das völlig zu Recht. Ihre Hingabe und Spielfreude ist ansteckend, und ich bin froh, dass sie im schweren Jahr 2016 die Kraft gefunden haben, als Band weiterzumachen. Höhepunkt des Auftrittes der „Huts“ ist ein Gastauftritt von Mauler, bei dem förmlich die Luft auf und vor der Bühne brennt.

Ja, und dann ist es so weit. Mit „The Real McKenzies“ hat es Nico tatsächlich geschafft, eine der ganz großen, internationalen Top-Bands des Folk-Punks auf ihrer Jubiläumstour (25 Jahre) in die mecklenburgische Provinz zu holen. Es wird ein unbeschreibliches Erlebnis. Von der ersten Sekunde an stehen die Jungs um Sänger Paul voll unter Strom und zünden ein wahres musikalisches Feuerwerk. Die Stimmung erreicht den Siedepunkt, selbst ausgesprochene Tanzmuffel können gar nicht anders, als sich dem Rhythmus auszuliefern.

In der Konversation zwischen den Songs gibt es zur Abrundung des Konzerterlebnisses kostenlose Lebensweisheiten, wie zum Beispiel: „Lasst die Finger von pulverförmigen Drogen, trinkt lieber Alkohol!“ Zum Beweis kreist während der knapp 90 Minuten beständig eine Flasche Whisky auf der Bühne. Hauptabnehmer ist Paul, aber auch die Bandkollegen an Gitarre und Dudelsack kommen nicht zu kurz. Die Sorte kann ich leider nicht erkennen, aber die Bernsteinfärbung des Getränks weiß aus der Ferne durchaus zu gefallen. Mit dem selbstironischen „Fuck The Real McKenzies“ und dem hymnischen „Scots Wha Ha‘e“ (nach Robert Burns!) geht ein grandioses Konzert und zugleich der erste Abend des FestEvil 2017 zu Ende.

Sonnabend

Die Nacht im Auto (ich bin inzwischen einfach zu alt für‘s Zelt) verläuft ohne Störungen, es ist rund um meinen Stellplatz vergleichsweise ruhig, nimmt man die Vorjahre als Maßstab. Dafür drängt ab etwa 4 Uhr ein zunächst leises Tröpfeln, dann aber zunehmend intensives Plätschern vom Autodach an mein Gehör. Mit Sonnenaufgang wird die böse Ahnung zur Gewissheit: Ein Regentief hat es sich über Mecklenburg bequem gemacht und lässt alles, was geht, aus den inkontinenten Wolken raus.

Die Folge dieses ungewollten Ergusses ist eine zunehmend in Selbstauflösung befindliche Wiesenoberfläche, auf der es bald unmöglich sein wird, aus eigener Kraft das Gelände zu verlassen. Jetzt ist schnelles Handeln geboten. Ich drehe also gegen 8 Uhr zu Fuß eine ausgedehnte Runde durch die Campingzone, um eine einigermaßen befahrbare Strecke mit noch existentem Grasbewuchs zu finden. Dies gelingt mir tatsächlich, unterwegs kann ich beobachten, wie erste liegengebliebene Fahrzeuge mit dem Traktor (am Steuer: Nico!) aus ihrer misslichen Situation befreit werden.

Dieser Anblick wird als eine der prägenden Erinnerungen an dieses FestEvil im Gedächtnis haften bleiben, denn den ganzen Sonnabend und später auch am Sonntag sind fleißige Helfer/innen mit der Rettung gestrandeter Fahrzeuge beschäftigt. (Nicht nur) dafür wird es jetzt langsam Zeit, danke zu sagen. Die Ruhe, Geduld und Freundlichkeit, mit der jedes einzelne Crewmitglied – egal an welchem Platz – zum Gelingen des FestEvils beiträgt, ist beispielhaft. Egal, wie misslich die Lage auch scheinen mag, alle sind unbeirrt und mit ansteckender Begeisterung bei der Sache. Es wird nicht gejammert, es werden Lösungen gefunden.

Mein „Fluchtplan“ geht übrigens auf, entlang eines schmalen Grasstreifens schaffe ich es tatsächlich bis zur Ausfahrt und dort mit dem letzten bisschen Schwung wieder auf die befestigte Straße, was bedeutet, dass der für den Nachmittag vorgesehene Heimspielbesuch im Ostseestadion stattfinden kann. Ich liebe es, wenn ein Plan funktioniert. Nun habe ich auch Muße, mir ein ausgiebiges Frühstück zu gönnen. Wie immer, wird dieses von den ebenso fleißigen wie netten Frauen der Volkssolidarität liebevoll zubereitet.

Nach einem gar nicht mal so schlechten Fußballspiel kehren wir gegen 16:45 auf das FestEvil-Gelände zurück. Verpasst habe ich (wieder einmal) Zaunpfahl, aber zumindest erlebe ich noch die letzten drei Lieder von Vietsmorgen, beide Bands komplettieren das musikalische Inventar des Nopperhofes.

Der zweite Tag ist ansonsten etwas stärker auf Freunde der Blasmusik ausgerichtet. Mit den schon erwähnten Vietsmorgen, Skaos (aus Krumbach in Bayern) und Rantanplan (Hamburg) kommen Freunde des gepflegten Ska voll auf ihre Kosten. Rantanplan-Sänger Torben spricht aus, was jeder denkt: „Es ist schön, auf einem solchen familiären Festival zu spielen, viel schöner als beispielsweise Rock am Ring, das ist eine Art kulturelles McDonald‘s.“

Witzig ist auch seine Reaktion auf „Scheiß Sankt Pauli“-Rufe unmittelbar vor der Bühne. Mit der Antwort „Keine Politik!“ hat er die Lacher auf seiner Seite, ich versuche, mir das als Wechselgesang vorzustellen, während er deeskalierend fortfährt: „Ach ja, wir sind ja hier im Hansa-Land. Wir haben extra keine Pauli-Shirts angezogen.“ (Ja, er sagt „Pauli“, ohne „Sankt“.) Egal, auch Rantanplan liefern eine furiose Show, zumindest mir wird auch bei der dritten Ska-Punk-Band nicht langweilig. Abschließend ergeht eine Einladung: „Kommt zu uns auf St. Pauli, aber bitte nicht als Junggesellenabschied.“

Die Headliner „Letzte Instanz“, die vor Rantanplan an der Reihe sind und den längsten Auftritt am Sonnabend haben, fallen mit ihrer musikalischen Ernsthaftigkeit etwas aus dem Rahmen, was aber nicht weiter stört, denn die Fläche vor der Bühne ist bestens gefüllt und das anfänglich etwas reservierte Publikum geht später gut mit. Es ist eben eine Stärke des FestEvils, verschiedene Musikstile, die auf den ersten Blick nicht zusammenpassen wollen, zu vereinen und so eine große Bandbreite zu bedienen.

Ansonsten steht der Nachmittag im Zeichen des Feierns. Bei den Auftritten von Nullpunkt und Larrikins lässt sich niemand von den widrigen äußeren Bedingungen beeindrucken, im Modder vor der Bühne wird gepogt und gemosht, was das Zeug hält, so manche/r Besucher/in wird beim Schlammbaden für ein paar Stunden wieder zum Kind. Da lässt sich selbst die Sonne nicht lumpen und schaut anlässlich ihres Untergangs noch einmal für ein paar Minuten vorbei, bevor die Cosmonautix mit „Rocket Balalaika Speedfolk“ den Schlusspunkt setzen. Vielleicht wäre es überhaupt eine gute Idee, das FestEvil mal im Sommer zu veranstalten?

Die Frage ist natürlich, ob es dieses tolle Event auch in Zukunft so geben kann. Denn bei allem Spaß für die Anwesenden ist natürlich nicht zu übersehen, dass der Regen seine Spuren nicht nur auf dem Acker, sondern leider auch in der Abendkasse hinterlassen hat. Und bezahlt werden muss nun mal alles. Überlegungen, Nico beim Auffangen der zu erwartenden Verluste zu unterstützen, gibt es bereits, sei es mittels Spenden oder vielleicht durch den Verkauf eines Soli-Shirts. Ich denke, das ist eine schöne Gelegenheit für die Familie zusammenzustehen. Ich bin jedenfalls dabei.

Abschließend also nochmals ein riesiges Dankeschön an die gesamte FestEvil-Crew für ein erlebnisreiches Wochenende, für die freundliche und herzliche Betreuung in einzigartiger Atmosphäre an den beiden schönsten Tagen des Sommers. Auf bald!

Ein Kommentar zu “Ein Sommernachtstraum

  1. lustig, unterhaltsam, lesenswert und mit Statement zum Schluss!
    toller Erlebnisbericht!

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