Die Toten Hosen – Laune der NaTour, Düsseldorf, „Merkur Spiel-Arena“, 12. & 13.10. 2018
Gäste: Rogers, Massendefekt, Feine Sahne Fischfilet, Billy Talent
Mein nun wirklich und endgültig letztes Open Air im Jahr 2018 lässt mich noch einmal ein ganzes Wochenende verreisen. Die Toten Hosen haben nach Düsseldorf geladen, um praktisch im eigenen Wohnzimmer das Ende ihrer Tour in würdigem Rahmen und mit zwei gigantischen Parties zu zelebrieren. Die finale Show am Sonnabend war schneller ausverkauft, als ich meinen Rechner starten konnte, aber wenigstens konnte ich ein paar Tickets für das eilends angesetzte Zusatzkonzert ergattern. Vielleicht könnte ich ja vor Ort noch eine Karte auftreiben. Schließlich sorgte aber die Verpflichtung von Feine Sahne Fischfilet als Support für die Gewissheit, beide Abende im Stadion erleben zu können.
Anreise mit Hindernissen
Zwischen den beiden Landeshauptstädten Schwerin und Düsseldorf liegen etwas mehr als 500 Kilometer, überwiegend auf Autobahnen. Als ich gegen 10 Uhr den Motor starte, verheißt das Navi in grenzenlosem Optimismus eine errechnete Ankunftszeit von 14 Uhr. Daraus wird NATÜRLICH nichts. Ich will jetzt nicht mit Geschichten über Auffahrunfälle vor Baustelleneinfahrten langweilen (von den Baustellen selbst ganz zu schweigen) oder über die linke Spur blockierende Pick-ups mit Schalke-Aufklebern am Heck jammern, ihr kennt das ja selbst.
Der freitagnachmittägliche Feierabendverkehr durch den Pott tut sein Übriges, und so treffe ich gegen halb sechs, also nach sage und schreibe siebeneinhalb Stunden Fahrt in meinem Düsseldorfer Nachtquartier ein. Dass ich so wieder einmal die erste Band des Tages verpassen werde, ist zwar elementarer Bestandteil meiner üblichen Konzertroutine, aber nun wird es wohl auch mit Feine Sahne eng werden.
Mit Bock auf Stress und ‘ner Menge Hass besteige ich das Taxi, das die freundliche Hotel-Rezeptionistin bestellt hat. „Bitte zur Esprit Arena“, sage ich zum Fahrer, der natürlich trotz meiner nicht ganz korrekten Ansage weiß, wo ich hin möchte, denn das Stadion trägt nicht mehr denselben Namen wie bei meinem heimlichen Besuch im Herbst 2011, in der bislang letzten Hansa-Zweitligasaison. „In die Spielhalle also.“ Wir unterhalten uns nett über die Lage bei Fortuna und den Abstiegskampf, ich kann damit Zuversicht verbreiten, dass Friedhelm Funkel einst sogar mit Hansa den Klassenerhalt geschafft hat, also wer, wenn nicht er …?
Dann erzählt er mir noch eine Geschichte über Dresdener Fans, die vor ein paar Jahren am Abend vor dem Spiel bei Fortuna mit einem Schiff den Rhein herauf kamen und dann vor der Altstadt angelegt hatten. Was da an der Anlegestelle los war … Ich denke ja, dass er damit unser Gastspiel am 8. Mai 2010 meint, aber so richtig überzeugen kann ich ihn nicht. Ist aber auch nicht nötig, denn wir sind inzwischen am Stadion angekommen.
Er lässt mich auf der Südseite aussteigen, leider muss ich den Koloss nun erst noch einmal umrunden, denn meine Begleiter zum Konzert warten am Nordwesteingang. Das kostet nochmal wertvolle Minuten, von weiteren Schweißausbrüchen angesichts der beinahe hochsommerlichen Temperaturen ganz zu schweigen. Gegen 18:30 liegen wir uns endlich tränenüberströmt in den Armen, nichts wie hinein, Feine Sahne ist schon auf der Bühne.
Wir lassen uns auf dem Oberrang nieder, die Entfernung zur Bühne ist sehr groß, so dass diesmal wohl keine annehmbaren Fotos herauskommen werden, auch der Blickwinkel auf die Videoscreens ist nicht sehr vorteilhaft. Was soll’s, ist eben wie bei Olympia: Teilnahme ist entscheidend. Ein schneller Blick ins weite „Rund“ zeigt, dass dieses schon recht ordentlich gefüllt ist, besonders der Innenraum weiß schon zu so früher Stunde zu gefallen. Am Sonnabend werde ich etwas früher auf meinem Platz sein (dann im Unterrang), für die erste Band (Massendefekt) reicht es leider wieder nicht, denn diesmal muss ich auf jemanden warten, aber wenigstens zum Feine-Sahne-Auftritt bin ich pünktlich am Start.
Mit den bunten Sitzschalen auf den Rängen dieser Arena werde ich wahrscheinlich nie warm. Mit allem Respekt, ich glaube, dass die Mehrheit der regelmäßigen und langjährigen Besucher von Spielen der Fortuna dies nicht zwingend wegen des überirdisch tollen Fußballs tut, der dort regelmäßig zelebriert wird. Daher sollte, bei allem Schicki-Micki-Kram, der zum „modernen Fußball“ angeblich dazu gehört, ein Verein auch in solchen Dingen ruhig bekennen: Ja, wir spielen manchmal, eigentlich ziemlich oft, richtig Scheiße, aber wir stehen dazu. Wenn dann ein paar Plätze auf der Tribüne leer bleiben und das den TV-Konsumenten nicht gefällt, sollen die doch ins Stadion kommen. Aber auf UNSERER Tribüne gibt es auch nur UNSERE Farben. Also los, Fortuna – weg mit der Smarties-Optik. Traut euch!
Feine Sahne Fischfilet
Ein halbes Set am Freitag und das volle Programm am Sonnabend sorgen für Dauer-Gänsehaut. Es sind auch für die Musiker zwei besondere Abende am Ende eines sehr speziellen Toursommers. Die Stimmung des Publikums ist fantastisch, vor der Bühne herrscht ein ständiges Auf und Ab, immer wieder leuchten Fackeln auf, steigt bunter Rauch empor. Unmittelbar vor der Bühnenmitte freuen sich die glücklichen Empfänger über ein paar Schluck Freibier, beziehungsweise die Restmenge, die nach dem Flug von der Bühne nach unten noch in der Flasche ist.
Es ist sicher nicht einfach, bei nur einer halben Stunde Spielzeit die „richtigen“ Songs zu finden, mit den sieben ausgewählten Stücken hat die Band eine gute Mischung aus Liedern, die gleichermaßen Raum zum Zuhören und Durchdrehen bietet, gefunden. Familie, Zuhause, Freundschaft und Menschlichkeit sind die wesentlichen Bausteine des Feine-Sahne-Universums. Monchis eindringliche Ansagen zwischen den Liedern kommen, wie immer, wenn die Zeit knapp ist, punktgenau und treffen zielsicher ins Schwarze.
An beiden Abenden sind Familienmitglieder und enge Freunde der Musiker anwesend, was den Auftritten zusätzlichen emotionalen Schub gibt. Vor allem die Show am Sonnabend setzt nochmal einen Höhepunkt, als Monchi für „Geschichten aus Jarmen“ das Mikrofon an seinen jüngsten Bruder übergibt, der – wie wir nun wissen – nicht nur als Zauberkünstler beim „Wasted …“, sondern auch auf großer Bühne vor tausenden Menschen eine gute Figur macht. Emotional geht es weiter: „Niemand wie ihr“, „Warten auf das Meer“ und das zu Herzen gehende „Zuhause“ – drei Songs, zusammen und in dieser Abfolge die musikalische Visitenkarte von Feine Sahne Fischfilet, bevor „Komplett im Arsch“ einen ekstatischen Schlusspunkt setzt. Auf bald, wenn die „Alles auf Rausch“-Tour weiter geht.
Entlang der Gassen zu den Rheinterassen
Einigermaßen ausgeruht und nach einem annehmbaren Frühstück begebe ich mich am späten Sonnabendvormittag auf einen kleinen Spaziergang in die Düsseldorfer Altstadt, einen Teil davon hatte ich ja bei dem eingangs erwähnten Hansa-Spiel sehen können. Als erstes fällt mir auf, dass die Stadt diesmal nicht von nervenden Junggesellenabschieden heimgesucht wird. Und ich kann mich überall frei bewegen, ohne martialisches Polizeiaufgebot und Hamburger Gitter.
Ein kurzer Besuch bei Schneider Wibbel, ein Griff an dessen glänzendes Knie garantiert mir eine glückliche Zukunft, zwei Ecken weiter finde ich mich vor dem „Uerige“ wieder, wohin die Toten Hosen ab 13 Uhr zum Vorglühen eingeladen haben. Eine Stunde vorher ist schon ordentlich Betrieb da, Tresen und Tische sind dicht umlagert.
Auch Monchi ist mit ein paar Freunden dort und gibt ein begehrtes Fotomotiv ab. Ich darf mich dazugesellen und helfe beim Altbiertrinken. Für mich persönlich schmeckt es nicht so schlecht wie sein Ruf, ich finde es sogar besser als das „Hosen Hell“ der Uerige Brauerei – ja, ja, Blasphemie! Egal, um vor dem zweiten Konzertabend noch etwas Kraft und Ruhe zu tanken, gehen wir weiter zum Rheinufer und über die Oberkasseler Brücke hinüber auf die andere Seite.
Dort finden wir einen breiten, steinigen Uferstreifen vor, der jede Menge Raum für alle möglichen Aktivitäten bietet. Über unseren Köpfen kreisen taubengroße, möwenähnliche Vögel … Moment, das sind Möwen, nur viel kleiner als ihre Kollegen in Warnemünde, dafür aber nicht so aufdringlich und laut. Die Einheimischen sagen zu dieser Gegend Strand. Wir, die wir alle mehr oder weniger dicht an der Ostsee leben, würden das jetzt nicht unbedingt so nennen, aber letztlich zählt doch vor allem eines: Es ist, gerade bei den traumhaften Wetterverhältnissen an diesem Wochenende ein wirklich schöner Platz für Entspannung und Erholung und ausreichend weiträumig, um sich zu entfalten, ohne anderen auf den Zeiger zu gehen.
Bekanntlich kann Monchi an keinem Gewässer vorbei gehen, ohne darin zu baden, das gilt erst recht für den „Vater aller deutschen Flüsse“. Also gönnen wir ihm ein paar Minuten entspanntes Klaus-Töpfer-Gedächtnisplantschen in den Fluten. Die Wassertemperatur scheint ganz angenehm zu sein, unsere kleine Wasserratte will gar nicht wieder raus. Nachdem dann jedoch vorwitzige Bugwellen eines Lastkahns versuchen, sich Monchis am Ufer liegender Flipflops zu bemächtigen, verstehen wir das als subtile Erinnerung an den eigentlichen Grund unseres Aufenthaltes in Düsseldorf.
Während Monchi sich per Taxi zum Stadion begibt, gehen wir noch einmal zurück in die Altstadt, um ein Häppchen zu essen und noch ein/zwei Getränke zu uns zu nehmen. Wir landen schließlich in O‘Reilly‘s Pub, bei Guinness und Fish‘n‘Chips („both kinds of British cuisine“, wie ich dank „Learning English“ weiß) schauen wir ein wenig zu, wie in der Kirche gegenüber Jeannette und Marcel und ihre Hochzeitsgäste den Schritt in die Zukunft wagen.
Die Toten Hosen
Mit Dresden und Ferropolis habe ich zwei großartige Konzerte der Laune der NaTour gesehen, insofern hatte ich schon eine gewisse Vorstellung vom Ablauf der beiden finalen Shows. Aber natürlich ist es immer etwas ganz besonderes, Künstler in ihrer Heimatstadt auftreten zu sehen, so wie erst kürzlich Marteria im Ostseestadion.
Interessant sind immer die Bezüge zu den örtlichen Fußballvereinen, ohne ein explizit für den Verein geschriebenes Lied im Programm zu haben. Diese Funktion übernehmen Lieder wie „Steh auf …“ oder „Auswärtsspiel“ und natürlich das universell einsetzbare „You‘ll never walk alone“. Die Musik schafft es, Gräben zu überwinden – vor der Bühne wedeln am Sonnabend sogar HSV-Fahne und Jolly Roger einträchtig nebeneinander, was auch von Campino registriert und gewürdigt wird.
Vor lauter Harmonie verzichtet Campino sogar auf Sticheleien gegen andere am Rhein beheimatete Fußballvereine, selbst das Bayern-Lied bleibt an beiden Abenden ungesungen. Lediglich einen kleinen Seitenhieb gegen den FC Schalke 04, der bei seinem Sieg an gleicher Stelle eine Woche zuvor wohl nicht gerade mit spielerischer Klasse zu begeistern wusste, gönnt er sich dann doch.
So ganz ohne Diss geht es nun mal nicht, aber zwischen den Rheinmetropolen ist offenbar eine Art verbaler Frieden (oder wenigstens Waffenstillstand) ausgebrochen, für Lästereien über die ausbaufähige Mitsinglautstärke des Publikums muss nicht etwa das geliebte Köln herhalten, sondern das biedere Duisburg. Ein paar Musikerkollegen aus Berlin sind an beiden Abenden Gegenstand kurzer Betrachtungen über beste Bands und verpasste Möglichkeiten.
Wie üblich, beobachten die Hosen sehr aufmerksam, wie es bei ihren Konzerten vor der Bühne zugeht, Campino erkundigt sich regelmäßig, ob es allen gut geht und ist jederzeit bereit, ein Lied zu unterbrechen, wenn es unten einmal zu heftig wird. Zum Gedenken an den traurigen Anlass für diese Vorsicht spielt die Band am Sonnabend „Nur zu Besuch“, das werden für mich die bewegendsten Minuten des gesamten Konzertes. Beeindruckend ist auch, wie aus dem Publikum heraus an der Illustration der Songs mitgearbeitet wird – mit Lichtern, Wunderkerzen und Fahnen und natürlich mit ununterbrochenem Gesang und Tanz. DTH-Konzerte sind weit mehr als reines Musikhören.
Die Setlisten sind an beiden Abend unterschiedlich, der Freitag wirkt auf mich wie ein „reguläres“ Tourkonzert, am Sonnabend schwebt der (vorläufige) Abschied über der Bühne. Dass nach der offiziell letzten Zugabe dann noch zwei nicht so häufig gespielte Songs aus dem frühen Schaffen der Band erklingen, ist ein toller Schlusspunkt. Vielleicht können die Hosen ja auch mal die eine oder andere Album-Jubiläumsshow spielen, bei Kollegen (national wie international) funktioniert das hervorragend.
Mit insgesamt 40 Songs in fast drei Stunden Spielzeit stellen die Toten Hosen beim Abschlusskonzert am Sonnabend mutmaßlich einen neuen bandinternen Rekord auf. Fünfmal habe ich die Band in diesem Jahr gesehen, und es war jedesmal großartig. Ich freue mich auf die nächsten Rekordversuche. Ach so, und vielen Dank für alles, was war.
Setlist Feine Sahne Fischfilet
Zurück in unserer Stadt * Alles auf Rausch * Geschichten aus Jarmen * Niemand wie ihr * Warten auf das Meer * Zuhause * Komplett im Arsch
Setlist Die Toten Hosen / Freitag
Urknall * Auswärtsspiel * Niemals einer Meinung * Laune der Natur * Die Schöne und das Biest * Alles mit nach Hause * Alles was war * Liebeslied * Das ist der Moment * Bonnie & Clyde * Altes Fieber * Sascha …ein aufrechter Deutscher * Paradies * Alles aus Liebe * Unter den Wolken * Steh auf, wenn du am Boden bist * Disco * Wannsee * Pushed Again * Draußen vor der Tür * Wünsch DIR was * Hier kommt Alex
Halbstark * Eine kleine Nachtmusik * Wunder * Du lebst nur einmal * Schrei nach Liebe (mit Sammy Amara) * Freunde
Should I Stay or Should I Go * Wie viele Jahre (Hasta la muerte) * Bis zum bitteren Ende * Das Altbierlied * Schönen Gruß, auf Wiederseh’n
Alles passiert * T.N.T. * Tage wie diese * You’ll Never Walk Alone
Eisgekühlter Bommerlunder
Setlist Die Toten Hosen / Sonnabend
Opel-Gang * Auswärtsspiel * Ballast der Republik * Laune der Natur * Alles mit nach Hause * Heute hier, morgen dort * Liebeslied * Das ist der Moment * Bonnie & Clyde * Altes Fieber * Nur zu Besuch * Unsterblich * Pushed Again * Unter den Wolken * Steh auf, wenn du am Boden bist * Disco * Willkommen in Deutschland * All die ganzen Jahre * Wannsee * Alles aus Liebe * Wünsch DIR was * Hier kommt Alex
Halbstark * Popmusik * Eine kleine Nachtmusik * Du lebst nur einmal (vorher) * Schrei nach Liebe (mit Arnim Teutoburg-Weiß) * Freunde
The Passenger (mit Sammy Amara) * Wie viele Jahre (Hasta la muerte) * Bis zum bitteren Ende * Das Altbierlied * Schönen Gruß, auf Wiederseh’n
Alles passiert * T.N.T. * Highway to Hell * Tage wie diese * You’ll Never Walk Alone
Verschwende deine Zeit * Achterbahn