SG Dynamo Dresden – F.C. Hansa Rostock 2:1, Rudolf-Harbig-Stadion, 23. Mai 2015, 3. Liga, 38. Spieltag
Die aktuelle Situation hat unter anderem zur Folge, dass wir weiterhin auf derzeit nicht absehbare Zeit auf unsere liebsten Freizeitbeschäftigungen verzichten müssen, so eben auch auf den Besuch von Fußballspielen in der Gesellschaft guter Freunde. „Geisterspiel“-Inszenierungen im Fernsehen sind dafür nicht wirklich ein Ersatz.
Mir hilft es, mich gelegentlich an vergangene Erlebnisse zu erinnern. Auf den Tag genau heute vor 5 Jahren stand Hansa nur noch Millimeter vor dem Abgrund namens Regionalliga. Als wäre das allein nicht schon schlimm genug, drohte nun mit dem Abstieg ausgerechnet in Dresden eine ganz besondere Schmach.
Im Vorfeld des Spiels hatte es (wieder einmal) mächtiges Generve um die Vergabe der Gästetickets und Anreise der Hansafans gegeben, ohne dass ich mich heute noch an die Einzelheiten erinnern würde. Ich glaube, es gab „Voucher“, die an einem vorgegebenen Treffpunkt eingetauscht werden sollten, von wo aus dann eine koordinierte Anfahrt zum Stadion erfolgen sollte.
Glücklicherweise konnte ich mich einem guten Freund anschließen, der über persönliche Kontakte Karten für den Heimbereich besorgte, es stand also mal wieder ein Undercover-Match für mich auf dem Programm. Ein Tag, der durchaus „Bochum‘99-Potenzial“ (Hansafans wissen Bescheid) hätte haben können, am Ende wurde es aber doch deutlich weniger dramatisch als befürchtet.
Es folgt mein leicht gekürzter Bericht für hansafans.de. Viel Spaß beim Lesen und Erinnern.
Es ist vollbracht
Das Ende ist vergleichsweise unspektakulär und mit deutlich weniger Dramatik behaftet als – je nach Vereinszugehörigkeit – erwartet oder befürchtet. Hansa unterliegt zwar Dynamo durch ein spätes Gegentor knapp mit 1:2, der Abstieg aus der 3. Liga bleibt uns aber erspart, der zeitgleiche Erfurter Sieg gegen Unterhaching lässt die Dimension des vermeintlichen Schicksalsspiels dann doch auf Normalgröße schrumpfen – ein Ergebnis, ohne das die Saison sonst nicht komplett wäre.
Der Tag beginnt in aller Frühe am Werbellinsee, wo ich die Pfingstfeiertage verbringe. Sieben Uhr morgens breche ich dort auf und treffe knapp dreißig Minuten später meine Mitfahrgelegenheit am Autohof Hohenschönhausen. Von dort aus begeben wir uns zu unserem ersten Zwischenziel in der Dresdener Neustadt, wo wir unsere Eintrittskarten in Empfang nehmen. Wir werden das Spiel aus dem Heimbereich verfolgen, das wurde schon während des Theaters um das Gästekontingent klargemacht. Die Übergabe beim konspirativen Treff im Feindesland klappt hervorragend und wir bringen dann das Auto in eine friedliche Gegend in der Nähe des Blauen Wunders.
Mit ein, zwei Erinnerungsfotos sichern wir uns den ersten Kulturpunkt, dann fahren wir mit der Straßenbahn ins Stadtzentrum. Als wir am Straßburger Platz vorbeifahren, biegt gerade das Ende des Dynamo-Fanmarsches in die Lennéstraße Richtung Stadion ein, eine große Menschentraube stimmt sich bei „Ackis Bierstube“ auf das Spiel ein. In gebührendem Abstand hinter dem Mob ist eine Polizeistreife mit der Beseitigung der Hinterlassenschaften des Umzuges (vor allem Glasscherben und ausgebrannte Feuerwerkskörper) beschäftigt. Der Marsch hat lange genug gedauert um in den angrenzenden Straßen durch das Stadtzentrum den Verkehr für eine Weile zum Erliegen zu bringen, inclusive eines Straßenbahn-Staus.
Wir schauen uns noch ein bisschen um, mit Kreuzkirche und Altmarkt mit Blick zur Frauenkirche gibt es weitere Kulturpunkte, zusammen mit der oben erwähnten berühmten Elbbrücke macht das jetzt drei, wir werden also schon mal nicht mit leeren Händen die Heimreise antreten. Beim Gang über den Altmarkt hören wir Motorengedröhn aus der Luft, statt des erwarteten Werbefliegers unseres Hauptsponsors erblicken wir jedoch die gute alte „Tante Ju“ beim Rundflug über der Stadt.
Als wir auf dem Rückweg zum Stadion sind, dreht sich plötzlich eine vor uns gehende Frau zu uns um und stellt fest, dass sich unsere Aussprache ziemlich „nördlich“ anhört. Bevor sie jetzt Pfefferspray und Trillerpfeife anwendet, gestehen wir, zum heutigen Gegner zu gehören, was uns die guten Wünsche der Dame und ihrer Begleitung (natürlich alle mit Dynamo-Schal oder Trikot bekleidet) für unseren Klassenerhalt einbringt. Nette Leute da in Dresden.
Ein paar hundert Meter weiter begegnen wir dann der einen oder anderen Patrouille, die wohl sicherstellen soll, dass Dresdens Straßen tatsächlich feindfrei bleiben. Zumindest uns fällt bei der Gelegenheit auf, dass wir mittlerweile die einzigen sind, die ohne Dynamo-Fanutensilien dort herumlaufen. Und nun müssen wir auch noch an „Ackis“ vorbei. Wenigstens sind wir nur zu zweit, als wir die beachtliche Ansammlung teilweise sehr sportlicher Gestalten durchqueren und durchaus den einen oder anderen prüfenden Blick auf uns ziehen, aber zum Glück sind wir wohl nicht interessant genug für einschlägige Aktivitäten.
Vorm Stadion treffen wir dann doch den einen oder anderen Hanseaten, der ebenfalls im Heimbereich sitzen wird, vermeiden es aber, längere Zeit in größeren Gruppen herumzustehen. Erneut gibt es Motorengeräusche aus der Luft, diesmal ist es der Kurzurlaub-Flieger, der aber bei den Eingeborenen kaum Beachtung findet. Wir erwidern in Gedanken den stillen hanseatischen Gruß, dann gehen wir hinein.
Unsere Plätze befinden sich fast unterm Dach auf der Hintertortribüne neben dem Pufferblock zum Gästebereich, von wo aus man eine sehr gute Sicht auf das Spielfeld hat. Überhaupt, das hatte ich ja bei einem früheren Spielbericht aus Dresden schon mal erwähnt, finde ich den Stadionbau sehr gelungen, die steilen, überdachten Ränge bieten neben der Sicht auch sehr gute akustische Bedingungen für eine lautstarke Unterstützung der Mannschaften.
Der Spielverlauf dürfte ja inzwischen allgemein bekannt sein, so dass ich mir das hier erspare. Auf den Rängen entwickelt sich ein stimmungsvolles Duell, bei dem der zahlenmäßig weit unterlegene Gästeanhang über weite Strecken eine gute Figur macht. Der Fokus liegt in erster Linie auf der Unterstützung der Mannschaft, aber natürlich darf auch die eine oder andere gepflegte Pöbelei gegen Dynamo nicht fehlen.
Das Heimpublikum hat einen sehr guten Tag erwischt, natürlich trägt neben dem Saisonabschluss die Verabschiedung verdienstvoller Spieler noch einmal besonders zur Stimmung bei. An diesem sehr emotionalen Tag besticht der K-Block beim Auflaufen der Mannschaften optisch mit einer ungemein wirkungsvollen Choreographie: Hinter einem Banner mit Danksagung an Benny Kirsten und Cristian Fiél steigt eine Wand gelben Rauches auf, ein wirklich beeindruckender Anblick.
Auch akustisch liefert die Heimkurve ordentlich ab, auch wenn die Vorsänger mitunter doch etwas nerven. Absolutes Highlight ist ein etwa zehnminütiger Wechselgesang „Scha la la la la la la – Dynamo Dresden“ (Melodie: „Amarillo“) in der zweiten Halbzeit, der im K-Block beginnt und nach und nach das gesamte Stadion erfasst. Ein anderer häufiger Gesang ist uns (also Hansa und den Hansafans) gewidmet, es sei ihnen aber gegönnt.
Nach dem Schlusspfiff bleibt die Stadionbeschallung zunächst aus, eine schöne Geste, die es unserer Mannschaft ermöglicht, ein paar Minuten mit dem Gästeblock den Klassenerhalt zu feiern. Auch wenn für mich die Jubelszenen und Gesänge nach einer Niederlage doch etwas schräg rüberkommen, haben sich das alle nach der Hinrunde und der großartigen Aufholjagd doch irgendwie verdient. Am Ende landen dann alle Spielertrikots im Block, einige davon wandern gleich hinüber in den Nachbarblock zu den Fans mit Rollstuhl – schön, dass auch daran gedacht wird.
Die Verabschiedung von Fiél und Kirsten wird dann von ein paar Zwischenrufen aus dem Gästeblock gestört, es beteiligen sich aber nur wenige daran und die Masse der Dresdener beachtet das auch nicht weiter, sieht man mal von der bildungsfernen Rechtsaußen-Fraktion in Weinrot gleich neben dem Gästeblock ab. Apropos: Was ist da eigentlich schief gelaufen, dass man sich mit dem BFC gemein machen muss („Im Herzen vereint“), mit dem Club, unter dessen Bevorteilung gerade die SGD wie kaum ein anderer Club in der DDR leiden musste? Muss jeder selbst wissen.
Das war es dann also. Kein Bochum 2.0, von dem wir vielleicht in vielen Jahren mal unseren Enkeln erzählen werden. Was aber bleiben wird und muss, nicht zuletzt, um uns zukünftig Spielzeiten dieser Art zu ersparen, ist die Erinnerung an eine Saison, in der ein sportlicher Tiefpunkt den nächsten jagte und unseren Verein an den Rand seiner Existenz brachte. Und natürlich soll und darf nicht vergessen werden, wie es der Mannschaft gelang, im Jahr 2015 in einer beeindruckenden Serie verloren geglaubte hanseatische Tugenden wiederzubeleben und im Schulterschluss mit den Fans das inoffizielle Motto der Rückrunde mit Leben zu erfüllen:
Wenn wir zusammen gehen
Wenn wir zusammen stehen
Werden wir niemals, niemals untergehen
Dass wir ein (letztes?) Mal von der Bahre aufstehen konnten, ist das Ergebnis vielfältiger Anstrengungen, insbesondere der sportlichen Leitung, die in der Winterpause Transfers mit einer für hanseatische Verhältnisse seit Jahren unvorstellbaren Brauchbarkeitsquote einfädeln konnte. Den Trainern gelang es, aus diesen Transfers und den Trümmern einer zu Weihnachten am Boden liegenden Mannschaft eine schlagkräftige Einheit zu formen und den Spielern den Glauben an sich selbst, an die eigene Stärke wiederzugeben. Die Mannschaft sammelte so die für den Klassenerhalt benötigten Punkte, auch wenn es zum Ende hin unnötig spannend wurde. Dank gilt allen Fans, die zu den Spielen ins Ostseestadion kamen oder der Mannschaft auswärts den Rücken stärkten.
Und nicht zuletzt darf nicht unerwähnt bleiben, dass uns – im Gegensatz zu Unterhaching – in der laufenden Saison keine Punkte abgezogen wurden. Der Dank dafür gebührt den Initiatoren und Organisatoren des Benefizspiels, namentlich Marteria und Stefan Beinlich, und allen, die mit dem Kauf einer oder mehrerer Eintrittskarten zum finanziellen Erfolg dieses Spiels und somit zur Sicherung der Lizenz beigetragen haben.
Es gibt also keinen Grund, den am letzten Spieltag gesicherten Klassenerhalt auf Entscheidungen am grünen Tisch und die „Unterstützung“ aus Erfurt zu reduzieren, wie das seit Sonnabend immer wieder zu hören und zu lesen ist. Die sportliche Rettung ist in der Gesamtheit das Resultat konzentrierter Arbeit und einer glücklichen Hand bei den Spielertransfers. Danke an RWE kann man natürlich trotzdem sagen, und das kommt aus meinem Munde noch viel aufrichtiger, wenn die Rot-Weißen in der nächsten Saison im direkten Vergleich wieder brav die Punkte abliefern, wie es sich gehört.