F.C. Hansa Rostock – SG Dynamo Dresden 1:3, Ostseestadion, 21. August 2021, 2. Liga, 4. Spieltag
Nun ist er auch in die Falle getappt. Nach dem Spiel wird ausgerechnet* Jens Härtel auf den Social-Media-Kanälen des F.C. Hansa wie folgt zitiert: „Dass wir das Derby verloren haben, geht uns richtig auf den Sack.“ Dass dem so ist, spricht selbstredend für den Hansa-Trainer, und mit seiner Einordnung der neuerlichen 1:3-Heimniederlage (mittlerweile wohl Standardergebnis gegen den alten DDR-Oberliga-Rivalen) dürfte er die Stimmungslage des weiß-blauen Fanlagers nach dem Spiel exakt getroffen haben.
Aber „Derby“?! Kennt man Härtel eigentlich als sehr sachlichen, auf die sportlichen Aspekte seiner Tätigkeit fokussierten, Trainer, der sich zu den Nebengeräuschen des „Geschäfts“ nur sehr spärlich äußert, überrascht es doch etwas, wie hier die Pferde mit ihm durchgegangen sind. Der Stachel der Enttäuschung muss schon ziemlich tief sitzen. Tut er ja auch, was angesichts der über weite Strecken recht ansprechenden Darbietung der Hanseaten nachzuvollziehen ist. Sei es drum, Trainer, merk dir die Emotionen gut, es gibt ja noch ein Rückspiel.
* Neben der Fähigkeit, in jeder irgendwie denkbaren Fußball-Begegnung ein „Derby“ zu entdecken, ist die exzessive Verwendung der Vokabel „ausgerechnet“ ein grundlegendes Element moderner Fußballberichterstattung, auf das auch ich natürlich nicht verzichten kann.
Aber lassen wir mal den Trainer in Ruhe seinen Job erledigen, schließlich gilt es nun, den Auswärtssieg am kommenden Wochenende vorzubereiten, und werfen wir einen kleinen Blick auf die Umstände des … ja, wie wollen wir es denn nun nennen? Wie bezeichnet ihr diese Spiele mit dem „gewissen Etwas“, in denen außer den obligatorischen 3 Punkten doch, zumindest für die Fans, mehr (nicht messbares) auf dem Spiel steht, auch wenn das Stadion des Rivalen nicht gleich um die Ecke liegt? Vorschläge nehme ich gern in den Kommentaren entgegen.
Unabhängig davon, wie ich dazu sage, sind wir uns sicher einig, dass ein Spiel Hansa gegen Dynamo für die Beteiligten auf und neben dem Platz schon eine besondere Faszination ausstrahlt. Davon bildete auch dieses Duell, unabhängig vom Ergebnis, keine Ausnahme. Bedauerlich ist, dass aufgrund der aktuellen Situation nicht mehr Zuschauer im Stadion dabei sein durften. Aber selbst unter den nicht wirklich stimmungsfördernden Umständen entwickelte sich doch eine relativ spezielle Atmosphäre. Wie wäre das wohl mit komplett besetzten Tribünen geworden. Eine kleine Ahnung davon vermittelte die Stimmung in der ersten Halbzeit, als die Mannschaft mit Leidenschaft, Einsatzstärke und sogar fußballerisch stark gegen den frühen Rückstand ankämpfte und die alte Weisheit bestätigte, dass das Team auf dem Platz immer noch der beste „Capo“ ist (was sich übrigens auch gut am Gästeblock beobachten ließ, Dynamo verzichtet unter den aktuellen Gegebenheiten auf organisierten Support).
Ich war nach erfreulich zügigem Einlass schon sehr früh an meinem Platz im Stadion, um möglichst viel „Atmosphäre zu saugen“ (Gruß in die Trotzenburg). War ich zunächst froh, der Dauerbeschallung durch einen über dem Stadionumfeld kreisenden Hubschrauber (Hör mal, Schatz, sie spielen unser Lied.) entronnen zu sein, befand ich mich nun in den Klauen akustischer Gewalttäter. Ich sage das zwar nach fast jedem Heimspiel, aber die unerträgliche Lautstärke sowohl in Wort und Musik grenzt nicht nur an Körperverletzung, sondern erstickt jede spontane Entwicklung von Stadionatmosphäre im Keim. Hört damit auf! Oder kürzt wenigstens das Vorspiel- und Pausenprogramm.
Und doch, einen besonderen Moment bot das Vorprogramm noch, und das war das Abspielen von Maulers Hansa-Version des „Safety Dance“. Das war der Punkt, an dem mich dann so etwas wie „Derbyfieber“ (nun habe ich es doch gesagt) packte. Geiler Scheiß!
Wie schön war doch das „Einsingen“ der Südtribüne. Für meinen Geschmack ein bisschen zu viel „Dy Dy Dy Dy Dy …“ und so weiter. ihr kennt es alle. Natürlich geht ein gepflegter Diss des Gegners immer, keine Frage. Nur war zu dem Zeitpunkt noch nicht mal die Hälfte der erwarteten Dynamo-Anhänger im Block, so dass der Stoß praktisch ins Leere lief. Und so mussten die wenigen Gelben ihre Lieder noch nicht mal selbst singen, weil wir das für sie übernommen hatten.
Während des Spiels, und das ist natürlich das Wichtigste, fand dann eine deutliche Verschiebung von „Anti“ in Richtung brachialer Unterstützung der Hanseaten statt, was der ausgezeichneten Koordination durch die Vorsänger zu danken ist, auch wenn das unter dem Eindruck des Geschehens auf dem Rasen in der zweiten Halbzeit zunehmend wieder nachließ. Klassische Spielatmosphäre eben, das kommt (zum Glück auch weiterhin) vor.
Nun ist es vorbei, das recht dünne Medienrauschen im Nachgang lässt den Schluss zu, dass wohl keine Bilder entstanden sind, „die wir nicht sehen wollen“. Sorry, BLÖD & Co., ihr werdet schon noch zum Zuge kommen. Kleinere digitale Scharmützelchen hier und da, wobei die SoMe-Selbstpräsentation eines MV-Landtagsabgeordneten im Dynamo-Shirt mit abschließender Belehrung über Toleranz schon den humoristischen Höhepunkt darstellte. Das Internet ist auch nicht mehr, was es mal war. Und schließlich: Kann man eigentlich „Risikospiele“ noch ernst nehmen, wenn danach keine Polizeigewerkschaft wegen Überstunden jammert?
In diesem Sinne: Sportliche Gratulation nach Dresden, wir sehen uns hoffentlich in der Rückrunde im Rudolf-Harbig-Stadion.
Bleibt alle gesund und lasst es euch einigermaßen gut gehen. Am nächsten Spieltag gibt es das „Milka-Derby“.