Dieser Petrus, einfach unglaublich. Dabei war der Deal ebenso einfach wie verbindlich: Ich besorge mir diesmal ein ordentliches Zelt, dafür bleiben die Himmelsschleusen geschlossen. Damit das klar ist, ICH habe meinen Teil der Abmachung erfüllt. Nach der ersten Nacht am Wernsdorfer Sportplatz hat meine mobile Behausung, deren Aufbau ein bisschen länger dauert als das In-die-Luft-Werfen dieses so genannten Zeltes von ALDI aus dem letzten Jahr, ihre Feuer- äh Wassertaufe überstanden, und ich erwache trockenen Fußes und ohne Dauerberieselung von der Zeltdecke. Auch der nächtliche Monsun, nach dem morgens weite Teile des Zeltplatzes wie ein Reisfeld aussehen, entlockt meiner bestens imprägnierten mobilen Behausung nicht mal ein müdes Gähnen.
Das ändert aber NICHTS daran, dass für die diesjährige elfte Auflage des Turniers der Wildauer Kickers wenn schon nicht ganztägige Sonnenbestrahlung, so doch zumindest strikte äußere Trockenheit vereinbart war. Das wird Konsequenzen haben.
Die hanseatische Mini-Delegation ist in diesem Jahr wieder ein bisschen kleiner geworden und besteht bei der Anreise am Freitag nur noch aus einer Person – nämlich mir. Nun weiß ja jeder regelmäßige Konsument fußballbezogener Fernsehsendungen wie „Hart aber fair“ oder „Menschen bei Maischberger“, wie gefährlich es sein kann, wenn Fußballfans an Tagen wie diesen durchs Land reisen – vor allem für das durchquerte Land. Also schließe ich mich, um das Schlimmste zu verhindern, für die Reise zum Turnier einer interessanten Fahrgemeinschaft an: Getrennt in den Farben, vereint im Reiseziel begeben sich zweimal Sankt Pauli und je einmal Union und Hansa auf einen ungewöhnlichen Road Trip.
Treffpunkt ist eine Tankstelle nahe der A24 zwischen Schwerin und Ludwigslust, wo ich mich pünktlich zur vereinbarten Treffzeit einfinde und meine aus Hamburg kommenden Reisegefährten erwarte. Die Wartezeit vergeht beim Austausch von Kurznachrichten über Kaffee im britischen Sektor wie im Fluge, so dass ich nicht einmal bemerke, dass der große Zeiger das Zifferblatt meiner Armbanduhr schon wieder umrundet hat, als ich endlich meinen Platz auf der Rückbank des 190er Daimlers einnehmen kann.
Am Steuer sitzt „Paulchen“ (wir kennen uns von mehreren Turnieren, ihm verdanke ich auch, dass ich live dabei sein konnte, als Hansa am Millerntor einen weiteren Schritt Richtung 3. Liga machte), freudig begrüßt werde ich von seiner „Pauline“, die ihn erstmals zum Turnier begleitet, und einem eisernen Burgfroilein (wir kennen uns auch schon etwas länger).
Kurz nach dem Einsteigen erlebe ich bereits den ersten innerlichen Stimmungshöhepunkt, als „Pauline“ feststellt, dass sich ein kleines Tierchen unbefugt Zutritt zum Wageninneren verschafft hat. In mir beginnt es zu brodeln, zwischen Sprachzentrum und Stimmbändern formt sich eine bohrende Frage und versucht, mit eruptiver Urgewalt ins Freie zu gelangen, so dass ich beinahe platze: „EINE ZECKE?!“
Von dem erbitterten Kampf, der gerade in meinem Inneren tobt, bekommen meine Reisegefährten zum Glück nichts mit, auch sieht niemand den kleinen Teufel auf meiner rechten Schulter und den Engel auf der linken, die gegenseitig aufeinander einschlagen, während sie mir zwischendurch stakkatoartig ins Ohr schreien:
SAG ES! – NEIN! – DOCH! – NEIN! – DOCH! – NEIN! – DOCH! … und so weiter.
Vernunft und gute Umgangsformen sorgen dafür, dass ich mir diesen Fauxpas klemme, ich will ja auch nicht gleich wieder aussteigen. Und schließlich gehört es sich auch nicht, gleich so mit der Tür ins Haus zu fallen, wenn man sich gerade erst kennen gelernt hat. Inzwischen weiß ich, dass mir nichts zugestoßen wäre, denn „Pauline“ hat sich in den zwei gemeinsam verbrachten Tagen als ausgesprochen lustige Zeitgenossin erwiesen, mit der man viel Spaß erleben kann. Bei „Paulchen“ und dem Froilein war das ohnehin schon vorher klar. Und so erleben wir eine entspannte Anreise über eine für freitägliche Verhältnisse ausgesprochen flüssige A24, auch die Jahrhundertbaustelle am Berliner Ring, Dreieck Schwanebeck sorgt nur für unwesentliche Verzögerung, und so treffen wir am frühen Nachmittag an unserem „Theater of Dreams“ ein.
Ein geeigneter Aufbauplatz für die Zelte ist schnell ausgesucht, der Aufbau dauert, wie schon erwähnt, ein klein wenig länger als vor einem Jahr, nachdem das erledigt ist, überlassen wir die Zelte den wärmenden Sonnenstrahlen und begeben uns zur Partyzone, wo gerade der Bierwagen in Stellung gebracht wird. Die Zeit ist gekommen, um bei dem einen oder anderen Getränk die Lage am örtlichen Spielermarkt zu sondieren.
Da ich seit drei Jahren erstaunlicherweise mal ohne jegliche Beschwerden in allen möglichen und unmöglichen Körperteilen antreten kann, versteht es sich von selbst, dass ich als Aktiver ins Turnier gehen werde. Spieler wie mich kann jede Mannschaft gebrauchen, und wenn es zur Schaffung von Übergewicht im eigenen Strafraum ist. Schon nach kurzer Verhandlung steht der Vertrag mit den „Stierwaschern“, einem Fanclub der Salzburger Austria, eben jenem Team, bei dem sich im vergangenen Jahr der wunderbare Tretti unsterblich gemacht hat.
Der Rest des Anreisetages gehört der Begrüßung der anderen Teams, wobei erneut die Offenbacher – wie schon in den Jahren zuvor – bei ihrer Ankunft optische Glanzlichter setzen können. Auch aus Leipzig, Burghausen und Stralsund sowie Oranienburg sind wieder die üblichen Verdächtigen am Start, so dass sich die gewohnte Freitagabend-Party entwickelt, bei der voller Vorfreude in den Turniertag hinein gefeiert wird.
Am Turnier nehmen in diesem Jahr dreizehn Mannschaften teil, also deutlich weniger als sonst, was jedoch der Spielfreude und dem Spaß keinen Abbruch tut. Zwar geht es in einigen Spielen wieder deutlich mehr zur Sache als 2011, böse Fehltritte gibt es jedoch nicht und auch kurzzeitiger Ärger über vermeintliche Fehlentscheidungen der nach meinem Empfinden sehr gut amtierenden Schiedsrichter verfliegt in fast allen Fällen sofort mit dem Schlusspfiff.
Mit meiner Austria-Mannschaft lande ich am Ende auf dem 12. Platz, sogar ein Tor ist mir gelungen – I werd’ narrisch! Übrigens haben ausschließlich deutsche Gastspieler für die Freunde aus der Mozartstadt getroffen, die meisten Tore hat der 11 Jahre alte Max, ein hoffnungsvolles Talent aus dem Wildauer Kickernachwuchs, erzielt. Nur ihr Eigentor müssen die Salzburger schon selbst schaffen, das wiederum gelingt mit außergewöhnlicher Eleganz.
Turniersieger werden die Wildauer Kickers, die ihren Titel aus dem Vorjahr verteidigen. Als Belohnung für den tollen Einsatz bei der Organisation und Durchführung der Veranstaltung nun schon zum elften Mal sei ihnen das von Herzen gegönnt, auch wenn man in Fußballfachkreisen natürlich weiß, dass kein Verein, der etwas auf sich hält, ständig sein eigenes Turnier gewinnt.
Die Party nach dem Turnier beginnt diesmal etwas ruhiger, man merkt schon, dass mit den Schotten ein sehr lautstarker, feierfreudiger Haufen der letzten Jahre fehlt (der Dank geht hier an den nicht fertig gestellten Flughafen Schönefeld) und einige Teams gleich nach der Siegerehrung die Heimreise antreten, wofür sicher auch der während der Spiele wiederholt einsetzende kräftige Regen eine Teilschuld beanspruchen darf. Schade ist das in jedem Fall.
Das DJ-Team bemüht sich nach Kräften, die Verbliebenen mit Gesangseinlagen bei Laune zu halten, was mit Unterstützung aus der Getränkeindustrie zunehmend besser gelingt. Die Musikauswahl strapaziert gelegentlich meine offenbar doch schon etwas gealterten Ohren, trifft aber oft den Geschmack der Mehrheit und hat somit auch ihre Berechtigung. Dennoch erfüllt es mich mit Sorge, wenn ich junge Leute Anfang 20 sagen höre, Mathias Reim sei geil. Zur Ehrenrettung des DJ ist die Erfüllung auch etwas abgefahrener Musikwünsche hervorzuheben – absoluter Höhepunkt in dieser Hinsicht natürlich die neue Turnierhymne „So genannte Fans“ vom Hanseaten Ostmaul.
Für Stimmung sorgt dann nach Einbruch der Dunkelheit ein spektakuläres Feuerwerk, das wirklich zu gefallen weiß, ebenso wie die anschließenden Zugaben einer unbekannten Künstlergruppe, die unerkannt bleiben möchte.
Die Party geht noch bis spät in die Nacht weiter, allmählich fordert aber auch das Alter seinen Tribut, und so ziehe ich mich gegen ein Uhr in mein immer noch trockenes und stabil stehendes Zelt zurück, bei dessen Verlassen am Sonntagmorgen ich plötzlich so stark geblendet werde, dass ich um mein Sehvermögen fürchte. Also das ist diese sagenumwobene Sonne, von der Oma immer erzählt, und die früher immer für warme Sommer gesorgt haben soll.
Bei der Heimfahrt bekommen wir dann endlich noch den schon am Freitag erwarteten Stau, natürlich auf der geliebten A24, wo wir die Etappe Kremmen – Linumer Bruch in sage und schreibe 90 Minuten absolvieren. Danach geht es aber ohne weitere Störungen unaufhaltsam Richtung Heimat, wo sich während der Verabschiedung von meiner Reisegruppe Teufel und Engel immer noch ihr Wortgefecht liefern:
NUN SAG ES ENDLICH! – NEIN! – DOCH! – NEIN! – DOCH! – NEIN! – DOCH! …
Vielen Dank noch einmal an alle, die auch in diesem Jahr wieder dabei waren, an die „Stierwascher“ Salzburg für den Platz im Team und ganz besonders an die unermüdlichen und fleißigen Organisatoren vom Union-Fanclub „Wildauer Kickers“, die sich einmal mehr als perfekte Gastgeber erwiesen haben.
Bis zum nächsten Jahr!
Ein paar Fotos gibt es hier.
Pingback: Union Berlin Fanturnier, Wernsdorf 2012 | Fanclub Stierwascher Austria Salzburg
11. Juli 2012 um 09:15
Genialer Artikel Uwe! Auch deine Schilderung von unserem (Eigen)Tor find ich super 😀 Wenn du nächstes Jahr wieder dabei bist – ein Platz in unserem Team ist reserviert für dich 😉 Einer muss uns ja aus der Patsche helfen – auf das wir unser Ziel – nicht letzter zu werden – wieder schaffen :DDD
Beste Grüße aus dem violett / weißem Salzburg von mir und allen Stierwaschern!
Cu next year!