… ich gehe immer noch auf Schalke.
FC Schalke 04 – Arsenal F.C. 2:2, „Veltins-Arena“, 6. November 2012
Manchmal verliert man, manchmal gewinnen die anderen. Und manchmal, es ist kaum zu glauben, manchmal nimmt man an einer Verlosung teil und gewinnt doch tatsächlich Eintrittskarten, die es ermöglichen, die schreckliche, fußballlose Zeit zwischen zwei Wochenenden zu überbrücken. 11 Freunde hatten für ihre Abonnenten je dreimal zwei Eintrittskarten für die letzten Heimspiele der deutschen Champions-League-Teilnehmer springen lassen.
Sie zu gewinnen war gar nicht schwer: Zunächst hieß es, das Spiel auszusuchen: Bayern? Zu weit und außerdem laut Aussage des eigenen Präsidenten „Scheiß Stimmung“. Dortmund? Waren wir gerade erst mit Hansa, sieht außerdem zu sehr nach Modefan aus. Bleibt Schalke – an das Stadion haben wir Hanseaten vergleichsweise angenehme Erinnerungen (Tjikuzu!!!), den Boss habe ich da auch schon erlebt. Und dann ist da noch die geheimnisvolle Verbindung zu den „Alten Schalkern“, Insider der Hansaszene wissen Bescheid (Stichwort: Essen *zwinker-zwinker*).
Also schnell die E-Mail schreiben, absenden und eine Woche später die telefonische Gewinnbenachrichtigung von der netten Katharina entgegen nehmen. Beim Versand der Karten gab es nochmal eine kleine Schrecksekunde: der Postzusteller hatte vergessen, das Einschreiben in der Filiale abzugeben, in der ich es abholen sollte, so dass die wertvolle Fracht noch eine vierundzwanzigstündige Ehrenrunde drehte, bevor ich sie in den Händen halten konnte, das war es dann aber auch schon an Nervenkitzel. Eine Woche nach „Bestellung“ war ich stolzer Besitzer zweier Tickets für das Gruppenspiel der Champions League FC Schalke 04 – Arsenal F.C.
Schalke 04, welch ein Name! Ein Mythos gelebter Geschichte und Tradition, der Inbegriff des Fußballs im Westen als Proletensport. Schalke, der Malocherklub, wäre er ein Jahr später gegründet worden, könnte Carmen Thomas vielleicht noch heute das Sportstudio moderieren. Jeder, der sich in Deutschland für Fußball interessiert, kennt die Geschichte der berühmten 04 Minuten, in denen sich der Klub als Deutscher Meister fühlen durfte. Nie war die Hand dichter an der Schale als an diesem dramatischen 23. Mai 2001.
Der moderne Fußball, dessen Geburtsstunde vor 20 Jahren schlug (Lesetipp: Heft 132 der 11 Freunde), macht es möglich, dass auch ein notorischer Meisterschaftsverkacker wie Schalke 04 in der Champions League antreten darf – „Königsblau“ meets „Königsklasse“ und spielt dabei aktuell eine höchst respektable Rolle, hatte vor zwei Wochen immerhin in London beim Arsenal F.C. gewonnen, der nun also zum Rückspiel in Gelsenkirchen erwartet wurde.
Nach einem Begleiter zum Spiel musste ich nicht lange suchen, mein Freund „Brille“ erklärte sich spontan bereit, an meiner Seite ins Ruhrgebiet zu reisen und mir so zum zweiten Mal in diesem Jahr undercover den Rücken frei und mich während der langen Fahrt quer durch Deutschland wach zu halten. Vor lauter Aufregung und Vorfreude sang er dabei immer wieder den alten Gassenhauer, der diesem Bericht seinen Titel gab, außerdem leisteten KFC und eine russische Band namens Король и Шут unschätzbare Dienste, so dass An- und Rückreise mit einer kleinen Ausnahme (dazu später mehr) nahezu störungsfrei verliefen.
Das Stadion war mit 54142 Zuschauern ausverkauft, unter ihnen 2700 Arsenal-Anhänger. Als Club von Welt können sich die Gunners natürlich auch deutsche Fanclubs leisten – stellvertretend für diese schmückte ein Banner von „Arsenal Cologne“ den Gästeblock. Schalke wiederum ließ sich auch nicht lumpen und konnte mit dem Schalke Fanclub UK eindrucksvoll kontern. Sonderlich zu beeindrucken vermochte der Gästeanhang akustisch leider nicht, sieht man von einer kurzen Phase zwischen dem 0:2 und dem Anschlusstreffer kurz vor den Pause ab. Even Gooners only sing when they’re winning, voller Schwermut dachte ich immer wieder an die Europacup-Übertragungen von der Insel in den 70er und 80er Jahren des vergangenen Jahrhunderts, bei denen ich fasziniert vor dem Fernseher die Schlachtgesänge aus einer anderen Welt aufsaugte. Eine ganz leise Ahnung davon, wie es damals gewesen sein könnte, stellte sich beim Chorus aus Hey Jude ein, den der komplette Gästeanhang in der ersten Halbzeit gelegentlich voller Inbrunst zelebrierte, dies hielt aber leider nicht lange an. Die guten, alten Zeiten sind wohl endgültig vorbei, nicht nur bei Arsenal.
Ein bisschen „englischer“ ging es bei uns im Block zu, zwei Reihen hinter uns hatte sich eine Gruppe Fußballtouristen niedergelassen, altersmäßig der Football Factory längst entwachsen, aber immer noch mit vollem Herze bei der Sache, „alte Londoner“ sozusagen, nette Leute, die vor dem Spiel brav im Stadionfanshop eingekauft hatten und ansonsten artig auf den Anstoß warteten.
Kaum war der Anpfiff ertönt, mutierten die Gentlemen im Bruchteil einer Sekunde zu Klischee-Tommies allererster Güte. Es war faszinierend, sie heimlich, unter Vermeidung direkten Blickkontaktes, zu beobachten, wie sie mit ihrer Mannschaft fieberten und litten, wie ihre Stimmung zwischen totaler Ekstase und stiller Resignation pendelte, und das im Sekundentakt. Und erst die Kommentare zu verschiedenen Spielsituationen – ich habe kein Wort verstanden. Na gut, ein Wort schon, das in jedem Satz mindestens fünfmal vorkam: „You f*#kin‘ …, get your f*#kin‘ … off this f*#kin‘ …! F*#k off!“ säuselte es in einer Tour von hinten, das ganze mit einer Stimme, wie sie wohl nur jahrzehntelanger Konsum schaumlosen Bieres hervorbringt.
Lustig wurde es nach dem Anschlusstreffer, als der Älteste der Gruppe einen vielleicht halb so alten, halb so großen und bestenfalls halb so schweren Schalker freundlich, aber bestimmt zurechtwies, der der Meinung war, demonstrativ in Richtung der Engländer posieren zu müssen. Hart in der Sache und verbindlich im Ton bedeutete man dem jungen Mann, sich doch etwas dezenter zu freuen, wenn er nicht nach dem Spiel auf der Speisekarte des Siegesmahls landen wollte. Dies wurde überzeugend vorgetragen, beim Ausgleichstreffer begnügte sich der vorwitzige Schalker dann auch damit, brav in Richtung Platz zu applaudieren.
Einen Spielbericht erspare ich mir an dieser Stelle, das Ergebnis (2:2, Halbzeit 1:2) hat sich vermutlich herumgesprochen, ausführliche Informationen finden sich in den einschlägigen Medien. Es war auf jeden Fall ein sehenswertes, temporeiches Spiel, bei dem einem schmerzlich bewusst wurde, was für ein unkoordiniertes Gebolze einem in der 3. Liga (und durchaus auch weiter „oben“) mitunter als „Fußball“ verkauft wird.
Unser Hauptinteresse galt ohnehin dem „Drumherum“ des Spieles. Der Einlass war gut organisiert, im Stadion waren jede Menge Helfer unterwegs, die zielsicher Neulinge unter den Besuchern (wir kannten ja bisher nur den Viehtrieb zum Gästeblock) enttarnten und ihnen freundlich den Weg zu ihren Sitzen wiesen. Unsere Plätze auf dem Oberrang eröffneten eine gute Sicht auf das Spielfeld wie auch auf den Gästebereich. Viel zu sehen und hören gab es in letzterem nicht, das hatte ich ja schon angedeutet.
Der heimische Anhang konnte phasenweise mit brachialer Lautstärke punkten. Wenn die in der Nordkurve angestimmten Gesänge das ganze Stadion erfassten, stellte sich immer wieder Gänsehaut ein. Ansonsten war schon ein großer Anteil Operettenpublikum anwesend, das dann auch schnell unruhig wurde und gar sein Missfallen mit Pfiffen bekundete, wenn es auf dem Platz mal nicht so richtig laufen wollte. Dies war sogar noch nach dem Aufholen des Zwei-Tore-Rückstandes der Fall, was uns schon etwas verwunderte. Aber vielleicht sind unsere Ansprüche an ein Spiel als Drittliga-Zuschauer auch nur niedriger. Nicht auszudenken, die Schalker hätten den Ausgleich nicht mehr geschafft.
In der Nordkurve trennte sich nach starkem Beginn auch bald die Spreu vom Weizen, eine überschaubare Menge Fans war beständig am Singen und in Bewegung, der Funke wollte aber nicht immer überspringen. Das in den Stadien westlich der Elbe häufig zu beobachtende Dauerwedeln mit den Fahnen ist nicht so nach meinem Geschmack – muss es allerdings auch nicht, ist ja nicht mein Block.
Nette Beobachtung am Rande: Lukas Podolski erfreut sich auch als Neu-Londoner großer Beliebtheit, seine Aktionen wurden gern mal mit dem bekannten Gesang gewürdigt, bei dem sich Cologne auf Dom reimt. Mit seiner Vorarbeit zum zwischenzeitlichen 0:2 konnte er jedoch eine passende Antwort auf die Liebeserklärungen in Königsblau geben. Für Freude beim Schalker Anhang sorgten außerdem die gelben Trikots der Gäste. Das Kennzeichen des Arsenal-Busses begann konsequenterweise auch noch mit der Buchstabenkombination DO – es war also tatsächlich an jede Kleinigkeit gedacht worden.
Am Ende eines sehenswerten Spiels vor einer über weite Strecken stimmungsvollen Kulisse steht ein 2:2 – Schalke hat somit aus zwei Spielen gegen ein europäisches Topteam vier Punkte erzielt und hat gute Aussichten auf das Überwintern in der Champions League. Das hätte so vielleicht auch nicht jeder erwartet. Respekt dafür.
Für uns hieß es nun, Abschied zu nehmen und die lange Rückreise durch die Nacht anzutreten. Und hier erlebten wir nun tatsächlich nach einem gelungenen Tag noch die schon erwähnte Ausnahme von der Regel der guten Organisation. Die Ausfahrt von den in großer Zahl zur Verfügung stehenden Parkplätzen ist schlicht und einfach eine Katastrophe. Da man es im Pott wohl auch nicht so mit dem vorausschauenden Fahren hat, überrascht es nicht, dass Einmündungen und Kreuzungen ohne Rücksicht auf Verluste zugestellt werden, was für zusätzliche Verstopfungen sorgt. Eine ganze Stunde ging letztlich für den Weg vom Parkplatz zur Auffahrt auf die A2 drauf. Das Konzept, wenn es denn eines gibt, sollte man doch noch einmal überdenken.
Bleibt mir, mich noch einmal herzlich zu bedanken. Der Dank geht an
- 11 Freunde für die Tickets
- „Brille“ für eisernes (hihi) Durchhaltevermögen auf Fahrer- und Beifahrersitz und für Rost und Kalk
- Den Autohof Senden für die Bocker danach
Ein paar Bilder vom Spiel gibt es hier.
10. November 2012 um 12:45
Sehr schön zu lesen! Aber bloß nicht zu viel von diesem Fußball-Käse schauen, denn das zeigt es so recht unser eigenes Drittliga-Elend auf.
10. November 2012 um 23:19
Man darf ja auch mal Glück haben bei so einer Verlosung. Umso besser, wenn der Ausflug sich dann gelohnt hat!
Aber mal was anderes: Du kennst Король и Шут? Die finde ich großenteils genial. Manches von denen ist natürlich auch nervig, aber gut, das gehört dazu. Jedenfalls eine nicht so glattgebürstete Band mit Blutdruck!
11. November 2012 um 13:42
Kennen ist zu viel gesagt. Ich habe ein Album von denen zum Anhören bekommen, das lief dann während der Fahrt in heavy rotation. 😉
Hat mir aber tatsächlich gut gefallen und ich bin immer für neues offen (natürlich innerhalb gewisser Grenzen). 😉
11. November 2012 um 21:29
Ich habe die mal in Russland im Radio gehört und dann kurz vor Abreise wahllos die drei oder vier CDs gekauft, die am besten aussahen. Habe das auch nicht bereut.
Ich finde es klasse, wie sie einerseits ihre teils ziemlich ausgefeilten Arrangements sauber und präzise runterrotzen, ohne deshalb zahm zu klingen. Die können richtig schön die Sau rauslassen. Das ist Lautstärke höchster Qualität, finde ich 🙂