Heute steht ein ganztägiger Ausflug auf dem Programm, also ist frühes Aufstehen angesagt, aber trotz heldenhafter Selbstüberwindung und rechtzeitigen Aufstehens haben wir in der heißen Schlacht am Frühstücksbuffet gegen eine deutsche Schulklasse nicht die Spur einer Chance. Die sie begleitende Lehrerin gibt alles, um ihren Schülern ein wenig britische Lebensweise zu vermitteln und lässt jede(n) einzelne(n) einen Blick auf ihre Portion Haggis werfen. Die Begeisterung der Kids hält sich jedoch in Grenzen und man entscheidet sich geschlossen für „continental“, was wiederum zur Folge hat, dass wir (Matze und ich) uns hinter einer etwa 20köpfigen Schlange einreihen müssen. Dass wir dem Toaster (Auslöser und Katalysator der Wartegemeinschaft) bis zum verabredeten Abmarschtermin nur unwesentlich näher kommen und somit ohne Frühstück aufbrechen müssen, versteht sich so von selbst.
Der obligatorische Pitstop findet diesmal am benachbarten LIDL-Markt statt, wo sich einige mit Proviant für unterwegs eindecken, man weiß ja nie. Ich verzichte, denn ich bin noch satt vom Frühstück, außerdem kauft es sich mit vollem Magen nicht gut ein. Unterwegs habe ich noch eine kleine Überraschung für Thommy. Wie jeder weiß, ist dieser ein absoluter Kontrollfreak und so zeigt er sich sehr erfreut, als ich ihm plötzlich seine Autoschlüssel überreiche, die am Anreisetag vor der Abfahrt zum Flughafen von seiner Flurgarderobe in meine Jackentasche gesprungen sind. Es ist immer wieder schön zu sehen, wie man mit kleinen Gesten anderen Menschen eine riesige Freude machen kann.
Gegen 9 Uhr, eine halbe Stunde vor der geplanten Abfahrtszeit, finden wir uns am vereinbarten Treffpunkt (11 George Square) ein. In einem Schaufenster des Büros hängt ein Zettel, auf dem geschrieben steht, dass die Firma umgezogen ist, die Touren aber weiterhin hier starten. Pünktlich auf die Minute erscheint unser kleiner Tourbus von Timberbush, wir verteilen uns auf die zur Verfügung stehenden 16 Plätze (die coolen Jungs sitzen, wie es in Bussen üblich ist, natürlich auf der hinteren Bank) und dann kann es losgehen.
Unser Fahrer und Reiseführer heißt John und erweist sich schon bei seiner Vorstellung als überaus freundlicher und humorvoller Zeitgenosse: „I never thought of becoming a bus driver. Well, here I am.“ Da John überaus klar und gut verständlich spricht, verschwinden nun endgültig die in den letzten Tagen gelegentlich aufgetretenen Selbstzweifel an meinem erlernten Englisch. Im Kontakt mit Einheimischen kam es mir in den ersten Tagen oft so vor, als hätte ich all den Sprachunterricht in meinen jungen Jahren nur geträumt, oder aber das Britannien meiner Schulzeit läge auf dem Kontinent, auf dem der Frühstückskoch vom Euro Hostel seine Ausbildung erhalten hat.
Wie dem auch sei, in den nächsten acht Stunden führt uns eine ausgedehnte Tour von Glasgow aus nach Balmaha am östlichen Ufer des Loch Lomond, durch den Loch Lomond and the Trossachs National Park nach Aberfoyle, weiter vorbei an Loch Drunkie und Loch Achray zum Loch Katrine, von wo aus wir nach einer längeren Pause über Stirling zurück nach Glasgow fahren, natürlich nur, wenn wir nichts dagegen haben – John erkundigt sich im Tagesverlauf regelmäßig nach unserer Zufriedenheit mit seinem Programm. Natürlich gibt es unsererseits keine Einwände und wir legen unser Schicksal bereitwillig in Johns Hände – eine gute Entscheidung.
Die erste Etappe führt uns also aus Glasgow heraus zu einem der berühmtesten schottischen Seen, dem Loch Lomond. Es sieht zunächst so aus, als wolle uns die Stadt nicht so recht loslassen, an jeder Ampelkreuzung sehen wir „Rot“, was dermaßen auffällt, dass John sich dafür am liebsten entschuldigen würde. Nun ja, ich denke, er war noch nie in Schwerin. Es dauert nicht lange, dann werden die Abstände zwischen den Häusern am Straßenrand immer größer und bald sehen wir erste Vorboten der Highlands vor uns, die Vorfreude wächst.
Unser Ziel am Ostufer des Loch Lomond ist Balmaha. Von dort aus werden auch Schiffstouren über den See angeboten, wir haben aber leider die falsche Jahreszeit erwischt. Ersatzweise führt uns John auf einen nahe gelegenen Berg, der nicht nur im geologischen „Grenzgebiet“ zwischen den Highlands und Lowlands liegt, sondern darüber hinaus eine großartige Aussicht auf die Umgebung bietet. Der Aufstieg (Für die Unioner: Ja, ich habe AUFSTIEG gesagt. JEHOVA, JEHOVA!!!) erweist sich als recht mühselig, so dass nicht die komplette Reisegruppe den Gipfel erreicht. Wer bis oben durchhält, wird mit der erwähnten wunderbaren Aussicht auf den See und die im Norden gelegenen Highlands belohnt. Die Sicht ist aufgrund der spätwinterlichen Witterung leider etwas eingeschränkt, aber tief hängende Wolken und leichter Nieselregen unterstreichen die unfassbar friedliche Ruhe, die von der Szenerie ausgeht.
Auf dem Rückweg zum Parkplatz bei der Nationalparkverwaltung kommen wir am Gasthaus „The Oak Tree Inn“ vorbei. Um den Stamm des namensstiftenden Baumes ist ein hellblaues Band gebunden, das von einer kürzlich abgehaltenen Hochzeit zeugt. Unsere Aufmerksamkeit gilt jedoch einem Wegweiser, auf dem geschrieben steht: „Public Toilet – Comfort Partner.“ Selbst John kann nicht umhin, diese verbale Entgleisung zu fotografieren, sein Kommentar: „They are doing terrible things to the English language.“
Nächste Station ist Aberfoyle, hier befindet sich das Scottish Wool Centre. Wir legen eine kleine Pause ein, schauen uns ein paar Schafe im Freigehege an und erwerben das eine oder andere Souvenir. Dann geht es in höhere Lagen, wir fahren auf schmalen, kurvenreichen Straßen zwischen Wiesen und Mooren, vorbei an immer höheren Bergen mit schneebedeckten Gipfeln, dann wieder durch Täler entlang malerischer Seen mit so vielversprechenden Namen wie Loch Drunkie. Am Loch Achray ergibt sich ein spontaner Fototermin mit zwei ziemlich arroganten Hochlandrindern, die sich im Bewusstsein, begehrtes Motiv zu sein, ganz schön feiern lassen. Was heißt eigentlich Lasagne auf Gaelisch?
Am Loch Katrine legen wir schließlich eine etwas längere Rast ein. Der 13 Kilometer lange See wird an seinem südöstlichen Ufer von malerischen Felsen umrahmt. Am Ende eines langen, überdachten Bootssteges wartet das Dampfschiff „Sir Walter Scott“ auf Passagiere. Da unsere Zeit gerade im Hinblick auf den am Nachmittag geplanten Besuch von Stirling Castle jedoch begrenzt ist, entscheidet sich die Mehrheit gegen eine Rundfahrt auf dem See. Stattdessen kehren wir im Gasthaus „The Brenachoile“ ein und stärken uns für die zweite Tageshälfte.
Beim Verlassen der Highlands stoppen wir noch einmal in einem kleinen Dorf namens Brig O’Turk, wo uns John einen bemerkenswerten Baum zeigt, in dessen Stamm über die Jahre ein Fahrrad hineingewachsen ist. Der ehemalige Besitzer war wohl doch ein paar Minuten zu lange im Pub. Später erreichen wir Doune Castle, eine mittelalterliche Burganlage, die 1975 als Kulisse für „Monty Python & The Holy Grail“ (deutscher Titel: Die Ritter der Kokosnuss) in die Filmgeschichte einging.
Im letzten Abschnitt des Ausfluges wird es dann noch einmal historisch. Wir nähern uns Stirling, wo in einer der größten Schlachten der schottischen Unabhängigkeitskriege William Wallace am 11. September 1297 den englischen Truppen eine vernichtende Niederlage beibrachte – Stichwort: „Braveheart“. Für das ihm zu Ehren erbaute National Wallace Monument steht leider nur ein kurzer Foto-Augenblick zur Verfügung, wir fahren dann zum Stirling Castle, einem sehr gut erhaltenen früheren Residenzschloss schottischer Könige im Mittelalter, das später bis ins 20. Jahrhundert hinein noch militärischen Zwecken diente. Hier haben wir nun etwa 90 Minuten Zeit für individuelle Erkundungen. Die Zeit vergeht wie im Fluge und als sich das Burgtor um 17 Uhr hinter uns schließt, treten wir die „Heimreise“ nach Glasgow an, wo wir uns eine knappe Stunde später von John verabschieden. Vielleicht haben wir irgendwann ja noch einmal das Vergnügen.
Ein solcher Tag verlangt natürlich einen würdigen Abschluss. Welcher Ort wäre dafür besser geeignet als Waxy O’Connor’s? Und so sitzen wir keine 10 Minuten später in „unserem“ Pub und trinken ein paar Gläser auf Lochs, Highlands und Bravehearts. Harmonie und Frieden, die dem Tag ihren Stempel aufgedrückt haben, geraten kurzzeitig in Gefahr, als Basti der Zerstörer (ihr erinnert euch an den Glasbruch am ersten Tag) die Spülung auf der Herrentoilette für immer außer Betrieb setzt. Mein Russischlehrer bemerkte dazu einst treffend: „Zivilisation ist, wenn man ein WC hat, Kultur ist, wenn man es benutzen kann.“
Unsere Zeit in Schottland ist fast vorüber, der bevorstehende letzte Tag wird uns in die Hauptstadt Edinburgh führen.
…
Fortsetzung folgt.
Bisher erschienen:
1: Welcome/Rednose/Noodles Day
Es folgt demnächst: