DFB-Pokal: Hamburger SV – FC Bayern München 1:3, 29. Oktober 2014, Volksparkstadion
Fußball ist Schmerz. Und der Pokal hat seine eigenen Gesetze. Ja, ja, ich weiß, das reicht schon wieder für den Hauptgewinn im Plattitüden-Bingo. Aber als Hansafan hat man derzeit nicht wirklich viele Gelegenheiten, sich mal über Pokalspiele auszubreiten. Kurzfristig ergab sich für mich am vergangenen Mittwoch jedoch die Möglichkeit, das zu ändern. Ein Kollege, Dauerkarteninhaber für das Volksparkstadion, war dienstlich verhindert, und so war es für mich Ehrensache, ihn bei diesem Spiel zu vertreten, zumal der aufstrebende Stadtrandverein hier im Blog bisher viel zu lange völlig unbeachtet blieb. Höchste Zeit mal dahin zu gehen, wo Fußball wirklich wehtut.
Die Anfahrt zum Spiel lässt uns (Andrè, ein weiterer Kollege und HSV-Fan, begleitet mich) Teil eines gigantischen Verkehrschaos werden, das schon auf der A24, Ausfahrt Hamburg-Jenfeld beginnt und uns auf unserer zweistündigen „Fahrt“ quer durch die Stadt nicht mehr loslassen wird. Mir kommt ein alter Spruch in den Sinn, der nichts von seiner Aktualität eingebüßt hat: „Sie stehen nicht im Stau. Sie SIND der Stau!“ Auf Hinweise zu zweckmäßigen Ausweichrouten oder zur Parkplatzsituation im Programm des NDR 2, der uns mit einer Pokalshow die Wartezeit verkürzt, hoffen wir leider vergebens, wobei man natürlich aus den Verkehrsdurchsagen bezüglich der A7 rund um Stellingen entsprechende Schlüsse ziehen kann. Dafür gibt es via Nachrichten die lebenswichtige Information, dass Steuerhinterziehung bald „noch schwieriger“ sein wird – eine ziemlich subtile Art des HSV-Medienpartners, den heutigen Gegner zu dissen. Hat was.
Je näher wir dem Stadion kommen, umso langsamer geht es vorwärts. Selbst die Fußgänger sind inzwischen schneller als wir, es ist, als würden wir stehen. Moment, wir stehen ja tatsächlich. Die Szenerie erinnert ein wenig an den Megastau, der einst im Film „Falling Down“ Michael Douglas zu seinem denkwürdigen Amoklauf quer durch L.A. inspirierte. Eine Viertelstunde vor dem Anstoß reicht es auch uns, allerdings lassen wir das Auto nicht auf der Fahrbahn zurück, sondern fahren auf den Bürgersteig und stellen es vor einem Firmenzaun ab. Die letzten zwei bis drei Kilometer bis zum Stadion legen wir zu Fuß zurück, vorbei am bereits geschlossenen Parkplatz „Braun“, bei dem sogar die beiden Abbiegespuren als Parkflächen vermarktet werden.
Als das Stadion dann in Sicht kommt, schallt uns Jubel entgegen. Für ein Tor der Heimmannschaft ist die Lautstärke zu gering, so dass wir mehr als skeptisch sind, als hinter uns plötzlich jemand aufschreit: „1:0 durch Westermann!“ Wir zweifeln, wie wir inzwischen wissen, zu Recht, wobei … im Stadion hören wir dann, dass es ja irgendwie doch „sein“ Tor war.
Etwa 15 Minuten nach Anpfiff stehen wir vor dem Eingang in unseren Block. Es bietet sich das bereits von den Straßen Hamburgs bekannte Bild: Komplette Überfüllung, keine Chance, da irgendwie hineinzugelangen. Was für eine Scheiße. Ein paar hilflose Ordner dürfen sich den Frust der Draußengebliebenen anhören, erfüllen so eine Art Blitzableiterfunktion. Einer fordert: „Du gehst jetzt da rein und holst alle raus, die da nicht hingehören. Ich bin jede Woche hier, ich will da jetzt rein!“ Verständlicher Ärger, aber an der Situation ändert das nichts.
Also gehe ich erst mal etwas essen, das Backfischbrötchen erweist sich als gute Wahl, dazu ein Becherchen Cider, und dann schaue ich mir das Spiel auf einem Bildschirm an, der über dem Cateringschalter angebracht ist, mit der völlig überfüllten Nordtribüne in meinem Rücken. Das ist doch mal ein „Public Viewing“ der besonderen Art. Andrè, der inzwischen seine Anstrengungen, sich doch noch in den Block hinein zu mogeln, aufgegeben hat, gesellt sich zu mir. Einen letzten verzweifelten Versuch gönnt er sich noch, als er einen jungen Polizisten um dessen Helm bittet, um sich mit dem Kopf voraus einfach durchzukämpfen, aber der ergreift stehenden Fußes die Flucht.
Üben wir uns also weiterhin in Geduld und setzen unsere Hoffnung auf die Halbzeitpause. Und tatsächlich, mit dem Pausenpfiff leert sich der Block ein wenig und wir können endlich hinein. Das ausverkaufte Stadion (57000) bietet einen beeindruckenden Anblick. Ich denke zurück an meinen ersten Besuch mit Hansa nach dem Umbau. Wie schon damals halte ich das Volksparkstadion nach wie vor für eines der gelungeneren Bauwerke seit Beginn des Arena-Wahns in Deutschland. Ist sicher Geschmackssache und vielleicht liegt das auch daran, dass es eines der ersten seiner Art in der Bundesliga war. Darüber hinaus hatten wir hier oft beeindruckende Auswärtsauftritte, auf dem Platz weniger als auf den Rängen, aber immerhin. Legendär unser bislang letztes Pflichtspiel im Volkspark 2007 mit ca. 10000 Hanseaten.
Die Bayern werden bei ihrem Pokalgastspiel in ähnlicher Größenordnung unterstützt. Optisch macht das schon Eindruck, aber akustisch vermögen die Bazis nur selten zu überzeugen. Ein paar vereinzelte Wechselgesänge zwischen Ober- und Unterrang hören sich ganz gut an, das war es dann aber auch schon. Es bestätigt sich mal wieder, dass Masse nicht automatisch zu Klasse führt. Entschuldigend darf angemerkt werden, dass der einseitige Spielverlauf und die frühe Spielentscheidung nicht recht als Stimmungskatalysator taugen, andererseits kann man bei so überlegenem Spiel der eigenen Mannschaft ruhig mal ein wenig aus sich herausgehen. Vielleicht gewinnen die einfach zu oft. Oder geht es nicht mehr ohne Klatschpappen?
Dennoch reichen die Aktivitäten eines überschaubaren Stimmungskerns locker, um die akustische Hoheit im Stadion zu sichern, womit wir beim Heimpublikum sind. Wer es mit dem HSV hält, macht schwierige Zeiten durch. Dementsprechend niedrig sind die Erwartungen schon vor dem Spiel gewesen, und so fühlt sich auch die Atmosphäre im Stadion an. Unmittelbar hinter dem Tor geben sich Ultras alle Mühe, die Nordtribüne mitzureißen, aber mit wachsendem Abstand in Richtung der beiden Ecken erlahmt die Aktivität exponentiell. Das ist schon in der ersten Halbzeit von außerhalb zu spüren und bestätigt sich dann auch vor Ort.
Auch das späte HSV-Tor kann daran nicht wirklich etwas ändern, da hilft auch „Lottos“ alberne Spielstandsabfrage („NurderHSV?“ – „Eins!“ – „Bayern?“ – „Null!“) nichts. Zu groß ist die Überlegenheit der Bayern, zu ernüchternd das Resultat. Und trotzdem kommt am Ende doch noch einmal Stimmung auf, als ein abenteuerlustiger HSV-Fan von der Westtribüne kommend den Platz betritt und mit schnellem Antritt, der den Ordnern keine Chance lässt, den Rasen überquert, um Publikumsliebling „Frongg“ Hallo zu sagen, was diesem aber offenbar weniger zusagt. Auch der beabsichtigte Tausch Schal gegen Trikot kommt nicht zustande. Gar nicht fannah, Monsieur R.! Egal, den Fans gefällt es, wenigstens einer lehnt sich mal gegen die erdrückende Übermacht auf und erzielt sogar so etwas wie Wirkung bei der Fußballmaschine FCB, wie man an der wütenden Reaktion des attackierten Spielers sieht, dessen Mannschaftskollegen Mühe haben, ihn zurückzuhalten.
Die Heimfahrt verläuft dann wie im Bilderbuch, nichts und niemand kann uns aufhalten, als wir – immer am erlaubten Limit – über beinahe menschenleere Straßen in Richtung Heimat brausen. So schnell werde ich erst mal nicht wieder das Volksparkstadion aufsuchen, es sei denn, bei Hansa gibt es eine plötzliche sportliche Explosion, die uns in absehbarer Zeit zu Pflichtspielen dort antreten lässt. Oder ich habe mal wieder Appetit auf leckeren Backfisch. Denn der ist wirklich gut.
4. November 2014 um 10:12
Schade nur, dass HW4 nicht mit Müller und Lewandowski in die Kurve lief zum Jubeln.
Und wie du den Flitzer verharmlost. Unerhört. Wenn der jetzt keinen Schal sondern eine…ein…ääh…einen Hammer, ja Hammer, dabei gehabt hätte??! Denk doch mal einer an die Kinder!!!