Landespokal: FC Mecklenburg Schwerin – F.C. Hansa Rostock 0:2, 26. März 2016
Piecke ist sauer. Und wenn Martin Pieckenhagen sauer ist, findet er deutliche Worte. So war er schon als Spieler, der berühmt-berüchtigte Spruch über „Eier“ kam einst aus seinem Munde, lange bevor ihn „Titan“ Olli adaptierte und ihm damit endgültige Mainstreamtauglichkeit verlieh. Aber auch, wenn gerade Ostern ist, sind es nicht die etwa fehlenden oder zu klein geratenen primären Geschlechtsmerkmale seiner Spieler, die dem Trainer des FC Mecklenburg Schwerin die österliche Stimmung verhagelt haben.
Nein, was dem Coach bitter aufstößt, ist die fehlende Unterstützung des Schweriner Fußballpublikums im Halbfinale des Landespokals zwischen seiner Elf und dem F.C. Hansa Rostock. Mit einem Gesichtsausdruck, für den normalerweise ein Waffenschein benötigt wird, verkündet Pieckenhagen bei der Pressekonferenz nach dem Spiel sein vernichtendes Urteil:
„Ich weiß nicht, wie viele Zuschauer da waren … vier-/fünftausend? Ich habe es leider nicht gemerkt auf dem Spielfeld, und das finde ich schade. … Ich habe gehofft, dass das Publikum ein bisschen mitkommt, aber da kam leider gar nichts. Das ist für mich eigentlich sehr enttäuschend, eigentlich das Enttäuschendste an dem Tag heute.“
Aber kommt das wirklich so überraschend? Für mich nicht. Zunächst ist und bleibt Schwerin fußballtechnisch Hansazone, nicht mehr so unangefochten wie in Bundesligazeiten, aber noch immer pilgern Woche für Woche zahlreiche Fans aus Schwerin und Westmecklenburg zu den Spielen der Hanseaten. Die Fahnen „Hansafans Schwerin“ und „Schwerin on Tour“ sind im Ostseestadion und vor den Gästeblöcken der Republik fester Bestandteil der Beflaggung. Und so waren natürlich auch im Lambrechtsgrund die Hansaanhänger deutlich in der Überzahl.
Der lokale Fußball steht in der Landeshauptstadt beim Publikumsinteresse klar hinter den erfolgreicheren Sportarten Volleyball und Handball auf Platz drei. Und selbst fußballintern ist es für den FCM noch ein sehr weiter Weg, um als DER Schweriner Verein angenommen zu werden. Es ist nicht damit getan, dem Publikum einen (weiteren) neuen/fusionierten Fußballclub vor die Nase zu setzen, dem sofort von allen Seiten die Herzen zufliegen. Da braucht es neben sportlichem Erfolg vor allem Geduld. Es gibt in und um Schwerin so manchen über Jahre und Jahrzehnte gewachsenen Verein, der auf treue Fans und Unterstützer zählen kann, deren Verbundenheit stärker ist als die vermeintliche Anziehungskraft des neuen Wunderkindes.
Dazu kommt noch eine sehr spezielle Interpretation des Begriffes „Stimmung“ beim Schweriner Sportpublikum. Wer regelmäßig die Spiele der Volleyballerinnen und Handballer besucht, kennt das „Schweriner Stimmungsrezept“: Klatschpappen, Lärmbelästigung an der Grenze zur Körperverletzung und permanente Animation durch vollkommen überdrehte Hallensprecher, die eine Liste von acht bis zehn Standardsprüchen je nach wiederkehrender Spielsituation bis zum Erbrechen abarbeiten und dabei nicht davor zurückschrecken, den Zuschauern zu erklären, was sie gerade selbst gesehen haben, wie zum Beispiel beim Volleyball:
„Das war ein Block! Wo sind die Klatschpappen?! Mein Block, mein Block, mein Block!“
Das alles geschieht in einer Lautstärke, die jede spontane Publikumsreaktion im Keim erstickt. Dabei ist das völlig unnötig, denn gerade beim Volleyball wird in Schwerin erstklassiger UND erfolgreicher Sport geboten, und die Spiele sind meist so mitreißend, dass dieser ganze DJ-Quatsch gar nicht nötig ist, um die Halle zum Kochen zu bringen.
Genug gemeckert, zurück zum Pokalspiel. Für mich ist es mal wieder ein „Auswärtsspiel“, zu dem ich mit dem Linienbus fahren kann, der noch dazu vor meiner Haustür abfährt. Eine gute Idee, denn rund um den Lambrechtsgrund herrscht mächtig viel Verkehr, außerdem spare ich so auch noch die Parkplatzgebühr. Vor dem Haupteingang hat sich eine lange Schlange gebildet, es ist nur ein Tor geöffnet, hinter dem an mehreren Schleusen die Einlasskontrollen stattfinden. Die Ordner gehen dabei recht zügig zur Sache, so dass sich das Anstehen zeitlich in Grenzen hält. Im Stadion ist ein Gästebereich mit eigenem Eingang eingerichtet und durch einen „Pufferblock“ vom restlichen Stadion getrennt, dessen Sinn wohl darin besteht, dass sich ein paar Polizeibeamte das Spiel in Ruhe und mit viel Bewegungsfreiheit anschauen können. Denn natürlich stehen auch auf der „Schweriner Seite“ jede Menge Hansafans im gut durchmischten Gedränge – „Fantrennung 2.0“.
Vor dem Gästeblock ist die Tartanbahn mit Sand bedeckt, um etwaige Beschädigungen des wertvollen Belages durch verirrte Feuerwerkskörper zu vermeiden, eine Erfahrung aus Spielen in der Vergangenheit. Da von Seiten des Hansa-Anhangs auf den Einsatz von Pyrotechnik verzichtet wird, kann auch so nichts passieren. Aber sicher ist sicher.
Aufgrund des großen Andrangs beginnt das Spiel mit zwanzig Minuten Verspätung, vor dem Anstoß gibt es noch eine Gedenkminute für die Opfer der jüngsten Terroranschläge, die tatsächlich von allen Stadionbesuchern respektiert wird. Das ist ja – je nach Ausschankgeschwindigkeit – leider nicht immer so bei Veranstaltungen dieser Art. Respekt an alle Anwesenden!
Der Spielverlauf ist ein gelungenes Beispiel für die These, dass ein gutes Pferd so hoch springt, wie es muss. Eine anfängliche beiderseitige Abtastphase von 25 Minuten endet mit zwei schnellen Hansa-Angriffen über die rechte Seite, die jeweils von Stephan Andrist erfolgreich abgeschlossen werden. Damit ist das Spiel dann auch schon entschieden. Hansa behält die Kontrolle in der Hand, das sieht lange Zeit nicht besonders schön aus, reicht aber, um die Gastgeber vom eigenen Strafraum fernzuhalten. In den letzten zwanzig Minuten, als Schwerin die eigenen Angriffsbemühungen verstärkt, ergeben sich noch gute Kontermöglichkeiten für Hansa, der Schweriner Torhüter hat jedoch einen Sahnetag erwischt und entschärft das eine oder andere Geschoss. So bleibt es am Ende beim verdienten, aber unspektakulären Sieg für Hansa.
Der FC Mecklenburg hat sich wacker geschlagen und keinesfalls enttäuscht, die volle Konzentration gilt dort nun dem angestrebten Aufstieg in die Oberliga, wofür ich viel Erfolg wünsche. Auf uns wartet im Finale am 28. Mai der FC Schönberg 95, es wird ein Wiedersehen mit zahlreichen ehemaligen Hanseaten geben, hoffentlich ohne freundliche Geschenke unsererseits. Leider müssen wir dazu nach Neustrelitz fahren. Das bedeutet für beide Vereine und ihren Anhang unnötig weite Anreise, dazu kommt noch das überaus hässliche Stadion. Andererseits haben wir mit diesem Stadion ja noch eine Rechnung offen. Also lasst uns da hinfahren, den Pokal mitnehmen und einen großen Haken dransetzen.