Feuerherz. Die neuesten Leiden des jungen W. (Jürgen Eick)
Musik von und mit Feine Sahne Fischfilet, Volkstheater Rostock, 10. April 2016
Letzten Sonntag konnte ich mal wieder einen neuen Ground „abhaken“, das Volkstheater in Rostock. Die Kulturstätte kämpft seit Jahren um ihre Existenz und wird dabei von mehr oder weniger hilfreichen Ratschlägen mehr oder weniger kompetenter Personen und Institutionen begleitet, die besonders im Vorfeld von Wahlen regelmäßig ihr Herz für die Kunst (wieder)entdecken. Dabei ist das Erfolgsrezept doch so einfach: Es müssen nur genügend Zuschauer in die Vorstellungen kommen. Genialer Plan, oder – frei nach Brecht in anderem Kontext – das Einfache, das schwer zu machen ist.
Mit der neuesten Inszenierung „Feuerherz. Die allerneuesten Leiden des jungen W.“, die am letzten Wochenende Premiere hatte, scheint der Plan aufzugehen: ausverkauftes Haus bei den ersten beiden Vorstellungen, darunter jede Menge Leute, die eigenem Bekunden zufolge zum ersten Mal in ihrem Leben im Zuschauerraum Platz nahmen, genau wie ich, nur dass ich als nicht in Rostock Ansässiger eine deutlich bessere Begründung für mein bisheriges Fernbleiben hatte.
Schon bei der Ankündigung der Aufführung konnte man allerdings ahnen, dass die Resonanz eine besondere sein würde, mit Feine Sahne Fischfilet wurde schließlich für den musikalischen Part ein ganz besonderer Publikumsmagnet gewonnen, wobei ich schon davon ausgehe, dass die enorme Popularität der Band eine wesentliche Entscheidungshilfe bei der Besetzung war, wenn denn überhaupt Alternativen zur Diskussion standen.
Die Musik der Band nimmt großen Raum ein in „Feuerherz“, zur großen (wohl auch eigenen) Überraschung hat Sänger Monchi zusätzlich eine Menge Sprechtext bekommen und wird so neben Titelheld W. zur zentralen Figur der Handlung, eine unglaubliche, normalerweise unlösbare Herausforderung für einen – das soll keinesfalls abwertend klingen – Laiendarsteller. Die Lösung ist denkbar einfach: Monchi spielt einfach sich selbst.
Die Regie lässt ihn dabei an der langen Leine laufen, nicht nur bewegungstechnisch, sondern auch textlich, was seinem Auftritt eine Menge Authentizität und Intensität verleiht. Vieles, was die Bühnenfigur von sich gibt, könnte in identischem Wortlaut, Sprechweise und Körpersprache auch der echte Monchi so sagen – die Rolle, die in der ersten Feuerherz-Aufführung, 2007 in Senftenberg, in dieser Form nicht vorkam, wurde ihm buchstäblich auf den Leib geschrieben. Es steckt viel eigenes Erleben in diesem Bühnen-Monchi. Die Grenzen zwischen Fiktion (Bühnenstück) und Realität verschwimmen, wenn der Sänger bei einem Lied am Bühnenrand mit Zuschauern abklatscht oder im Publikum anwesende Freunde von gemeinsamen Stadionbesuchen in seinen Text einbaut. Selbstverständlich ziert ein Hansaschal das Schlagzeug.
Natürlich wissen auch die professionellen Schauspieler zu überzeugen, aus einem großartigen Ensemble ragt, einfach aufgrund der Gewichtung der Rolle, Filip Grujic als W. heraus, dessen intensive Darstellung das Publikum bei den häufigen Enttäuschungen in seinem jungen Leben geradezu mitleiden lässt. Stimmungsschwankungen zwischen Euphorie und Depression zeigt Grujic sehr überzeugend, wobei neben Gestik und Mimik oft auch voller Körpereinsatz erforderlich ist.
Die Geschichte enthält eine Menge Bezüge zur DDR-Vergangenheit und der Situation im Osten nach „Wende“ und „Wiedervereinigung“, beschreibt den oft bedrückenden Alltag in einer Familie, deren Arbeitsstellen abgewickelt wurden. Doch auch da herrscht nicht ausschließlich Düsternis, es gibt so manchen Lacher, wenn über das Leben im „Sonnenblumenviertel“, inmitten zahlreicher „rechter Winkel“ philosophiert wird, oder als W. beim Anhören alter Tonbandaufnahmen feststellt, das sogar sein Vater einmal jung war. Bizarr und zugleich sehr komisch ist eine Szene, in der W., Monchi und Goethe zusammen kiffen. Das sollte es unbedingt als Poster geben.
In den etwa 100 Minuten Spieldauer erhält der Zuschauer eine Fülle von Denkanstößen über Freundschaft, Familie und Zukunftsperspektiven, nicht vordergründig oder mit dem Zaunpfahl winkend, was die Zeit sehr schnell vergehen lässt. Und dann sind da die Songs von Feine Sahne Fischfilet, zum großen Teil schon bekannt, es wurden aber auch Verse von Goethe vertont. Dichterfürst meets Punk, nichts mit „Fuck you Goethe“. Ein bemerkenswerter künstlerischer Erfolg, der sich hoffentlich auch wirtschaftlich für die gebeutelte Kulturstätte auszahlt, indem viele der diesmaligen Neulinge zukünftig häufiger ihre Schritte ins Volkstheater lenken.
Bis dahin gilt Monchis Schlusswort: Wenn ihr einen Freund habt, gebt ihm mal wieder einen Pfeffi aus.
Von Audiolith gibt es einen kleinen Trailer zur Premiere am 9. April 2016: