Hanseator

Musik, Fußball und manchmal auch ein bisschen Hansa

Hanseatour de France 2016 – Spiel 4

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England – Wales 2:1, Stade Bollaert-Delelis, Lens, 16. Juni 2016

Mein letztes Spiel bei der Euro 2016 hält noch einmal einen richtigen „Kracher“ bereit. Mit England bekomme ich einen der heimlichen Turnierfavoriten zu sehen und auf den Rängen ist ein stimmungsvolles Duell zu erwarten.

Auch in Lens gibt es kaum stadionnahe Parkmöglichkeiten, also steuere ich zielstrebig einen gut ausgeschilderten P+R-Parkplatz etwa 10 Kilometer außerhalb an. Von dort aus fahren kostenlose Shuttlebusse in die Stadt hinein, ich muss nicht mal meine Eintrittskarte vorzeigen. Zur besseren Orientierung bekommt jeder Mitfahrer noch ein Merkblatt, auf dem sogar die Nummer des Parkplatzes aufgedruckt ist, ich muss nach dem Spiel einfach nur da wieder in den Bus einsteigen, wo ich vor dem Spiel ausgestiegen bin. Klappt beides bestens, soviel kann ich schon mal vorwegnehmen.

Da bis zur Stadionöffnung noch genügend Zeit ist, schaue ich mich noch ein bisschen um. In einem kleinen Park am Rande der Fußgängerzone versuchen (vermutlich) Zeugen Jehovas ein bisschen Sekundärliteratur an Passanten zu verkaufen. Nun, mit tausenden englischen Fans als Zielgruppe, sind die Erfolgsaussichten wohl eher gering, aber vielleicht zählt dadurch jede bekehrte Seele aus diesen Reihen eines Tages bei der persönlichen Abrechnung vorm Schöpfer doppelt.

Die Kneipen in der Fußgängerzone, Richtung Fanzone, sind fest in englischer Hand, die weißen Trikots mit den „Three Lions“ sind allgegenwärtig. Insgesamt liegt eine relativ friedfertige Atmosphäre in der Luft, die Anspannung der Sicherheitskräfte wird nur optisch spürbar, in kleinen Gruppen patrouillieren Uniformierte durch die Straßen.

Ich gehe dann doch schon zum Stadion, auf dem Wege dorthin laufen mir immer wieder Leute über den Weg, die dringend nach Tickets für das Spiel suchen. Das war schon vorher absehbar, gab es doch bei den verschiedenen „Resales“ nie Angebote für diese Begegnung. Schon lustig, dass ich in der ersten Verkaufs-Verlosung gerade hierfür eine Karte erstehen konnte, und das zu dem Zeitpunkt noch ohne Kenntnis der genauen Spielpaarung.

Im Stadion sitze ich hinter dem Tor in einer Art „Mixed“-Block auf der walisischen Seite. Die Mehrheit hier wird später die Engländer unterstützen. Der gegenseitige Umgang ist zwar nicht so locker, wie ich es zwischen Iren und Schweden erlebt habe, es gibt aber keinerlei Stress zwischen beiden Lagern, auch wenn vor allem die Engländer ziemlich weit den Mund aufreißen.

Es gibt heute keine getrennten Stadionsprecher, lediglich bei der „Fanmusik“ wird mal ein Unterschied gemacht. „Three Lions“ vs. „Zombie Nation“ ist aber schon mal ein Culture Clash vom feinsten, beide Werke werden wir auch während des Spiels noch von den Rängen hören. Als sich die Waliser vor unserer Tribüne warm machen, wird jeder Fehlschuss von den Engländern frenetisch gefeiert, insbesondere die von Gareth Bale. Aber der wird später im Spiel noch zeigen, dass er es besser kann.

Pathetisch und beeindruckend wird es dann bei den Hymnen beider Länder. Für „God save the Queen“ gilt ähnliches, wie ich es schon am Vortag zur russischen Hymne feststellen konnte: Musikalisch ein absoluter Hammer, das dann noch aus zehntausenden Kehlen live zu hören, ist wirklich atemberaubend. Die walisische Hymne ist melodisch ziemlich anstrengend, textlich habe ich ohnehin keine Chance zu folgen, aber auch die Waliser singen voller Inbrunst mit.

Auf dem Platz sieht es lange Zeit nach einer Überraschung aus. Die Waliser erwehren sich der englischen Attacken mit Erfolg, ein Freistoß von Bale bringt sogar die 1:0-Führung für den Außenseiter. Der schnelle Ausgleich nach der Pause lässt die Engländer ihre Anstrengungen verstärken, viel springt dabei aber nicht heraus. Dass es am Ende doch nicht für Wales reicht, ist aus deren Sicht natürlich bitter, allerdings fehlt ihnen schon ein wenig die Unbekümmertheit der ersten Hälfte und Entlastung für die eigene Abwehr gibt es auch zu wenig. So bleibt unterm Strich ein im Zustandekommen glücklicher englischer Sieg.

Das Gesangsduell wird während des Spiels intensiv fortgesetzt. Die Engländer haben schon rein zahlenmäßig die Oberhand, wobei sich die Gesänge häufig am Spielverlauf orientieren, was mein Old-School-Fanherz erfreut. Aber natürlich werden jede Menge Lieder dem Gegner gewidmet, die häufig von Schafen handeln und dem, was man mit ihnen alles anstellen kann. Die Waliser ihrerseits kontern, solange sie das Unentschieden halten, unter nicht nachlassender Begeisterung mit ihrer Variante der „Three Lions“: „You’re going home, you’re going home, you’re going … England’s going home“ und fordern die Engländer sogar auf: “Stand up for the sheep shaggers!”. Der späte, wenn auch nicht völlig unverdiente Siegtreffer klärt dann allerdings die Fronten ein- für allemal. Mit einem triumphierenden „One-nil, and you’ve fucked it up“ auf den Lippen erobern die Engländer nach dem Spiel wieder die Innenstadt.

Ich kehre zum P+R zurück und fahre ein letztes Mal in mein Quartier. Au revoir, France! Fünf schöne Tage liegen hinter mir, leider viel zu kurz, aber so ist das nun mal. Immerhin steht ja am Sonntag schon wieder ein wichtiger Termin auf dem Plan: Der Boss kommt nach Berlin.

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