Belfast 2017, Tag 4 – Giant’s Causeway Tour
Es regnet in Strömen, als wir am Sonntagmorgen, noch bevor auch nur eines unserer beliebten Frühstücksrestaurants geöffnet hat, unsere Schritte zum „International Youth Hostel“ in der Donegall Road lenken, wo unser Tagesausflug an die Küste starten wird. Irgendwie scheint ein kleiner Fluch über unseren Touren zu liegen, denn mit Ausnahme der Highlands-Exkursion vor zwei Jahren unter geradezu sommerlichen Bedingungen sind Niederschläge unser ständiger Begleiter, sobald wir einen Bus besteigen. Gleichermaßen verlässlich ist aber auch jedesmal der Wandel zum Besseren, sobald wir erst mal eine Weile unterwegs sind.
Insofern ist positives Denken angesagt, als wir unser heutiges Reisemobil besteigen. Vor dem Hostel wartet ein Kleinbus mit 16 Plätzen, wie wir ihn auch aus Schottland kennen, der ist aber leider nicht für uns vorgesehen. Wir entern einen Reisebus für 50 Personen, der schon recht gut gefüllt ist, so dass wir auch nicht alle zusammen sitzen können. Das ist insofern von Bedeutung, dass es später die von Lukas in selbstloser Weise übernommene Versorgung mit Mixgetränken etwas umständlicher gestaltet.
Bald sind die letzten eintreffenden Fahrgäste verteilt und die Tour kann starten. Neben mir hat eine junge Italienerin Platz genommen, die in Irland studiert und mit ihrer Freundin, die gerade bei ihr zu Besuch ist und irgendwo weiter vorn im Bus sitzt, ein paar Tage im Lande herumreist. Beim ersten Fotostop wird sie meinen Fensterplatz erobern, aber als Gentleman der alten Schule oder, wie man in Italien sagt, „Cavaliere grande“ sehe ich darüber großmütig hinweg und werde später sogar noch mithelfen, dass sie die Rückfahrt nach Belfast nicht verpasst.
Der Bus des Reiseveranstalters „McComb‘s Coach Tours“ setzt sich in Bewegung, im gleichen Augenblick beginnt der Fahrer, zugleich Tourguide, seinen knapp zehnstündigen (brutto) Vortrag, den er tatsächlich nur unterbricht, um hin und wieder mal Luft zu holen. Obwohl er wirklich deutlich und für fremdsprachige Ohren gut verständlich spricht, ist es aufgrund der Unmenge an Text einfach nicht möglich, auch nur annähernd alle Inhalte des mehrstündigen Wortgewitters zu verarbeiten. Ich aktiviere daher meinen inneren Reizwortfilter, um wenigstens nicht zu verpassen, wenn lebenswichtige Informationen (beispielsweise zur Essensversorgung unterwegs) kommuniziert werden. Die Signorina an meiner Seite ist mir dabei übrigens eine wertvolle Hilfe, die Jugend ist einfach aufnahmefähiger.
Die Rundreise entlang der „Giants Coastal Route“ hat eine Länge von knapp 230 Kilometern, Rückkehr nach Belfast ist vorgesehen für 7 Uhr, Zusatz des Fahrers: „morgen früh“. Kleine Scherze dieser Art baut er öfter ein, der Hinweis bei jedem Halt mit Ausstieg, dass auf Mitreisende, die nicht pünktlich wieder im Bus sitzen, nicht gewartet werden könne, das sei aber halb so wild, schließlich komme der Bus am nächsten Tag wieder, wird zum running gag.
Erste Station des Tages ist Carrickfergus Castle, leider nur ein so genannter „Photo stop“. Ich bin mir sicher, dass unser Guide einiges über die fast 850 Jahre alte Burg erzählt hat, was es aber nicht bis in mein Langzeitgedächtnis geschafft hat. In Erinnerung bleibt sie mir somit hauptsächlich als schönes Fotomotiv, der langsam nachlassende Regen verleiht dem Gemäuer zusätzlich eine gewisse spirituelle Aura.
Zwanzig Minuten später geht es weiter, vor uns liegt nun der längste Streckenabschnitt ohne Halt, etwa zwei Stunden lang fahren wir entlang der irischen Ostküste auf der „Giants Coastal Route“ in nordwestlicher Richtung zu unserem nächsten Ziel: Carrick-A-Rede. Allmählich hört draußen der Regen auf, nach absolvierter halber Strecke kündigt ein wunderbarer Regenbogen über der Irish Sea den Wechsel zu heiterem bis sonnigem Himmel an, den wir für die bevorstehenden Programmpunkte auch gut gebrauchen können.
Wir passieren Orte wie Cushendun und Ballycastle, die vielleicht dem einen oder anderen als Kulissen für „Game of Thrones“ ein Begriff sind. Der Blick schweift von der Küste über den North Channel, auf dessen schottischer Seite der berühmte, heute nicht sichtbare, Mull of Kintyre musikalische Erinnerungen wach werden lässt. Der Anblick strahlt eine große Ruhe und Faszination aus, wird aber von dem, was uns in den nächsten Stunden bevorsteht, komplett in den Schatten gestellt.
Wir steuern eines der beliebtesten Ausflugsziele Nordirlands an, die Insel Carrick-a-Rede, unmittelbar vor der Küste gelegen und über eine Hängebrücke mit dem Festland verbunden. Wir bekommen eineinhalb Stunden Zeit, um den Weg vom Parkplatz zur Brücke und (für die Mutigen) über diese hinweg auf die Insel und zurück zu absolvieren. (Reminder: „Wer zur Abfahrt nicht da ist, kann morgen wieder kommen.“)
Die Überquerung der Brücke kostet neben etwas Überwindung auch noch bares Geld, das Ticket muss spätestens am Parkplatz (oder etwas günstiger vorher beim Busfahrer) gekauft werden, es gibt nur etwas zurück, wenn die Brücke geschlossen ist, also nicht, wenn man es sich, aus welchem Grund auch immer, kurzfristig noch anders überlegt. Nun, der Blick auf die brodelnde See in 30 Metern Tiefe flößt durchaus Respekt ein, die schmalen, im Wind schwankenden Bretter (Länge ca. 20 Meter) wollen erst mal überwunden werden.
Das Brückenpersonal achtet darauf, dass die innere Sammlung der Todessehnsüchtigen den flüssigen Verkehr nicht verzögert und treibt die Wandernden, von schrillen Trillerpfeifen untermalt, unermüdlich an. „Kein Selfie jetzt! Da gegenüber wollen Leute wieder zurück!“ Also gut – Grundstellung, Brust raus, Blick frei geradeaus, Rücken durchgedrückt, und immer schön einen Fuß vor den anderen setzen. Geht doch! Auf halber Strecke riskiere ich den ersten Blick nach unten, der Anblick ist atemberaubend. Wie mag wohl den Erbauern der ersten Brücke zumute gewesen sein, mit ein paar Brettern und nur einem Seil zum Festhalten?
Auf dem Rückweg wage ich es, die Seile loszulassen und die Hände in die Luft zu strecken. Ein bisschen fühle ich mich wie Leonardo di Caprio am Bug der Titanic. Der Brückenposten ermahnt zu zügigem Voranschreiten, also begebe ich mich in die Wirklichkeit zurück. Der steile Rückweg zum Parkplatz geht sich fast von selbst, nur der Muskelkater am nächsten Tag wird mich daran erinnern, künftig wieder etwas mehr Ausdauersport zu betreiben.
Nach beeindruckenden 90 Minuten steuern wir in einem nahe gelegenen Dorf ein Restaurant an, wo es etwas zu essen gibt. In Gesellschaft „meiner“ Italienerin und ihrer Freundin sowie einer jungen Frau aus Chile – rein optisch bin ich so alt wie die drei zusammen, was NATÜRLICH nicht stimmt – gönne ich mir einen „Irish Beef Burger“ und ein Guinness, was nach der sportlichen Höchstleistung besonders gut schmeckt. Meine Sitznachbarin erzählt ihrer Freundin begeistert, wie gut organisiert doch die Deutschen im Bus sind: „Die haben Getränke zum Mixen und sogar Becher dabei.“
Nächste Station ist Bushmills mit der berühmten Distillery, wo einer der traditionsreichsten Whiskeys der Welt hergestellt wird. Das „e“ steht – je nach Betrachtungsweise – für „expensive“ oder „excellent“, sucht euch etwas aus. Mein (oberflächlicher) Eindruck nach 20 Minuten: Neben dem Hausgetränk ist der Tourismus ein nicht unwesentlicher Bestandteil des Tagesgeschäftes bei „Old Bushmills“. Auch hier ist der Aufenthalt nur von kurzer Dauer, einem Teil unserer Gruppe gelingt jedoch der Anschluss an eine Führung durch die Distillery, sie werden später wieder zu uns stoßen.
Wir fahren unterdessen wieder zur Küste, auf uns wartet mit dem Giant‘s Causeway der Höhepunkt des Tages. Ich habe in meinem Leben vorher nichts Vergleichbares gesehen. Was dort vor Millionen von Jahren im Zusammenspiel von Lava, Wasser, Sonne und Wind entstanden ist, sprengt eindeutig den Rahmen des mit dem (meinem) Verstand Fassbaren. Wieder und wieder habe ich seitdem (populär-)wissenschaftliche Erklärungen über langsame und gleichmäßige Abkühlung vulkanischen Gesteins gelesen, und doch muss an der irischen Legende vom Riesen Finn McCool und seinem schottischen Kontrahenten Benandonner etwas dran sein, deren Streitereien zum Bau und späteren Abriss dieses „Damms“ zwischen Irland und Schottland führten, von dem wir heute wenigstens noch die etwa 40.000 übrig gebliebenen Basaltsäulen sehen können. Leider reicht die Zeit nicht aus, um sich das Naturereignis auch einmal von oben, also von der Spitze der Klippen über dem Lavafeld, anzusehen. Ein nochmaliger Besuch in der Zukunft ist also unumgänglich, zumal mir auch der berühmte „Wishing Chair“ entgangen ist.
Als wir wieder im Bus sitzen, fehlen zwei Passagiere. Während der Fahrer zum dritten Mal durchzählt, sehen wir, wie die beiden Italienerinnen auf einen anderen, gleich aussehenden McComb‘s-Bus zusteuern und einsteigen. Ich mache den Fahrer auf die beiden aufmerksam, wider Erwarten sagt er jetzt nicht, sie sollen morgen wiederkommen, sondern ruft und winkt zu den beiden hinüber, die ihren Irrtum inzwischen bemerkt haben. So wird doch alles gut und niemand muss im Basaltbett übernachten.
Letzte Station sind die Ruinen von Dunluce Castle. Hier sind nur noch fünf Minuten Zeit für ein paar schnelle Schnappschüsse im Gegenlicht von der Landstraße aus, mit dem Smartphone nicht wirklich ergiebig. Das ganze erinnert ein wenig an japanische Klischee-Touristen mit riesigen Tele-Objektiven, die Neuschwanstein aus dem vorbeifahrenden Bus „besichtigen“. Ein paar Pflichtaufnahmen und ab zurück nach Belfast.
Wir beschließen den Abend nach einem erlebnisreichen Tag im „Empire“ bei Livemusik mit Ken Haddock und Band, die bekannte Rock- und Blues-Klassiker auf ungewohnte, ganz eigene Art interpretieren und so einen stimmungsvollen Schlusspunkt setzen. Den morgigen Tag wird jeder individuell bestreiten, ich werde mir die Hop on/hop off-Bustour durch Belfast gönnen.
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