Belfast 2017, Tag 5 – Sightseeing
Letzter Tag in Belfast, es stehen keine gemeinsamen Unternehmungen auf dem Programm, sieht man einmal vom abschließenden abendlichen Pub-Besuch ab, für den im Laufe des Tages noch eine Sportkneipe gesucht wird, in der das Montagsspiel der 2. Bundesliga 1. FC Union Berlin gegen 1. FC Nürnberg gezeigt wird. Bin gespannt, ob Thommy da etwas findet, schwer vorstellbar, dass das jemand außerhalb von Berlin-Köpenick sehen will, zumal ja auch noch Hansa in Zwickau spielt.
Bis dahin ist individuelle Aktivität angesagt, einige schauen sich das Rathaus und die Queen‘s University an, andere besuchen den Milltown Friedhof, wo unter anderem Bobby Sands begraben liegt. Auf meinem Zettel stehen die Stadtrundfahrt mit dem Hop on/hop off Bus und der am St. Patrick‘s Day aufgeschobene Besuch im Carrolls-Souvenirgeschäft.
Der Tag beginnt mit dem obligatorischen Frühstück bei Maggie May‘s, heute ist der Andrang dort nicht so groß wie am Wochenende, so dass ich auch kein schlechtes Gewissen haben muss, dass ich meinen Platz noch etwas länger besetze, um ein paar Postkarten zu schreiben. Danach hole ich mir in einem Supermarkt nebenan ein Ticket für das City Sightseeing und gehe zur nächstgelegenen Einstiegsstelle der Bustour am Shaftesbury Square, gleich neben „Laverys Bar“, in der wir übrigens am Abend tatsächlich die Zweitliga-Übertragung sehen werden. Thommy, du alter Teufelskerl! Fast eine halbe Stunde muss ich bei Wind und Wetter warten, bis der auffällige rote Doppelstockbus in die Straße einbiegt. Ich winke dem Fahrer zu, damit er die Haltestelle anfährt und mich einsteigen lässt.
Die Busse fahren täglich zwischen 10 Uhr und 16 Uhr (im Sommer bis 16:30 Uhr) in Abständen von einer halben Stunde, es gibt während der etwas über 90 Minuten dauernden Runde 20 Haltestellen, von denen allerdings nur zwei routinemäßig bedient werden, bei allen anderen hält der Fahrer nur auf ein Signal des ein-/ausstiegswilligen Passagiers an. Das ist jetzt nicht so kompliziert, wie es sich vielleicht anhört, ich bin auf jeden Fall froh, vorher schon mal den Werbeflyer des Veranstalters überflogen zu haben, sonst würde ich vielleicht heute noch an der Haltestelle warten.
Ich werde zunächst eine komplette Runde mitfahren, um einen Gesamtüberblick zu bekommen. Die Erklärungen kommen in Belfast nicht per Ohrstöpsel aus der Konserve, sondern live aus dem Munde eines Tourbegleiters, der mit Charme und Humor viel Wissenswertes über die Stadt, ihre Geschichte und die hier lebenden Menschen zu erzählen weiß. Es gibt eine Menge an Sehenswürdigkeiten, von denen viele etwas mehr Zeit verdient hätten, sei es das Titanic-Museum, das imposante Parlament samt Park in Stormont oder die Queen‘s University mit dem Botanischen Garten.
Für dieses Mal beschränke ich mich auf einzelne Schauplätze des Nordirland-Konfliktes, bei der zweiten Runde steige ich in der Northumberland Street aus und schaue mir die „Internationalen Wandbilder“ (Murals) an, die unter anderen an Nelson Mandela, Fidel Castro, Martin Luther King, Salvador Allende oder auch irische Kämpfer auf Seiten der Interbrigaden im spanischen Bürgerkrieg erinnern, hier eine kleine Auswahl:
Im Anschluss gehe ich ein Stück zurück, die Falls Road entlang. Der „Falls Memorial Garden“ hält die Erinnerung an republikanische Opfer gewaltsamer Auseinandersetzungen während der Unruhen, auf Gedenktafeln sind zahlreiche Namen veröffentlicht – von Kämpfern wie von zivilen Opfern. Der bekannteste unter ihnen ist Bobby Sands, Dichter, Sprachpfleger, Revolutionär und IRA Volunteer, der 1981 im Alter von 27 Jahren an den Folgen eines Hungerstreiks verstorben ist. Ein paar Querstraßen weiter befindet sich das dem Volkshelden gewidmete Wandbild mit dem berühmten Ausspruch: „… Unsere Rache wird das Lachen unserer Kinder sein.“ Ich weiß nicht, ob er mit der heutigen politischen Situation in seiner Heimat zufrieden wäre, das friedliche Leben in Belfast 2017 und der Anblick fröhlich tanzender Kinder bei der St. Patrick‘s Day Parade hätten ihm aber sicher gefallen. Wie zur Bestätigung erscheint, als ich mich abwende, um zum Haltepunkt zurückzugehen, ein Regenbogen über Falls Road.
So ähnlich sieht es wohl auch der Tourguide des Busses, mit dem ich dann die zweite Runde bis zum Ende mitfahre. Er ist froh und erleichtert über das friedliche und im Großen und Ganzen tolerante Zusammenleben der Menschen in seiner Stadt : „Du fühlst dich als Ire? Dann sei ein Ire. Du siehst dich als Brite? Nur zu. Hole dir einen irischen Pass, oder den britischen. Oder beide. Niemand soll mehr sterben müssen, nur weil er in den Augen eines anderen auf falsche Weise seinen Glauben lebt.“
Wir fahren an der „Peace Wall“ entlang, die errichtet worden war, um die Wohngebiete der verfeindeten Bevölkerungsgruppen voneinander zu trennen, und von einer Mehrheit der Bevölkerung auch heute durchaus noch nicht als überflüssig angesehen wird. Weiter geht es durch den pro-britischen Stadtteil Shankill, auch dort gibt es Gedenkstätten und Wandbilder, die nun aber bis zum nächsten Besuch warten müssen.
Wieder zu Hause angekommen, werde ich aus den Nachrichten erfahren, dass Martin McGuinness, früherer IRA-Kämpfer und einer der wesentlichen Mitgestalter des späteren Friedensprozesses für Nordirland, am Tag unserer Heimreise verstorben ist.
An unserem letzten Abend trifft sich die gesamte Reisegruppe weisungsgemäß in „Laverys Bar“, wo Thommy eine Ecke mit Bildschirm für den gemeinschaftlichen Fernsehempfang klargemacht hat. Laverys ist Belfasts älteste Bar in Familienbesitz und außerdem Partner der City Sightseeing Tours. Bei meiner zweiten Stadtrunde heute mittag habe ich ein Couponheft bekommen, in dem auch die Bar vertreten ist. Angeboten wird ein Pint Guinness plus T-Shirt für 5 Pfund, ein geradezu sensationeller Preis.
Aber das ist noch nicht alles, ich habe nämlich den Text auf dem Coupon nicht bis zu Ende gelesen, ich darf das Guinness sogar selbst zapfen, was irgendwie einem Ritterschlag gleichkommt, oder? Die unverhoffte Ehre trifft mich auf dem falschen Fuß, so dass ich zunächst dankend ablehne. Es ist das Verdienst von Nils, dass ich mich schließlich besinne und für mein nächstes Pint dann selbst hinter den Tresen gehe. Das Zapfen ist einfacher, als man glaubt, wichtig ist nur, dass man nichts verschüttet. „Du machst das schon mal viel besser als der da“, lobt mich der Barkeeper und zeigt auf einen seiner Kollegen, dem gerade mehrere Tropfen Cider über die Hand laufen. Wir vereinbaren, dass ich mich melde, falls ich irgendwann noch einmal eine neue berufliche Herausforderung suchen sollte.
Unterdessen vergnügt sich das Volk aus Berlin und Umland mit der Zweitligapartie ihrer Eisernen gegen den Glubb, die bei BT Sports übertragen wird. Wann immer es eine Torchance für Union gibt, erfährt es sofort das ganze Lokal, es wird lautstark mitgefiebert, Schiedsrichterentscheidungen werden kommentiert und der Jubel über das erlösende 1:0 kurz vor Schluss lässt den Raum kurzzeitig erbeben. Union ist an der Tabellenspitze – da kann man nur voller Respekt gratulieren.
Parallel schaue ich mir per Smartphone den MDR-Livestream aus Zwickau an. Insgesamt ganz nett, leider etwa mit drei Minuten Zeitverzögerung. Ihr könnt es mir glauben, seine Mannschaft führen zu sehen und dabei dank Liveticker von zu Hause zu wissen, dass es gleich mit der Herrlichkeit vorbei ist, ist die Hölle. So viel Guinness kann man gar nicht trinken. Apropos – noch ein Pint bitte!
Slán go foill, Béal Feirste!