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Musik, Fußball und manchmal auch ein bisschen Hansa

Derby in Hamburg

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Bezirksliga Hamburg-Nord: Hamburger FC Falke – FC St. Pauli III 1:6, Rudi-Barth-Sportanlage, 21. Oktober 2017

Es ist mein erster Besuch bei den Hamburger Ausgliederungsverweigerern und mehr oder weniger heimlichen Verweigerungssympathisanten, viel später, als ich es mir ursprünglich vorgenommen hatte. Es läuft eben nicht immer nach Wunsch, besser spät als nie. Das Spiel gegen den heutigen Gast, die dritte Mannschaft des FC St. Pauli lässt dafür einiges erwarten. Auf dem Platz treffen zwei punktgleiche Tabellennachbarn aufeinander, Sechster gegen Siebenter, wobei Falke noch ein Nachholspiel auszutragen hat. Die Gastgeber möchten gern ihre bisherige, lupenreine Bilanz gegen Mannschaften des FC St. Pauli – vier Siege in vier Spielen – ausbauen.

Die Heimstätte der Falken entpuppt sich als kleine, feine Anlage am Rande eines Wohngebietes, inmitten weiterer Sportanlagen. Das Fassungsvermögen liegt laut verschiedenen Quellen bei 6.500 Zuschauern, davon konnte ich handgezählte 19 Sitzplätze ausmachen. Das Sozialgebäude beherbergt eine Vereinsgaststätte, in der Besucher, die nicht vollständig auf Profi-Fußball verzichten wollen/können, Sky-Bundesliga-Übertragungen verfolgen können, so auch heute abend das Spiel des HSV gegen den FC Bayern.

Platzbesitzer ist Union 03 Altona (offiziell SC Union von 1903), die Feier zum 100jährigen Vereinsjubiläum muss gigantisch gewesen sein, kündet doch heute noch ein entsprechender Schriftzug auf der Gebäudewand vom stolzen Jubiläum des derzeitigen Kreisligisten. Wie dem auch sei, das Stadion befindet sich in einem guten Zustand, der Platz ist fast komplett von Stehtraversen umgeben, nur die benachbarte Sporthalle „stört“ ein bisschen, aber unter den aktuellen Bedingungen haben die Falken nach meinem oberflächlichen Eindruck tatsächlich die perfekte Spielstätte gefunden.

Wer wegen des Fußballs ins Stadion geht, ist bei Falke gut aufgehoben. Man hat die Möglichkeit, sich mit fester und flüssiger Nahrung zu annehmbaren Preisen zu versorgen, dazu gibt es einen Fanartikel-Verkauf, der sich durch ein sehr breites Sortiment auszeichnet und keine Wünsche offen lässt. Aus zwei Lautsprecherboxen erklingt Musik, natürlich nicht der in höheren Ligen übliche Charts-Einheitsbrei vom jeweiligen „Medienpartner“, und das in einer annehmbaren Lautstärke, die eine problemlose Verständigung mit anderen Stadionbesuchern oder die ungestörte Lektüre des sehr guten Programmheftes ermöglicht.

Das Stadionheft „Falkenpost“ gefällt mir ausnehmend gut, auf 20 Seiten finden sich umfangreiche Informationen zum Verein, zum heutigen Spiel und dem Gegner, sportliche Themen und Fanangelegenheiten kommen zur Sprache. Besonders interessant ist die Erinnerung eines Spielers an das letzte Heimspiel gegen St. Pauli IV, in dem ihm der Siegestreffer in der Nachspielzeit gelang – alles sehr authentisch und eine gute Einstimmung auf die heutige Begegnung. Ein bisschen Werbung gibt es auch, aber bis auf die ganzseitige Bierreklame auf der hinteren Umschlagseite finden sich gerade mal fünf gewerbliche Anzeigen im Heft, die nicht mehr Platz als eine halbe Seite beanspruchen, also kein Vergleich mit den sonst üblichen doppelseitigen Verbraucherinformationen regionaler Heimwerkermärkte und Imbissbetreiber.

Kurz nach meiner Ankunft im Stadion wird mit rot-weißem Band der Gästebereich abgesperrt. Wenn ich richtig informiert bin, geschieht das erstmals bei einem Falke-Heimspiel. Auch gibt es einen eigenen Eingang für Fans der Gastmannschaft. Hintergrund hierfür dürften die Vorfälle beim letzten Auswärtsspiel des HFC auf St. Pauli sein, als Anhänger der Falken vor dem Spiel angegriffen wurden. Somit steht also nach den vorher ohne Störungen verlaufenen Begegnungen mit den Kiezkickern erstmals ein „Risikospiel“ auf dem Programm, was eben selbst in der Bezirksliga gewisse Dinge mit sich bringt. Das alles ist im Vorfeld von Vereinsseite kommuniziert worden, letztlich verläuft der Tag auf der Rudi-Barth-Sportanlage dann ohne Vorkommnisse. Selbst das Absperrband wird schon lange vor dem Anpfiff wieder entfernt.

551 Zuschauer haben sich eingefunden, um beim „Derby“ dabei zu sein. Unter ihnen ist nur eine geringe Anzahl St. Pauli-Anhänger, die während des gesamten Spiels akustisch so gut wie nicht in Erscheinung treten, die Spieler auf dem Platz und der Ersatzbank sind da deutlich mehr bei der Sache. Das heimische Publikum hält sich zu großen Teilen auf der Hintertortribüne auf, direkt an der Balustrade neben dem Tor versammeln sich knapp 20 etwas jüngere Fans mit Ultra-Habitus, aus deren Mitte viele Gesänge angestimmt werden. Der Support der eigenen Mannschaft nimmt dabei etwas weniger Raum ein als die üblichen Liebesbekundungen für den heutigen Gegner. Das stelle ich übrigens ohne jede Wertung fest, bei Spielen meines Vereins gegen die Braun-Weißen ist das nicht anders (Glashaus und so …). Insgesamt habe ich aber durchaus den Eindruck, dass viele Falke-Fans keine speziellen Aversionen gegen den Ortsnachbarn hegen, was natürlich kein Hinderungsgrund für spielbezogenes Gepöbel sein muss. Insgesamt ist es auf den Rängen ein nicht unnormales Fußballspiel, wie auf anderen Amateurplätzen auch.

Auf dem Platz wird es eine relativ einseitige Angelegenheit. In der ersten Halbzeit wirken beide Mannschaften noch gleichwertig, allerdings gehen die Gäste mit fast schon beängstigender Effektivität zur Sache. Das frühe 0:1 mit provozierendem Jubel in wenig mehr als einer Armlänge Abstand direkt vor den „Ultras“ sorgt für einen atmosphärischen Kick auf den Rängen, die eine oder andere Bierdusche geht auf die Reise, ihr Ziel erreicht aber keine. Die Heimmannschaft wirkt danach etwas verunsichert.

Nach 30 Minuten fällt aus einem Konter heraus das 0:2, was überraschender Weise ein sportliches Erwachen der Gastgeber auslöst. Inbesondere in den letzten fünf Minuten vor der Pause überbieten sich die Falke-Spieler gegenseitig im Vergeben bester Torchancen: Ein Spieler scheitert allein vorm Torwart, ein weiterer Schuss wird von einem Verteidiger vor der Torlinie abgewehrt und schließlich findet selbst ein Elfmeter dank artistischer Torwartreaktion nicht den Weg ins Netz.

In der Halbzeitpause werde ich Zeuge, wie Spieler des HFC beim gemeinsamen Pinkeln von ihren Fans mit aufbauenden Worten motiviert werden: „Gebt nicht auf, wir glauben an euch.“ Der Glaube daran fällt schwer, besonders angesichts der Treffsicherheit, mit der die Ersatzspieler zwar Zuschauern hinter dem Tor das Bier aus der Hand schießen, das Tor aber weiterhin verfehlen.

Die zweite Halbzeit startet außerhalb des Platzes mit einer netten Tapetenbotschaft, die noch einmal auf die Ereignisse im Frühjahr anspielt: „Eure Gewalt ist nur ein stummer Schrei nach Liebe“, illustriert mit einem Herzen. Dann wird es endgültig sportlich einseitig. Zwar gelingt nach dem 0:3 den Hausherren postwendend die Resultatsverbesserung auf 1:3, so dass kurzzeitig noch Hoffnung keimt, die aber bald danach brutal im Keim erstickt wird. Bei den weiteren Treffern bis hin zum 1:6 sehen Innenverteidigung und Torwart höchst unglücklich aus, aber das ist dann auch egal. Dem Stadionsprecher entlockt der letzte Gegentreffer eine kleine Verbalinjurie in Richtung der Gäste, kurz danach ist Schluss. Letztlich ist es ein verdienter Sieg für St. Pauli, gleichzeitig aber ein schmerzliches Ergebnis, gerade für ehemalige und immer noch aktive HSVer, keine Frage.

Nach dem Schlusspfiff feiern die Kiezkicker noch ein bisschen vor ihrem Block, auch jetzt wirkt es so, als ob die „Derbysieger!“-Sprechchöre ausschließlich aus den Mündern der Spieler kommen. Die Spieler des HFC Falke holen sich noch ein paar aufmunternde Worte beim eigenen Anhang ab, nächstes Mal wird es wieder besser.

Der Schiedsrichter und seine beiden Assistenten werden auf ihrem Weg vom Platz in die Kabine mitten durch den Heimblock mit Applaus verabschiedet. Das habe ich so bisher tatsächlich noch nicht gesehen, also Respekt, wenn das bei Falke so üblich ist. Oder war nur mein Ironie-Detektor ausgeschaltet? Wer weiß, irgendwann komme ich wieder, dann werde ich das herausfinden.

Überhaupt wird es interessant sein, den weiteren Weg dieses Vereins zu beobachten, vor allem ob und wie es gelingt, höhere sportliche Ziele anzupacken, ohne sich dem Kommerz auszuliefern, sprich: schönen, altmodischen Fußball zu fördern, getreu dem selbstgewählten Motto: „dankbar rückwärts, mutig vorwärts“.

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