Sonntag
Das Zeitfenster zur Regeneration nach dem rauschenden Samstagabend ist ungewöhnlich groß, erst für 10 Uhr ist die Abfahrt des Busses angesetzt, der uns am Sonntag knapp 60 Meilen in nordwestlicher Richtung durch die Highlands und wieder zurück transportieren wird. Viel Zeit, um dem Wochenende angemessen auszuschlafen, und doch gelingt es nicht allen, die Reisetauglichkeit herzustellen. Ein Platz bleibt unbesetzt, als der Fahrer die Tür verriegelt und sein Gefährt in Gang setzt.
Unser Fahrer wird uns heute komplett zu Willen sein, einzige Bedingung ist, wir müssen bis 17 Uhr zurück sein, um die gesetzliche vorgeschriebene Lenkzeit einzuhalten. Die Zielerreichung gerät schon auf den ersten Metern bei einer unbeabsichtigten Ehrenrunde über den Parkplatz zwischen Hotel und Ormonds in ernste Gefahr. Team „Schluck“ ist aber nicht aufmerksam genug, sonst würde es wohl jetzt schon den den ersten Stopp geben: „… nur ein Bier noch …“ Glück gehabt.
Vielleicht ist es aber auch das nicht mal eine Stunde entfernte erste Etappenziel, das unsere Ewigdurstigen die Füße stillhalten lässt. Die Blair Athol Distillery, vor den Toren des Städtchens Pitlochry gelegen lockt mit einer kleinen Besichtigungstour und natürlich mit ihrer Produktpalette. Noch ehe der Hahn dreimal kräht, … nein, das ist jetzt der falsche Kontext, jedenfalls ganz schnell finden sich die Freunde des Malt zusammen und verschwinden im Inneren des Tempels.
Der Rest der Gruppe sammelt unterdessen Kulturpunkte beim nahe gelegenen Blair Castle, einer beeindruckenden Burganlage aus dem 13. Jahrhundert mit weitläufigen Gartenanlagen. Der Eintritt von 11 Pfund scheint uns bei gerade mal einer Stunde Zeit, die wir haben, nicht ganz angemessen, so dass wir ein wenig im Park lustwandeln. Wer auf frische Luft und Entspannung steht, ist dort genau richtig, jede Menge Grün und zwischendrin plätschert ein kleiner Bach munter vor sich hin. Dass später nicht alle Reisenden mit trockenen Füßen zum Bus zurückkehren, obwohl der Bach definitiv kein Hochwasser führt, wird ein auf ewig ungelöstes Mysterium dieser Reise bleiben.
Von der Blair Athol Distillery geht es dann gemeinsam weiter nach Dalwhinnie, der höchstgelegenen aktiven Brennerei Schottlands. Unterwegs ermöglicht uns modernste Kommunikationstechnik, das Spiel Hansa gegen den KSC zu verfolgen. Nach 30 Minuten haben wir genug gesehen. Bemerkenswert finde ich die erstaunliche Netzqualität, immerhin sind wir in den Highlands. Versucht das mal auf einer deutschen Autobahn – Neuland unterm Fluch, sage ich da nur.
Die obligatorische Brennereiführung in Dalwhinnie findet sogar in deutscher Sprache statt. Mareen aus Leipzig, die seit einer Woche im Besucherzentrum arbeitet, führt uns kurz, knackig und informativ durch die Produktionsanlagen, bevor im Empfangsraum „Whisky & Chocolate“ (tolle Mischung übrigens) einen perfekten Schlusspunkt hinter den landeskulturellen Teil unseres Ausfluges setzen.
Auf der Rückfahrt nach Perth werden die Erkenntnisse aus Besichtigung und Tasting noch etwas vertieft, die Stimmung im Bus klettert allmählich auf Party-Niveau, woran die Musikauswahl des ehrenamtliche DJs nicht ganz unschuldig ist. Schon jetzt ist absehbar, dass der Abend vielversprechend wird: „Good times never seemed so good.“
Es geht weiter mit einem überfallartigen gemeinsamen Abendessen in einem italienischen Restaurant namens „Broth3rs“. Mario, der aus Rumänien stammende Betreiber, hatte am Vorabend leichtsinniger Weise geäußert, wir könnten ruhig alle (31!) zum Essen kommen, sollten nur vorher telefonisch Bescheid sagen. Gesagt – getan!
In einem kleinen Nebenraum finden tatsächlich alle Platz. Okay, Platz trifft es nicht ganz, ich bin mir sicher, dass unser Aufenthalt dort gegen europäische Tierschutzrichtlinien verstößt. Dies tut jedoch der Stimmung keinen Abbruch. Nach basisdemokratischer Entscheidung über den Rechnungsempfänger (Geburtstag ist, wenn die Mehrheit es sagt!) entspinnt sich bei Klängen von Dritte Wahl und (natürlich!) Neil Diamond schnell eine Party, die sich gewaschen hat und von der noch künftige Generationen in den Geschichtsbüchern lesen werden.
Mit bewundernswerter Geduld vollbringen Mario und sein Team eine gastronomische Höchstleistung nach der anderen. Die Getränke fließen, Essenbestellung und Service funktionieren reibungslos. Nochmal zum Mitschreiben: 31 nicht mehr ganz nüchterne deutsche „Ingenieure“ zur besten Abendessenzeit, Gäste und Personal kommunizieren nicht in ihrer Muttersprache, und jeder – wirklich jeder – bekommt, was er bestellt hat, und zwar nahezu gleichzeitig und auf die Minute. Selbst ein Stück Kuchen für das überrumpelte „Geburtstagskind“ ist drin. Mit einem Gläschen eines dubiosen südosteuropäischen Fruchtschnapses stoßen wir noch einmal an, dann hat Mario es überstanden.
Der Abend klingt in der Ormond Bar aus, für die, die am längsten durchhalten, gehen in der letzten Stunde die Drinks aufs Haus, da haben sich die regelmäßigen Besuche und Investitionen in die Wirtschaft doch ausgezahlt. Die Parallelveranstaltung in der Hotelbar wird indes zum Ausgangspunkt einer besonderen Exkursion. Die Schaufenster zum Mühlbach im Boden der Hotellobby hatte ich ja schon erwähnt, gewissenhaften Ingenieuren reicht das natürlich nicht, die Tapfersten der Tapferen nehmen das Gewässer persönlich in Augenschein: „Halte mal mein Bier!“
…
Montag
Spuren des rauschenden Abschiedsabends finden sich am Montagmorgen nur in den Gesichtern einiger Protagonisten und dem einen oder anderen Betttuch. Ansonsten klappert die Mühle weiter am rauschenden Bach, als sei nichts geschehen. Klipp-klapp!
Wir warten auf den Bus, der uns nach Edinburgh bringen soll, die vereinbarte Abholzeit rückt näher und näher. Der Hotline des Busunternehmens ist nichts bekannt, das unserer Rückreise entgegenstehen sollte, aber wo der Bus gerade ist – keine Ahnung. Bevor Unruhe aufkommt (ich stelle mir gerade vor, wie ein orientierungsloser Busfahrer in Perth, Australien, das Mercure Hotel in der Mill Street sucht), fährt unser Transportmittel vor und wir treten entspannt die Heimreise an. Schön war‘s.