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Festivalhopping mit Feine Sahne Fischfilet

Teil 2: Taubertal Festival, Rothenburg o.d.T., 10. August 2018

Ich starte in den Tag mit einer ausgiebigen Dusche. Der Platz in der Zelle ist äußerst eng bemessen, ich vermute, dass ich nicht zur üblichen Zielgruppe gehöre. Mich beschäftigt die Frage, ob Körperpflege am zweiten Tag überhaupt noch Punk ist. Egal – wichtig ist, was unten (aus der Kabine) rauskommt – oder so. Frisch gesäubert begebe ich mich zum Frühstück. Eine halbe Stunde später bin ich – nun auch gesättigt – bereit, in den Tag zu starten.

Wir sind heute etwas später dran, unser Auftritt ist für die Zeit von 19:40 bis 20:40 vorgesehen. Wetterbedingte Störungen sind nicht zu erwarten, es sieht also nach einem gechillten Tagesablauf aus. Zunächst schauen wir uns ein wenig auf dem Gelände um. Von der Bühne aus hat man einen sagenhaften Ausblick über die Eiswiese hinweg, auf der sich das Publikum aufhalten wird, in Richtung der Stadt Rothenburg, die auf einem Berg thront, als hätte sie einer der Alten Meister dorthin gemalt. Die märchenhafte Wirkung wird sich nach Einbruch der Dunkelheit noch verstärken, wenn die Stadtsilhouette von unten aus mit Scheinwerfern angestrahlt wird. Rückblickend ist das auf jeden Fall die Festivalbühne mit der schönsten Umgebung.

Das müssen wir uns unbedingt auch mal aus der Nähe ansehen, Zeit genug haben wir, denn das musikalische Programm auf unserer Bühne beginnt erst um 16 Uhr. Im von den Veranstaltern bereitgestellten Shuttle begeben wir uns in die Innenstadt, wo wir uns die Zeit mit einem Rundgang auf der historischen Stadtmauer vertreiben. Das Bauwerk ist in einem sehr guten Zustand, finanziert wurde und wird die Erhaltung der Bausubstanz zum Teil aus Spenden, die Namen der Spender, darunter Privatpersonen ebenso wie Unternehmen oder Vereine und gesellschaftliche Organisationen aus dem In- und Ausland, sind entlang der Wände auf Erinnerungstafeln verewigt.

Auf unserem Rundgang breitet sich vor unseren Augen plötzlich ein kleines Amphitheater aus. Sofort ist klar: Wir geben ein spontanes Chorkonzert, das ist unser kleines Dankeschön an Gastgeber und Veranstalter des Taubertal Festivals. Alle sind sich einig, das ist unsere Gelegenheit, auch mal etwas zurückzugeben.

„Wir leben da, wo niemals Ebbe ist …“ schallt es voller Kraft über die nicht komplett besetzten Ränge und kommt als Echo vom Mauerwerk zurück. Ein älteres Ehepaar schaut sich unsere Darbietung eine Zeit lang an, die Begeisterung in ihren Augen erfüllt uns mit Stolz und dem Wissen, das Richtige getan zu haben. Bevor wir ihnen Autogrammkarten überreichen können, ergreifen die erstaunlich mobilen Senioren jedoch die Flucht. Auch den unmittelbaren Anwohnern der Stadtmauer, einem Rudel Wildbienen scheint es gefallen zu haben, denn sie lassen uns unbehelligt an ihrer Behausung vorbeiziehen.

Und schließlich entdecken wir auch noch ein Pärchen einer ganz seltenen Vogelart, das sich bei unserer Annäherung schnell, aber nicht schnell genug in den Pflanzenbewuchs der Stadtmauer – vermutlich wilder Wein – zurückzieht. Das müssen diese legendenumrankten Weintauben sein, deren Existenz die Rothenburger Stadtoberen weder bestätigen noch dementieren wollen – brauchen sie ja nun auch nicht mehr. Spätestens jetzt hat sich der Ausflug wirklich gelohnt. Voller Eindrücke kehren wir zum Festivalgelände zurück.

Die Band ist, während wir einen auf Touri machen, nicht untätig, es stehen Interviews mit verschiedenen Medien auf dem Plan. Der großartigste Dialog ist dabei Max vergönnt, der auf die Frage „Wer von euch verträgt eigentlich am meisten?“ mit der ultimativen Reaktion glänzen kann: „Wovon?“

Den Nachmittag auf der Hauptbühne eröffnen Mad Caddies, Punkveteranen aus Kalifornien. Der Sänger hat mächtig mit dem Staub zu kämpfen, der vom tanzfreudigen Publikum vor der Bühne aufgewirbelt wird. Stimmungsmäßig darf man den Festivalauftakt schon mal als gelungen betrachten.

Weiter geht es mit Joris, stilistisch eine ganz andere Hausnummer, jetzt kommen Freunde aus dem Radio bekannter Popmusik auf ihre Kosten. Die Zuschauermenge vor der Bühne ist etwas ausgedünnt, die Musiker liefern natürlich trotzdem solide ab. Letztlich tritt man ja für die auf, die zum Konzert gekommen sind und nicht für Abwesende. Die Anwesenden werden mit einer atmosphärisch dichten Show belohnt, die vor allem auf Harmonie und Gemeinschaftsgefühl setzt. Dafür, dass ich bei dieser Art Musik im Radio meistens wegschalte, gefällt es mir tatsächlich überraschend gut.

Danach ist Feine Sahne Fischfilet an der Reihe. Größer könnte der Kontrast kaum sein, ich kann mir vorstellen, dass Joris durchaus froh ist, noch vorher aufgetreten zu sein. Das Publikum steht dicht gedrängt über die gesamte Wiese verteilt und ist vom ersten Ton an im Eskalationsmodus. Die Mitsingqualität ist beachtlich, immerhin sind bei Festivals ja nicht nur die „üblichen Verdächtigen“ anwesend, sondern eben auch Gelegenheitszuschauer, die natürlich nicht mit dem Komplettwerk jeder einzelnen Band vertraut sind.

Apropos Gelegenheit: Sogar ein Polizist in Uniform (ein nicht sehr subtiler Hinweis auf das neue Polizeiaufgabengesetz?) findet sich am Bühnenrand ein und schreibt fleißig die Ansagen und Moderationen zwischen den Songs mit. Stellt sich mir die Frage, ob nach dem Aufhängen der Kruzifixe in allen bayerischen Amtsstuben kein Budget mehr übrig war für Diktiergeräte. Egal, nicht unser Problem.

Für den heutigen Abend ist das Set etwas umgestellt worden, zum einen wird ein Lied weniger gespielt, um keine Überschreitung des Zeitfensters zu riskieren, darauf stehen Veranstalter eher weniger. Außerdem rückt „Wut“ nach hinten und folgt direkt ohne Pause auf „Zuhause“ – ein großartiges Statement in Markus Söders Franken, illustriert mit der „Souflaki statt Seehofer“-Fahne. More goes not. Und schließlich ziehen wir unseren Einsatz mit „Wo niemals Ebbe ist“ vor, ganz einfach, weil „Komplett im Arsch“ ein besserer Schlusssong ist.

Einen ganz speziellen Auftritt bekommen heute meine Mit-Chorknaben Martin und Christoph, die für „Geschichten aus Jarmen“ das Mikrofon von Monchi übernehmen. Christoph trägt das Trikot des SV Blau-Weiß 21 Jarmen, wie es sich für aufstrebende Rockstars gehört, wirft er selbiges noch während der Performance ins begeisterte Publikum. 15 Minuten Ruhm – Andy Warhol lässt grüßen.

Zum Video bitte hier entlang.

Nach uns übernehmen die Editors, ein ordentlicher Auftritt der Briten, der aber nach der Stimmungsexplosion vorher für meinen persönlichen Geschmack doch etwas zu routiniert daherkommt. Dafür lassen es zum Abschluss die Beatsteaks ordentlich krachen. Na ja, wem erzähle ich das, die Berliner gelten nicht ohne Grund als eine der besten Livebands des Landes.

So geht der zweite Tourtag zu Ende, über Nacht werden wir weiterfahren, das nächste Ziel heißt Eschwege. Beim Open Flair werde ich persönlich im Rausch aufgehen, aber wir wollen ja nicht spoilern, oder? Also – bis neulich!

Setlist Feine Sahne Fischfilet

Zurück in unserer Stadt * Alles auf Rausch * Solange es brennt * Mit Dir * Wir haben immer noch uns * Niemand wie ihr * Geschichten aus Jarmen * Warten auf das Meer * Zuhause * Wut * Wo niemals Ebbe ist * Komplett im Arsch

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