FC Bayern München U19 – F.C. Hansa Rostock U19 0:2, „Allianzarena“, 13. Juni 2013, Deutsche Meisterschaft, Halbfinale/Hinspiel
Die aktuelle Situation hat unter anderem zur Folge, dass wir auf derzeit nicht absehbare Zeit auf unsere liebsten Freizeitbeschäftigungen verzichten müssen, so eben auch auf den Besuch von Fußballspielen in der Gesellschaft guter Freunde. Mir hilft es sehr, mich gelegentlich an vergangene Erlebnisse zu erinnern, also habe ich mal ein wenig in den Archiven gekramt, wobei ich schon auf einige Sahnestücke gestoßen bin, die ich gern in loser Folge teilen möchte. Vielleicht möchte sich ja die/der eine oder andere anschließen.
Den Anfang machen soll ein kleiner Rückblick auf den Abschluss einer sensationellen Saison 2012/13 unserer U19-Mannschaft, die fast den Meistertitel in ihrer Altersklasse nach Rostock geholt hätte. Im Halbfinale trafen die Jungs um Trainer Roland Kroos auf den FC Bayern München.
Den folgenden Bericht zum Hinspiel verfasste ich für das damalige Online-Fanzine hansafans.de, er erschien am 14. Juni 2013. Die Bildrechte für alle Fotos liegen bei S. Ahrens.
Viel Spaß beim Lesen und Erinnern!
Deutscher Meister F.C.H. – koste es, was es wolle
Der FC Bayern München unterliegt in der heimischen „Allianzarena“ dem F.C. Hansa Rostock mit 0:2.
Es gibt Menschen, die einen Haufen Geld ausgeben würden, damit dieser Satz öfter mal in der Zeitung steht, vom Traum, bei einem solchen Ereignis mal dabei zu sein, ganz zu schweigen. Dieser Bericht handelt von Leuten, die weder Mühe noch „Millionen“ gescheut haben, um sich diesen Wunsch zu erfüllen.
Einen Sieg in München gibt es nicht zum Nulltarif, auch nicht bei den A-Junioren. Vier tapferen Sverinern ist das jedoch egal und so startet eine denkwürdige Auswärtstour pünktlich um 8:30 Uhr bei der Autovermietung. Halt, so ganz pünktlich doch nicht, denn der gemietete 5er BMW steht leider an einer anderen Abholstation. Man sollte wohl doch genauer hinschauen, wo man seine Häkchen bei der Bestellung setzt. Der kleine Fauxpas kostet schon mal eine Dreiviertelstunde Verspätung. Da ist es nur logisch, dass uns unterwegs noch einige Staus aufhalten oder auf Umleitungen zwingen.
Das alles ist aber zu verkraften, im Gegensatz zu dem knackenden Geräusch und einem ca. 15 Zentimeter langen Sprung in der Windschutzscheibe, der uns auf halber Strecke zu einem unplanmäßigen Stopp veranlasst. Die telefonische Rückfrage beim Autovermieter ergibt, dass wir für eine neue Windschutzscheibe natürlich versichert sind, mit 550 Euro Selbstbeteiligung. Na super, das scheint wirklich unser Tag zu werden. Um das auszugleichen, muss am Abend mindestens ein Unentschieden herausspringen.
Für die akustische Untermalung dieser Tour de Force sorgt das Radio, bei so langen Strecken muss man naturgemäß mehrfach den Sender wechseln. Interessanterweise hört man trotzdem überall die gleichen Lieder, selbst in der Anpreisung ihrer Einzigartigkeit unterscheiden sich die Geräusch-Spezialisten nur unwesentlich:
„ Der schönste Musik-Mix!“
„Der zuverlässigste Verkehrsservice!“
„Der beste Wetterbericht!“
Nimm irgendeinen dieser Slogans, spiele ihn einem Anwohner entlang unserer Fahrstrecke vor, frage ihn nach dem Namen des Senders und du wirst als Antwort das lokale öffentlich-rechtliche Mainstreamradio bekommen.
Gekrönt wird dies dann noch durch Moderatoren, die selbst am lautesten über ihre eigenen „Witze“ lachen und ihre Kollegen, die am Nachmittag „lustige“ Szenen aus dem Vormittagsprogramm einmal pro Stunde wiederholen, wie bei MDR Jump praktiziert:
„Welche Bären sind braun? – Braunbären. Welche Bären sind weiß? – Eisbären. Und welche Bären sind rot? – … – Himbeeren!“
Siebenhundert Kilometer können so sehr, sehr lang werden. Irgendwann ist auch die längste Fahrt zu Ende und etwa eine Stunde vor dem Anstoß rollen wir ins heute mal kostenlos zugängliche Parkhaus Fröttmaning ein und begeben uns zügig ins Stadion. Auf dem Wege zu unserem Block begegnen wir mehreren Minderjährigen-Gangs, die die europaweit gefürchteten Bayern-Klatschpappen unter den Zuschauern verteilen sollen. Ab und zu werden auch wir angesprochen, aber in jeder Gruppe ist ein Auskenner dabei, der verhindert, dass das Hauptelement bayerischer Stadionstimmung in falsche Hände gerät: „Nicht! Das sind doch Hansafans!“
Für die angereisten Hansafans (etwa 300 nach meiner Schätzung) ist ein Block auf der Nordtribüne reserviert. Vor allem aus dem süddeutschen Exil sind wieder viele bekannte Gesichter erschienen, aber erfreulicherweise haben auch zahlreiche Mecklenburger und Vorpommern den weiten Weg mitten in der Woche nicht gescheut, um der erfolgreichsten Hansa-Mannschaft dieser Saison bei einer schwierigen Aufgabe den Rücken zu stärken. Faszination Hansa!
Unsere Jungs können sich über weite Strecken auf lautstarken Support verlassen, der Block hat kaum Schwierigkeiten, sich im Stadion bemerkbar zu machen. Auf der Gegengerade hat sich auch ein Bayern-Supporterblock formiert, der ohne die berüchtigten Klatschpappen auskommt und wie man ihn von den Spielen gegen die U23 vor zwei Jahren kennt. Insgesamt sorgen 5.500 Zuschauer für einen würdigen Rahmen, in dem die beiden Mannschaften ein sehenswertes Spiel abliefern.
Die von Trainer Roland Kroos hervorragend eingestellte Hansa-Elf überzeugt im gesamten Spielverlauf vor allem durch eine disziplinierte Defensive, mit der es speziell in der ersten Halbzeit gelingt, die Bayern fast durchgängig vom eigenen Tor wegzuhalten. Chancen bleiben auf beiden Seiten die Ausnahme und zur Pause steht ein gerechtes 0:0 auf der Anzeigetafel.
In der zweiten Hälfte legen die Bayern eine Schippe drauf und erspielen sich auch einige Chancen, die Hansa mit einem sehr starken Torwart und auch ein bisschen Glück ohne Gegentor übersteht. Als dann Nils Quaschner den Aussetzer eines Bayern-Verteidigers mit starkem Körpereinsatz (hier sieht man schon ein bisschen die Erfahrung aus dem Männerbereich) zur umjubelten Hansa-Führung nutzt, rückt der erhoffte Sieg ein großes Stück näher.
Gesänge wie „Gegen Hansa kann man mal verlieren.“ oder „Deutscher Meister wird nur der FCH!“ beherrschen nun komplett das Stadion und als in der Nachspielzeit erneut Nils Quaschner den Endstand besorgt, pfeift der Schiedsrichter nicht wieder an und Mannschaft und Fans versinken im weiß-blauen Jubel. Ein toller Moment, den wir uns alle so sehr gewünscht und nach den Leiden der Saison wohl auch verdient haben.
Nach dem Spiel auf dem Weg zum Auto habe ich noch eine Konfrontation mit einem Bayernfan, der sich in seiner ganzen Größe vor mir aufbaut und mich anschreit: „Buh!!“ Ich überlege kurz, ob ich mich stelle, lasse dies aber dann doch bleiben, denn auch seine Begleiter wirken recht kämpferisch. Und jeder weiß, gegen eine zu allem entschlossene Übermacht, noch dazu mit Klatschpappen bewaffnet, hat kein Einzelkämpfer eine Chance, zumal auch Achtjährige schon wissen, an welcher Stelle es besonders weh tut.
Bei aller Euphorie – NOCH ist das große Ziel nicht erreicht. Unsere Jungs werden gegen eine starke Bayern-Elf im Rückspiel mindestens eine gleichwertige Leistung abrufen müssen, wenn das Finale kein Traum bleiben soll. Dazu brauchen sie erst recht die bedingungslose Unterstützung jedes Hansafans, der die Möglichkeit hat, am kommenden Montag dabei zu sein.
Also rafft euch auf, kommt ins Ostseestadion und helft den Jungs beim Erreichen des großen Ziels. Sie haben es verdient, wir alle haben es verdient! Keine Ausreden!
Einen Wunsch habe ich in diesem Zusammenhang an die Tonregie im Ostseestadion. Bitte erspart uns am Montag, wie auch bei allen zukünftigen Spielen, die an Körperverletzung grenzende Lärmbelästigung, wie sie in München praktiziert wird. Auf die marktschreierische Sensationshascherei, die bei Bayern-Spielen an der Tagesordnung ist, wollte man offenbar auch bei einem Juniorenspiel nicht verzichten, was in der im Prinzip leeren „Allianzarena“ zu ohrenbetäubendem Krach führte, bei dem man sein eigenes Wort nicht mehr verstand. Unverständlich, gerade weil ja auch zahlreiche Kinder extra für dieses Spiel eingeladen waren, einmal selbst ein Spiel im Stadion der großen Bayern anzuschauen. Und euch, FC Bayern, sei gesagt: Versucht doch mal, euer Lied „Stern des Südens“ vom Publikum singen zu lassen. Oder habt ihr vielleicht Angst euch zu blamieren, weil eure Kunden den Text nicht kennen?
Die Rückreise durch die bayerisch/fränkisch-thüringisch-sächsisch-brandenburgische Nacht ins heimatliche Mecklenburg-Vorpommern hält bei ausbleibenden Verkehrsbehinderungen (sieht man einmal von einem Lastzug ab, der das Überholverbot übersieht und so fast dafür sorgt, dass der Riss in der Frontscheibe niemandem mehr auffallen kann) noch einen besonderen Höhepunkt bereit:
Für einen letzten Fahrerwechsel steuern wir einen unbeleuchteten Parkplatz an der A 24, kurz nach der Abfahrt Kremmen an. Zwei der Mitfahrer folgen im Schutze der Dunkelheit dem Ruf der Natur, ein dritter schickt sich gerade an, es ihnen gleich zu tun, da erscheint eine Polizeistreife am Tatort. Nach Feststellung unserer Personalien, werden uns die schlimmen Folgen unseres leichtfertigen Handelns vor Augen geführt: „Morgen sind hier wieder Familien und lassen ihre Kinder spielen. Dann riecht das überall nach Pisse.“ Ich überlege kurz anzumerken, dass man Eltern, die ihre Kinder dort spielen lassen, sofort dem Jugendamt melden müsste, aber die Belehrung ist bereits beendet und wir sind mitten in der Preisverhandlung.
Unser uniformierter Gesprächspartner beweist durchaus Sinn für Humor, als er die Rechnung aufmacht: „Normalerweise kostet das 20 Euro, mal drei macht das 60, ich würde mich aber mit 20 begnügen, Sie müssten sich dann untereinander einigen.“ Ich versuche noch zu handeln, da ich ja gar nicht dazu gekommen bin, die mir zur Last gelegte Ordnungswidrigkeit zu begehen, aber der Preis steht und mir bleibt nur noch, demonstrativ das Dixi-Häuschen hinter uns aufzusuchen. Darin ist es noch dunkler als draußen und ich bin mir nicht sicher, ob ich auch richtig gezielt habe. Hoffentlich lassen da keine Eltern ihre Kinder drin spielen.
Wieder unterwegs versuchen wir uns vorzustellen, wie diese unheimliche Begegnung der vierten Art wohl in Bayern ausgegangen wäre: Intensive Durchsuchung von Fahrzeug und Besatzung, vielleicht auch noch Ingewahrsamnahme wegen mangelnder Kooperation oder Widerstands und natürlich Eintrag in die Datei „Gewalttäter Sport“ incl. Stadionverbotes. Da sind 20 Euro irgendwie doch ein Schnäppchen.
Und so geht eine bemerkenswerte Auswärtstour, die sich letztlich sogar als das Saison-Highlight entpuppt, zu Ende. Im Werbeblock von NDRMDRBR2JUMP3 würde sich das wohl so anhören:
Pinkeln im Freien mit Gruppenrabatt – 20 €.
Eine defekte Windschutzscheibe – 550 €.
Ein Auswärtssieg beim FC Bayern – unbezahlbar.
Es gibt Dinge, die kann man nicht kaufen. Für alles andere gibt es … mir doch egal!