Hanseator

Musik, Fußball und manchmal auch ein bisschen Hansa

Hansa historisch, Teil 3

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F.C. Hansa Rostock U19 – VfL Wolfsburg U19 1 : 3 n. V., Ostseestadion, 23. Juni 2013, Dt. Meisterschaft, Finale

Die aktuelle Situation hat unter anderem zur Folge, dass wir auf derzeit nicht absehbare Zeit auf unsere liebsten Freizeitbeschäftigungen verzichten müssen, so eben auch auf den Besuch von Fußballspielen in der Gesellschaft guter Freunde. Mir hilft es sehr, mich gelegentlich an vergangene Erlebnisse zu erinnern, also habe ich mal ein wenig in den Archiven gekramt, wobei ich schon auf einige Sahnestücke gestoßen bin, die ich gern in loser Folge teilen möchte. Vielleicht möchte sich ja die/der eine oder andere anschließen.

Dies ist nun das letzte Kapitel des Rückblickes auf den Abschluss einer sensationellen Saison 2012/13 unserer U19-Mannschaft, die fast den Meistertitel in ihrer Altersklasse nach Rostock geholt hätte. Im Finale trafen die Jungs um Trainer Roland Kroos auf den VfL Wolfsburg.

Den folgenden Bericht zum Spiel verfasste ich für das damalige Online-Fanzine hansafans.de, er erschien am 24. Juni 2013. Die Bildrechte für alle Fotos liegen bei S. Ahrens.

Viel Spaß beim Lesen und Erinnern!

JA zum FCH!

Es ist ein ganz besonderer Tag, das wird schon bei der Anreise zum Finale um die Deutsche Meisterschaft der A-Junioren deutlich. Für einen Sonntagvormittag herrscht ungewöhnlich starker Verkehr auf der A 24 in Richtung Rostock. Man fühlt sich angesichts der zahlreichen Fahrzeuge mit weiß-blauen Schals und Fahnen unweigerlich an längst vergangene, glorreiche Erstligazeiten erinnert.

Der Parkplatz vor der Trotzenburg  ist schon zwei Stunden vor dem Anstoß bis auf den letzten freien Platz gefüllt, der Biergarten wird von munterem Stimmengewirr erfüllt, auch hier beherrschen die Farben Weiß und Blau die Szenerie. Eine erwartungsfrohe Stimmung liegt in der Luft – kein Vergleich mit der Anspannung, die sich in der abgelaufenen Saison schon beim Vorspiel-Bierchen wie Blei auf die Gesichtszüge der Hansa-Getreuen gelegt hat.

Als wir den Parkplatz ansteuern, stoppen wir kurz wegen eines „Wildwechsels“ der besonderen Art: die Profimannschaft überquert die Straße zu einem kleinen Waldlauf, angeführt vom neuen Trainerteam Bergmann/Reinke. Die Spieler wirken gelöst, anscheinend herrscht eine lockere Atmosphäre, vermutlich wird beim Training sogar wieder gelacht. Es sei ihnen und uns gegönnt, dass diese Entspannung in der bevorstehenden Saison bestehen bleibt.

Das Meisterschaftsfinale ist eine offizielle DFB-Veranstaltung, der FC Hansa ist somit Gast im eigenen Stadion, was dazu führt, dass das komplette Rahmenprogramm in den Händen der Funktionäre liegt. Die optische und akustische Ausgestaltung des „Events“ sehen entsprechend aus:

Auf dem Anstoßkreis liegt ein überdimensionales DFB-Logo, Nachwuchsfußballer laufen zur Eröffnung dreimal im Kreis herum, bevor sie es später präsentieren dürfen: Die Spartakiade lässt grüßen. In diesem Moment werden bei mir ungute Erinnerungen an die Relegation 2010 wach, da wurden die gleichen Spielchen durchgeführt. Kein gutes Omen, wie wir inzwischen wissen.

Der „Stadionsprecher“ führt durch das Programm wie ein Fernsehkommentator bei der Goldenen Hitparade der Volksmusik, dazu passend wird später zu den Toren grauenvolle „Tormusik“ eingespielt, wobei ich persönlich Wolfsburgs „Rama-lama-ding-dong“ und unser „Barbra Streisand“ gleichermaßen dämlich und überflüssig finde.

Wie es sich für eine DFB-Veranstaltung gehört, wird vor dem Spiel die Nationalhymne intoniert, allerdings ohne dass sich wildfremde Menschen glückstrunken in den Armen liegen und wie von der Fanmeile gewohnt „Blüh‘ im Glanze dieses Glückes“ grölen. Stattdessen erklingen lautstarke „Ostdeutschland“-Gesänge. Erstaunlich und zugleich faszinierend, wie politisch „Keine Politik im Stadion“ manchmal sein kann. Dann wird endlich Fußball gespielt.

Mit dem Anpfiff folgt der für mich schönste Moment des Tages: Der Refrain von „Hansa forever“ wird angestimmt und innerhalb von Sekunden steht „das ganze Stadion“ (wie Struppi immer so gern sagt) und stimmt in den Gesang ein: Hansaschals wohin das Auge blickt und echte Fußballatmosphäre, wie sie auch der routinierteste Regisseur mit noch so vielen Durchlaufproben niemals einstudieren und produzieren kann.

Lasst euch gesagt sein: Das OSTSEESTADION wird NIEMALS NEUTRAL sein.

Auf dem Platz findet dann – wie schon gegen Bayern – ein kleiner Kampf der Kulturen statt: Auf der einen Seite der bodenständige, sympathische Underdog, ein finanziell chronisch klammer Drittligist, dessen vorbildliche Nachwuchsarbeit angesichts wiederholt drohender Pleiten öffentlich und besonders in einzelnen lokalen Medien immer wieder in Frage gestellt wird, und Spieler, deren Entwicklung noch lange nicht abgeschlossen ist, die aber individuelle Nachteile mit mannschaftlicher Geschlossenheit, großem Einsatz und Selbstüberwindung wettmachen.

Auf der anderen Seite ein effizientes, aus hervorragenden Fußballern geformtes Team, das perfekt eingespielt wirkt und auch in kritischen Situationen präzise wie ein Uhrwerk funktioniert, und mit Spielern, die schon mit 19 Jahren die „Mechanismen“ der Profis sehr gezielt und effektiv einzusetzen wissen: oscarreife Flugeinlagen nach körperbetonten Zweikämpfen, minutenlanges Dahinsiechen auf dem Rasen, bis endlich der Notarzt eintrifft, oder auch das zielstrebige „Einfädeln“ zum regelkonform erzwungenen Elfmeter.

Letztlich behalten die Wolfsburger nach 120 Minuten aber verdient die Oberhand. Hansa kann lange das Spiel offenhalten, bei wenigen ganz großen Tormöglichkeiten fehlt dann aber das Abschlussglück. Die reifere Spielanlage des VfL mündet in mehr und bessere Torchancen und in der entscheidenden Phase der Verlängerung schlagen die Gäste (neutraler Platz hin oder her, ich nenne sie jetzt einfach so) eiskalt zu.

Dass unseren Jungs da trotzdem Menschen und keine Maschinen gegenüber stehen, wird spätestens im Moment des endgültigen Erfolges deutlich, als Torschütze, Mitspieler und Reservisten unmittelbar vor dem harten Kern des Hansa-Supportblockes mit demonstrativem Jubel und provozierenden Gesten den Beweis liefern, dass auch bei Deutschen Meistern die körperliche Entwicklung der geistigen oft mehrere Schritte voraus eilt. Darin unterscheiden sich allerdings 19jährige auf dem Platz nur unwesentlich von ihren Altersgefährten auf den Rängen, wie die vollkommen unnötigen Reaktionen aus Richtung Südtribüne deutlich machen.

Auf den Rängen bleibt der Kulturkampf mangels Substanz der Gegenseite aus. Der Gästeblock bietet einen traurigen Anblick und liefert zugleich die optische und akustische Antwort auf die Frage, was eigentlich den Unterschied zwischen Fanszenen wie denen des FCH und des VfL ausmacht.

Es ist unseren Jungs also nicht gelungen, eine märchenhafte Saison mit dem ganz großen Traum zu krönen: Der Meistertitel geht nach Wolfsburg. Das haben sich die Gäste in einer überragenden Saison und im Endspiel sportlich verdient. Von daher: Glückwunsch, VfL!

Unsere A-Junioren haben etwas vollbracht, was schwerer wiegt als jeder Meisterpokal: Sie haben bewiesen, dass auch in einem wirtschaftlich schwierigen Umfeld mit Hingabe und ehrlicher Leidenschaft sportlicher Erfolg erreichbar ist, der in der Öffentlichkeit registriert und honoriert wird: Hunderte Fans begleiten mitten in der Woche die Mannschaft nach München, fast zehntausend Fans sorgen für positives Chaos rund um das Rückspiel und zum Finale erscheinen am Ende 18500 Zuschauer – mehr als in jedem Heimspiel der Profis in der zurückliegenden Saison.

Liebe Spieler, liebes Trainer- und Betreuerteam, vor etwas mehr als einem Jahr erhoben Hanseaten in Rostock, Mecklenburg-Vorpommern, in ganz Deutschland und an vielen Orten in aller Welt ihre Stimme zur Rettung unseres Vereins. Ihr habt nun den Geist dieser Tage nach einem Jahr der sportlichen Stagnation und Frustration wiedererweckt. Das ist euer ganz persönliches JA zum FCH! Dafür und für den wieder entdeckten Spaß am Besuch des Ostseestadions kann man euch gar nicht genug danken.

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