FC Energie Cottbus – F.C. Hansa Rostock 0:1, Stadion der Freundschaft, 10. April 2012, 2. Liga, 30. Spieltag
Die aktuelle Situation hat unter anderem zur Folge, dass wir auf derzeit nicht absehbare Zeit auf unsere liebsten Freizeitbeschäftigungen verzichten müssen, so eben auch auf den Besuch von Fußballspielen in der Gesellschaft guter Freunde. Mir hilft es sehr, mich gelegentlich an vergangene Erlebnisse zu erinnern, also habe ich mal ein wenig in den Archiven gekramt, wobei ich schon auf einige Sahnestücke gestoßen bin, die ich gern in loser Folge teilen möchte. Vielleicht möchte sich ja die/der eine oder andere anschließen.
Auf den Tag genau heute vor acht Jahren, musste Hansa bei Energie Cottbus antreten. Es war der 30. Spieltag der 2. Liga in der Spielzeit 2011/12, einer sportlich desaströsen Saison, die letztlich mit dem erneuten Abstieg der Hanseaten in die 3. Liga endete. Und doch erlebten die etwa 2000 Kummer gewohnten Hansafans im Stadion ein denkwürdiges Auswärtsspiel, in dem nach langer Durststrecke der dritte Sieg in Folge für einen wenn auch nur kurzen und letztlich trügerischen, aber doch unvergesslichen Moment der Hoffnung und Zuversicht sorgte.
Den folgenden Bericht zum Spiel verfasste ich für das damalige Online-Fanzine hansafans.de. Viel Spaß beim Lesen und Erinnern!
Land in Sicht
Was für ein Spiel, was für ein Finale! Per Kopf erzielt Dominic Peitz nach einem Eckball von Michael Blum in der letzten Spielminute das goldene Tor zum glücklichen, aber verdienten Auswärtssieg des F.C. Hansa Rostock bei Energie Cottbus – dem ersten übrigens seit dem legendären 4:0 vor mittlerweile fast zehn Jahren. Aber damit nicht genug, mit dem Erfolg im Stadion der Freundschaft kann unsere Mannschaft beim Saisonfinale im Kampf um den Klassenerhalt nun bereits auf drei Siege in Folge zurückschauen.
Glich der Sieg über Fortuna vor vier Tagen dem Nach-Luft-Schnappen eines Ertrinkenden, wenn er noch einmal kurz an die Oberfläche kommt, stehen die Aussichten jetzt gut, die verbleibende Strecke bis zum rettenden Ufer komplett mit dem Kopf überm Wasser zu absolvieren. Dass sich nach dieser verkorksten Saison eine solche Chance noch einmal bieten würde, hat sich die Mannschaft, an die nach dem Aue-Spiel mit Ausnahme derer, die dafür bezahlt werden, fast niemand mehr glauben wollte oder konnte, mit unbändigem Willen und gewaltiger Energie (wie passend) erarbeitet und erkämpft.
Sinnbildlich für diesen „neuen“ oder besser wiedergeborenen F.C. Hansa möchte ich heute mal den Torschützen hervorheben. Dass im Aufbauspiel der eine oder andere Pass eher zufällig einen Mitspieler erreicht, während die Mehrzahl beim Gegner oder im Niemandsland landet, ist wohl nicht mehr zu ändern, aber der Kampfgeist und die Leidenschaft, mit der Dominic Peitz nachsetzt und verlorene Bälle zurück erobert, sind beispielhaft und ich freue mich sehr für ihn, dass er sich mit dem gestrigen entscheidenden Treffer selbst belohnen konnte.
Großen Respekt verdient Trainer Wolf für seinen Mut, in personell schwieriger Situation auf junge Spieler zu setzen, die couragierten Leistungen der Neulinge Tommy Grupe und Manfred Starke geben ihm jedenfalls Recht. Sollte unsere viel gerühmte Jugendarbeit nun doch langsam Früchte tragen, die wir selbst ernten können?
Auch auf den Rängen ist der Glaube an das Team zurück, wie man in Cottbus eindrucksvoll miterleben konnte. Aus dem Gästeblock heraus wurde die Mannschaft fast durchgängig lautstark und brachial nach vorn gepeitscht, wobei klassischer Oldschool-Support dominierte, bei dem aus dem Block heraus angestimmte Gesänge sich schnell ausbreiteten und so den Funken immer wieder auf das Spielfeld übertrugen, von wo dieser postwendend zurück kam. Und schließlich diese ekstatische Explosion beim Siegtor, als aus 1500 hanseatischen Kehlen die Emotionen einem Urschrei gleich in den frühen Lausitzer Abendhimmel drängten, mit einer Urgewalt, deren Schockwellen inzwischen in Frankfurt-Bornheim und bei unseren weiteren noch kommenden Gegnern als unübersehbares Zeichen unseres Wiedererwachens künden.
Was ist es, das diesen Verein für uns so einzigartig macht?
Ist es der Exil-Hanseat aus Österreich, der bei seiner Heimreise vom Osterfest die Strecke Rostock – Wien geringfügig um einen kleinen Abstecher nach Cottbus erweitert? Schließlich kommt er aus naheliegenden Gründen nicht mehr so oft ins Stadion und bei den letzten beiden Versuchen in München und gegen Düsseldorf hatte es sogar mit Siegen geklappt.
Ist es der berühmte Rapper, der nicht nur die komplette Fahrt an Bord des Fanszene-Sonderzuges absolviert, sondern auch im Stadion die Stimme (immerhin sein wertvollstes „Kapital“) bis zum Äußersten einsetzt, um seinen Verein, den er über alles liebt, zu unterstützen?
Ist es die Frau an der Autobahntankstelle im Brandenburgischen, die erst mal wissen will, ob Hansa gewonnen hat, bevor sie irgendwelche Kundenwünsche entgegennimmt? Schließlich fährt doch ihr Mann immer noch und trotz allem, was passiert ist, mit der Hansa-Fahne am LKW durch das Land.
Oder ist es der Spieler, der sich nach schwierigem Einstand mit anschließender Durststrecke ins Team zurück gekämpft hat und nun mit seinem Siegtor dafür gesorgt hat, dass seine Mannschaft drauf und dran ist, dem Wunder von Bochum 1999 ein weiteres, möglicherweise noch größeres hinzuzufügen?
Dieser FC Hansa, das sind wir alle: Spieler, die (wieder) an sich glauben, sich zerreißen und bis zum Schlusspfiff um den Sieg kämpfen; Fans, die Woche für Woche mitfiebern, die in ihrer Umgebung regelmäßig miese Laune verbreiten, weil die Pfeifen „schon wieder“ verloren haben und die in dieser Saison so seltenen Erfolge dafür wie Titelgewinne feiern. Es sind wir alle, die wir am kommenden Freitag wieder in Scharen ins Ostseestadion strömen werden, um unserer Mannschaft beim schweren Gang gegen den FSV Frankfurt den Rücken zu stärken und sie vielleicht zum vierten Sieg in Folge zu treiben. Also überlegt nicht lange – am Freitag gehört jeder, der keine plausible Ausrede hat, ins Ostseestadion.
Es bleibt dabei: Wenn nicht jetzt, wann dann?!
Auf youtube habe ich ein Video vom Gästeblock gefunden, zum Genießen und für ein kleines Nostalgietränchen empfehle ich den Moment, in dem das Tor fällt: ab Minute 2:35.