Heinz Rudolf Kunze solo „Wie der Name schon sagt“, Schloss Schwerin, 19. September 2020
Pünktlich auf die Sekunde um 20 Uhr wird aus den Lautsprechern im Schweriner Schloss-Innenhof ein Countdown heruntergezählt, mit einer Computerstimme wie von Kraftwerk, dann übernimmt auch schon der angekündigte Künstler des Abends und begrüßt (noch immer vom „Band“) als „Flugkapitän“ die „Mitreisenden“ zu einer Reise ohne konkretes Ziel, es wird nämlich keine Landung geben. Dann erscheint Heinz Rudolf Kunze auf der Bühne, nimmt an deren vorderem Rand vor dem Mikrofon Platz und greift zur Gitarre.
Nach einer längeren Anmoderation beginnt das Konzert mit dem Opener „Der Abend vor dem Morgen danach“. Musikalisch und atmosphärisch finde ich mich in den nächsten zwei Stunden in einem imaginären Dreieck, irgendwo zwischen Hannes Wader, Eddie Vedder und Neil Young wieder. Wir hören Songs, die durch den Verzicht auf Band-Arrangements auf ihr Wesentliches reduziert werden, aber was heißt hier „reduziert“? Klassisches Singing/Songwriting braucht nicht mehr als Melodie und Text, dargeboten von der menschlichen Stimme und begleitet mit Akustikgitarre oder am Klavier, denn ganz ohne Harmonien geht es natürlich auch nicht.
Zwischen den Liedern, die in weiten Teilen vom aktuellen Album „Der Wahrheit die Ehre“ (2020) stammen, liest HRK Texte zu aktuellen Themen, die den Menschen und Künstler umtreiben. Es geht um das gesellschaftliche Klima im Land, die unverhohlene Diskursverschiebung nach rechts, das Erstarken des Nationalismus und die Akzeptanz in der „Mitte“ für rechtsextreme Positionen.
Viel Aufmerksamkeit bekommt der Umgang der Gesellschaft mit der allgegenwärtigen Pandemie, mit beißendem Spott und Verachtung geißelt Kunze Aussagen wie „Ich sehe kein Virus“. Das Problem wird wohl nur gelöst werden, wenn Leute, die allen Ernstes so etwas von sich geben, nichts mehr zu sagen haben, oder, besser noch, „nicht mehr können“ (wie das gelingen soll, dazu schickt der Künstler seine Gedanken und die seiner Zuhörer auf Wanderschaft).
Sehr deutlich wird Kunze, wenn er auf den amtierenden US-Präsidenten zu sprechen kommt, auf den er sich richtig verbal einschießt (wer will es ihm auch verübeln?). Einen derart massiven und persönlichen Politiker-Diss habe ich bei einem Konzert bisher nur einmal erlebt, das war bei Roger Waters‘ „US and Them“ Show, der sein Missfallen allerdings weitaus weniger subtil formulierte. Wieder gehen die Gedanken von Künstler und Publikum auf die Reise: Was soll man mit, besser noch gegen diesen Menschen, beziehungsweise sein schändliches Handeln tun?
Beim Thema gendergerechte Sprache nimmt HRK „Mensch*innen“ ins Visier und vermittelt wortgewaltig, wie sehr er sich als Sprachästhet von so mancher Wortkreation beleidigt fühlt. Die „68er“ bekommen bei der Gelegenheit ihr Fett gleich mit weg. So verdienstvoll es gewesen sei, die Nazi-Autoritäten von ihren Sockeln zu stoßen, so verheerende Folgen für unsere heutige Gesellschaft hätte die sich anschließende Abschaffung jeglicher Autorität gehabt. Die Thesen des streitbaren Künstlers sind sicher nicht unumstritten, aber diese Form der Diskussion kann durchaus Spaß machen und die eigene Sichtweise bereichern.
Die Abfolge von Liedern und Texten ist Von der ersten bis zur letzten Sekunde durchkonzipiert, nichts ist dem Zufall überlassen, kaum Platz für Spontaneität. Kunze verzichtet auf die „üblichen“ Liveshow-Mätzchen a la „Seid ihr gut drauf?“, gönnt sich und uns dabei nur zwei kleinen Ausnahmen: Einmal die Aufforderung, den Refrain von „Dein ist mein ganzes Herz“ zu übernehmen, mit der das überrumpelte Publikum spontan überfordert scheint (mich eingeschlossen). Und schließlich erlaubt er sich kleine Lästerei über Mundharmonika-Gestelle, inklusive einer Prise Mitgefühl für „Bob, der das seit 70 Jahren aushalten muss.“
Das alles geschieht sprachlich virtuos, dramaturgisch brillant und dabei immer unterhaltsam. Die Pointen folgen im Stakkato aufeinander, es ist zumindest für mich unmöglich, das auch nur annähernd zu „speichern“, so dass ich schon mal vorsichtig den Wunsch nach Veröffentlichung in Buchform anmelden möchte.
Eine kleine Anekdote konnte ich mir dann doch merken. HRK wird an einer Tankstelle in Brandenburg „erkannt“:
Tankwart (TW): Grönemeyer!
HRK: Fast.
TW: … grübel… Hah! Jetze weeß ick … „Dein is‘ mein janzet Herz“?
HRK: … erfreut … Genau!
TW: … triumphierend … Denn biste Grönemeyer!
Setlist
Der Abend vor dem Morgen danach * Mit welchem Recht * Ich bin so müde * Spießgesellen der Lüge * Leg nicht auf * So wie du bist * Aller Herren Länder * Die Zeit ist reif * Ich hab’s versucht * Die ganz normalen Menschen * Meine eigenen Wege * Wenn du sie siehst * Vertriebener * Die Dunkelheit hat nicht das letzte Wort * Zusammen * Dein ist mein ganzes Herz
Lola * Finden Sie Mabel
Bestandsaufnahme




4. Januar 2021 um 18:51
Wie schön, Uwe, dass du im letzten Jahr noch an einem schönen Open-Air-Konzert teilnehmen konntest! Tja…leider ist momentan in dieser Hinsicht ja alles ziemlich still. Da heißt es Daumen drücken, damit wir bald wieder mehr Geselligkeit, Freude und Spaß haben können.
Uwe, ich wünsche dir ein schönes neues Jahr mit viel Freude, Spaß und Glück, aber vor allen Dingen natürlich Gesundheit!
🙂 Rosie 🎉🤗🎈
17. Februar 2021 um 21:04
Nice pictures