SV Sandhausen – F.C. Hansa Rostock 1:2, Hardtwaldstadion, 5. November 2010, 3. Liga, 15. Spieltag
Am kommenden Sonnabend tritt der F.C. Hansa beim SV Sandhausen an, das ist eine Zweitliga-Premiere. Überhaupt trafen beide Vereine erst dreimal in der Geschichte der Menschheit in Pflichtspielen aufeinander. Und, was soll ich sagen, ich war tatsächlich bei allen drei Duellen vor Ort anwesend. Ich schreibe bewusst nicht „im Stadion“, denn dies trifft in der Tat nur auf die zwei Spiele im Ostseestadion zu. Für das Drittliga-Spiel in der Saison 2010/11 hatte der DFB gegen Hansa einen Fan-Ausschluss verhängt. Hingefahren sind wir natürlich trotzdem, mit dem erprobten Procedere für solche Gelegenheiten: Dezentrale Anreise in kleinen PKW (maximal 3 Insassen) unter Vermeidung von Gruppenbildungen, also nicht auffallen! Das sagt sich so leicht, aber habt ihr schon mal versucht, im ländlichen Baden-Württemberg als Ortsfremder nicht erkannt zu werden? Woischd?
Wir vertrieben uns die Zeit nach der Ankunft im Zielgebiet im nahen Heidelberg, absolvierten als kleine Generalprobe für den späteren Einlass eine konspirative Übergabe unserer von ortsansässigen Exil-Hanseaten besorgten Tickets am Bahnhof, unter den argwöhnischen Blicken der allgegenwärtigen Ordnungsmacht. Strike! Die weiteren Stunden bis zum Spiel verbrachten wir mit ziellosem, demonstrativ unauffälligem Herumschlendern (einzeln oder paarweise) in der Altstadt. Mir ist bis heute ein großer Laubbaum am Ende einer kleinen Nebenstraße, vermutlich eine Kastanie, in Erinnerung geblieben, deren Blätter in der Herbstsonne strahlten, als wären sie aus purem Gold, ein wunderbarer Anblick, der uns dann auch den Mut verlieh, zum Stadion zu fahren. Was wir dort erlebten schilderte ich im damaligen Bericht für hansafans.de wie folgt (gekürzt und geringfügig bearbeitet):
Es gibt immer einen Weg
Die als Folge der Ereignisse in Dresden verhängte DFB-Auflage war so eindeutig wie unmissverständlich: Kein Hansafan sollte das Stadion von innen sehen. Dies umzusetzen war die Aufgabe des einheimischen Ordnungspersonals, das dabei von Ordnern des FC Hansa (oft auch mehr als nötig) unterstützt wurde. Klar war schon vorher, dass man sich vor Ort auf der Grundlage der Erfahrungen der letzten Auswärtssperre in Ingolstadt Gedanken machen würde, was man dem Einfallsreichtum der Hansafans entgegensetzen könnte.
Um schon äußerlich nicht aufzufallen, hatte sich die Masse der zum Spiel fahrenden Hansafans entschieden, die geliebten Vereinsfarben zu Hause zu lassen und gegen „Zivilkleidung“ zu tauschen. Dies gelang dem einen mehr, dem anderen weniger, mancher sah aus, als käme er direkt vom Vorstellungsgespräch, andere wieder erinnerten eher an den netten Onkel, der auf dem Kinderspielplatz Schokolade verteilt.
Der Kartenerwerb stellte sich eher unproblematisch dar, den Gastgebern war hier wohl auch das Hemd näher als die Hose. Vielfach war zu hören, dass vor der Errichtung der Absperrungen Eintrittskarten ohne jegliche Ausweiskontrollen oder ähnliches verkauft wurden. Geld stinkt eben nicht. Fairerweise soll aber erwähnt werden, dass erworbene Eintrittskarten später am Kartenschalter gegen Erstattung des Kaufpreises zurückgegeben werden konnten.
Die Zulassung zum Stadionbesuch erfolgte dann an zwei Schleusen, wo jeder Besucher seinen Personalausweis vorzeigen sollte. Bis zum Schluss war nicht ganz klar, welche Kriterien dann für die endgültige Entscheidung über den Einlass ausgegeben worden waren. Als Haupterkennungsmerkmal für den gemeinen Hansafan sollte wohl der Geburtsort gelten. Da hatten gebürtige Rostocker naturgemäß schon mal schlechte Karten. Aber schon Orte wie Bergen oder Greifswald ließen die Schädel der geografisch nicht ganz so sattelfesten Ordner mächtig ins Rauchen kommen. Also entschied man sich schon mal für die vereinfachende Ansage: Wer in der Zone geboren ist, kommt nicht rein. Leipziger oder Jenaer wurden ebenso abgewiesen wie gebürtige Dresdner, interessanterweise mussten aber auch Kieler, Frankfurter (nicht die von der Oder) und sogar Stuttgarter draußen bleiben.
Bei diesem Chaos rechnete ich mir mit dem südwestelbisch vielleicht weniger bekannten Altenburg ganz gute Chancen aus, also versuchte ich mein Glück. Und tatsächlich – der Ordner hatte wohl nichts einzuwenden, was sich allerdings beim Blick auf die Ausweisrückseite mit dem aktuellen Wohnort schlagartig änderte. Pech gehabt. Zu meinem Glück zog das keinen sofortigen Gefängnisaufenthalt für mich nach sich, wie mich eine sehr nette Polizistin sofort beruhigte, wobei sie mit treuem Blick Verständnis für meine Situation äußerte: So weit gefahren und dann alles umsonst, das ist schon traurig. Aber leider könne sie es auch nicht ändern, da der SV Sandhausen das nun mal so wollte. Die „Roschdogger“ (also nicht ich) machen aber leider immer wieder Stress und den wollen sie hier einfach nicht haben.
Also schnell noch Namen und Anschrift notiert, und ich durfte mich entfernen – nicht ohne noch über die schrecklichen Folgen weiterer Eindringversuche belehrt zu werden: „Platzverweis beim zweiten Mal, vielleicht sogar Gewahrsam beim dritten Mal, aber das machen Sie bestimmt nicht, oder?“ Nein, habe ich natürlich nicht gemacht, ich bin ja ein braver, gesetzestreuer Bürger. Und so schloss ich mich meinen ebenfalls nicht ins Stadion gelangten Sveriner Reisegefährten an, die hinter dem Gästebereich eine Stelle entdeckt hatten, von wo aus man Teile des Spielfeldes einsehen konnte. Dieser Ort wird fortan unter dem Namen „Waldtribüne“ einen festen Platz in der Hansa-Historie haben.
Es ist erfreulich, dass allen Behinderungen zum Trotz einige Hansafans den Weg auf die Ränge des Hardtwaldstadions gefunden hatten. Das schnelle Führungstor durch Jänicke erleichterte das Zusammenfinden in den einzelnen Blöcken, so dass in der Folgezeit ein lautstarker Support unserer Mannschaft organisiert werden konnte. Für die Einheimischen, die immerhin per Videowand zum Klatschen aufgefordert werden, war dies sicher ein ziemlicher Kulturschock, wähnte man sich doch beim Anpfiff noch ganz unter sich. Jedenfalls hatte es ihnen wohl ordentlich die Sprache verschlagen, im gesamten Spielverlauf war kaum mal etwas zu hören. Selbst ein „Scheiß Hansa Rostock“ brachten sie ohne Hilfe nicht zustande.
Höhepunkte des Supports waren wiederholte Wechselgesänge, die einmal mehr das alte Sprichwort bestätigten: Wie man in den Wald hineinruft, schallt es heraus: Hansa! – Rostock! Absoluter Höhepunkt war jedoch die Aufführung des Konzertes für Trillerpfeife und Chor, das mit einem triumphalen „SIEG!“ schon in der ersten Halbzeit den Spielausgang für alle Anwesenden klarstellte. Dass ich in der zweiten Halbzeit dann von meiner Position hinter dem eigentlichen Gästeeingang aus durch eine Lücke, an der im Ostseestadion der Block 27 steht, sogar das 2:0 durch Ziegenbein mitverfolgen konnte, gab dem ganzen Abend dann den endgültigen Kick.
Eins ist nach diesem Spiel klar: Egal, welche Sanktionen auch immer verhängt werden, welche Strafen man sich andernorts ausdenkt. Es ist nicht möglich, uns alle vom Besuch eines Spiels unserer Mannschaft abzuhalten. Es werden IMMER Hansafans im Stadion sein. Das ist gut so und ich bin stolz auf jeden Hanseaten, der Mittel und Wege findet, seiner Mannschaft nahe zu sein, und drücke jetzt schon allen die Daumen, die das auch in Wiesbaden wieder versuchen werden.
F – C – H – wir sind immer da!!

„Waldtribüne“ Sandhausen; (C) S. Ahrens 2010
14. März 2022 um 14:50
Schöne Story aus einer längst vergessenen Zeit. 10 Jahre und doch fühlt es sich wie eine Ewigkeit an.