F.C. Hansa Rostock – 1. FC Nürnberg 0:2, Ostseestadion, 26. Februar 2022, 2. Liga, 24. Spieltag
Kann man in falschen Zeiten das Richtige tun? Ist es angemessen, in diesen Tagen mehr oder minder lustige (ja, das ist natürlich Ansichtssache) Texte über Fußballspiele und/oder Stadionbesuche zu schreiben? Sollte man überhaupt ins Stadion gehen? Schwierige Fragen, die jede*r für sich selbst beantworten muss. Mir persönlich hilft es, angesichts der aktuellen Flut an schlechten Nachrichten wenigstens zeitweise auf andere Gedanken zu kommen, bevor das Gehirn überläuft. Wer also bin ich, dass ich mir anmaßen würde, diesbezüglich die persönliche Entscheidung anderer zu kommentieren oder gar zu bewerten?
Und so habe ich mich entschieden, mir in diesen schlimmen Zeiten ein kleines bisschen „Normalität“ zu bewahren, oder es zu versuchen, nicht zuletzt auch vor dem Hintergrund persönlicher (gesundheitlicher) Themen, die meinen Alltag nun schon seit etwas mehr als drei Jahren beherrschen. Mehr dazu vielleicht demnächst mal hier im Blog.
Wer hier nicht weiterlesen möchte, darf sich meines Verständnisses gewiss sein, ich habe ja kurz angerissen, warum ich mich für einen kleinen Artikel zum Spiel und einigen Begleitumständen entschieden habe.
Aber bevor ich nun ein bisschen „gute alte Zeit“ wiederzubeleben versuche, gehen solidarische Grüße an alle Betroffenen und Opfer Putinscher Allmachtgelüste und an den feinen Herrn Präsidenten, dem das Streben nach Weltherrschaft schon im Vornamen mitgegeben wurde, die Aufforderung:
🇺🇦Иди домой*, Владимир. НЕТ ВОЙНЕ!🇺🇦
(*Transparenz-Hinweis: In einer früheren Version des Textes hatte ich hier einen nicht angemessenen Ausdruck verwendet und habe die Formulierung korrigiert.)
Die aktuellen Umstände, Stichwort: Pandemie, machen es zunehmend schwierig, selbst für Kurzstrecken wie nach Rostock und zurück Mitfahrgelegenheiten zu erwischen, so dass ich mal eine besonders dekadente Form der Reise wählte: Zum Heimspiel am Vortag und zurück am Tag danach jeweils mit dem ICE, erste Klasse. Ja zum modernen Fußball! Erste Erkenntnis: Geht unfassbar schnell, wenn man die Fahrt zum und vom Bahnhof ignoriert, und ist dank Bahncard sogar preislich attraktiver und auch noch gut für die persönliche CO2-Bilanz. Ich bin schon vor Reiseantritt so sehr von mir begeistert, dass ich vor lauter Euphorie die Jahreskarte vergesse, also muss ich nach einer Station aus dem Linienbus aussteigen, zur Wohnung zurückhasten und mit dem nächsten Bus erneut starten. Ich bin echt zu alt für den Scheiß. Klappt aber alles gut, ich erreiche pünktlich mein Quartier im Rostocker Hansaviertel.
Zeitsprung: Nach einer gemütlichen Nacht bestens ausgeruht den Spieltag mit einem ausgedehnten Balkonfrühstück (Danke an Gastgeber Tomas!) in strahlender Vorfrühlingssonne und vor Seegraskulisse beginnen, quasi mit dem Ostseestadion in Blickweite und dem betörenden Klang der Sirenen als Soundtrack – so muss sich Odysseus einst gefühlt haben. Von einer Tanne (?) gegenüber beobachtet uns eine adlergroße Taube eine Weile, bevor sie mit ihrem demonstrativen Abflug Richtung Stadion das Aufbruchsignal gibt.
Wir folgen der Friedensbotschafterin und treffen pünktlich zur Stadionöffnung am Südeingang ein. Unterwegs haben wir Flyer der Fanszene, und den wohlwollenden Hinweis „Durchlesen!“ bekommen, auf denen diese die Gründe für ihr Fernbleiben vom Stadion erläutert und für Verständnis wirbt. Dies alles geschieht in einem angenehmen Tonfall und mit Argumenten, die ich nicht zu hundert Prozent teile, aber dennoch respektieren kann. Zwischen den Zeilen wird sogar eingeräumt, dass Vorsichtsmaßnahmen im Zuge einer Pandemie wie zum Beispiel Einschränkungen der Zuschauerkapazität oder die Erfüllung bestimmter personenbezogener Voraussetzungen für den Einlass zu Großveranstaltungen unter Umständen notwendig sein können und nicht immer zwingend als Akt der Willkür seitens ignoranter Politiker*innen zu verstehen sind, die einfach nur Hansa nicht leiden können.
Volle Zustimmung meinerseits findet der Appell, die individuelle Entscheidung für oder gegen den Stadionbesuch wechselseitig zu akzeptieren, ebenso die Aufforderung, die Abwesenheit der organisierten Gruppen nicht dafür zu benutzen, (O-Ton) „den Harten gen Gästeblock zu mimen.“ Korrekt, manchen ist wirklich nichts peinlich. Unterschreibe ich sofort. Die optische Kennzeichnung der „verbotenen Zone“ kann dann bei nächster Gelegenheit aber gern wieder wegbleiben. Ich denke ja, es haben jetzt alle verstanden. Und besetzte untere Reihen hinter dem Tor hätten eine Schlafwagenstimmung, wie sie nun gegen Nürnberg herrschte, sicher verhindert. Nie habe ich den organisierten Support so vermisst wie bei der Elfmeterentscheidung. Der Nürnberger Spieler legt einen astreinen Absprung hin, dass Sven Hannawald neidisch würde, und von den Rängen kommt … gar nichts. Ein paar gelangweilt-routinierte Pfiffe, und das war‘s. Normalerweise sollte das Stadion in solchen Momenten explodieren. Auch als Fan kann man offenbar sogar Tribünen-Basics verlernen, wenn das regelmäßige Training fehlt.
Zum Spiel habe ich sonst nicht viel zu sagen, ich bin ja auch nicht vom Fach. In jedem Fall war es sehr anstrengend, sich diesen Kick zu geben. Wenn wir die Liga halten wollen, muss da schon etwas mehr kommen. Viel, was Hoffnung gibt, habe ich diesmal nicht gesehen. So bleibt ein verdientes 0:2, was bedeutet, dass die Mannschaft gar nicht anders kann, als am Sonnabend in der Veltins-Turnhalle zu gewinnen. Aber so komisch es auch klingt, mit dieser Konstellation sind wir in der aktuellen Saison oft recht gut klargekommen. Was kümmert uns Schalke?
Zur Spielnachbereitung treffe ich gute Freunde in der traditionsreichen Vereinsgaststätte „Rote Erde“, das Spielergebnis wird davon zwar nicht besser, aber das Wiedersehen (zum Teil nach einigen Monaten) wärmt schon Herz und Seele. Und dann die großartigen Fußballfachgespräche, wer das miterleben darf, sollte noch heute eine Petition zur Abschaffung von „Doppelpass“ & Co. unterzeichnen.
F.C. Hansa Rostock U19 – FC St. Pauli U19 5:1, Kunstrasen am Hansa-NLZ, 27. Februar 2022, A-Junioren-Bundesliga Nord/Nordost, 14. Spieltag
Ich bleibe noch eine Nacht in der Hansastadt, der Sonntagvormittag hält nämlich noch einen Leckerbissen bereit: In der A-Junioren-Bundesliga empfängt Hansa den FC St. Pauli. Von Verein und Verband wurden keinerlei Anstrengungen unternommen, die Öffentlichkeit über das Stattfinden dieses Spieles zu unterrichten, geschweige denn dafür zu werben. Ein Schelm, wer Arges dabei denkt. Immerhin erscheinen doch ca. 200 Zuschauer am Kunstrasenplatz beim Nachwuchszentrum. Die Sicht da ist bekanntermaßen bescheiden, wer trotzdem durchhält, wird von den Jungen Hanseaten fürstlich belohnt. Hansa siegt verdient, wenn auch in der Höhe sicher etwas krass, mit 5:1. Fünf zu Eins! Gegen St. Pauli! Beschwingt trete ich die Heimreise an, in meinem Kopf kreist ein Gedanke, den ich bis auf weiteres für mich behalte, frei nach Dritte Wahl: „Träumen darf ein jeder …“