F.C. Hansa Rostock – Karlsruher SC 0:2, 5. März 2023, Ostseestadion, 2. Liga, 23. Spieltag
Nur ein kurzer Traum
Grenzenloser Jubel auf den Rängen, die Fans singen „Einer geht noch rein!“ Auf dem Platz spielen sich atemberaubende Szenen ab. Angriff auf Angriff rollt auf das Tor vor der Südtribüne, der Ball kommt nach außen, von dort segelt die perfekt getimete Flanke in den Strafraum, der Spieler im Zentrum muss nur noch Kopf oder Fuß hinhalten und schon zappelt der Ball im Netz. Die Hanseaten kombinieren und treffen, als wäre kein Gegner auf dem Platz.
Der Haken: Es ist wirklich kein Gegner auf dem Platz, was wir sehen, ist der obligatorische Abschluss des Aufwärmprogramms, bei dem jeder Spieler der Startelf noch einmal auf das Tor schießt. Mannschaft und Fans trainieren gemeinsam „Tor für Hansa“ und teilen die schönsten Momente dieses Spieltages, alles nur Übung! Und trotzdem sooooo schön!
Einige Minuten später steht das ganze Stadion und schmettert voller Inbrunst „Hansa forever“, als könnten wir zusammen die ganze Scheiße wenigstens für einen Moment wegschreien: die anhaltende sportliche Tristesse, den Ärger abseits des Platzes und im Umfeld, die düsteren Schatten des vergangenen Wochenendes. Dafür wagt sich sogar die Sonne ein bisschen heraus, „sie hat Kraft“, wie mein lieber Freund Dannsen gern sagt. Ich spüre fast schon eine Art Aufbruchstimmung, bis uns ein schriller Pfiff brutal aus dem Traum reißt: Anstoß! Was nun über zweimal 45 Minuten auf dem Rasen geschieht, oder auch nicht, ist für mich nicht in Worte zu fassen, deshalb überlasse ich diesen Teil Leuten, die etwas davon verstehen:
Spielbericht Hansa
Spielbericht KSC
Quo vadis?
Zur kurzen Auflockerung hole ich erst mal einen legendären Dialog aus den Untiefen meines Langzeitgedächtnisses, den ich in den 80er Jahren mal in einem Kabarettprogramm im Radio gehört habe. Seine volle Wirkung entfaltet er natürlich nur in lupenreinem Sächsisch:
Wo gehst’n hin? – Kino! – Was gähms’n? – Quo vadis? Was heeßt’n das? – Wo gehst’n hin? – Kino! – … (und immer so weiter).
An diesen Wortwechsel muss ich spontan immer als erstes denken, wenn mir der berühmte Romantitel von Henryk Sienkiewicz begegnet, erst danach erscheint vor meinem geistigen Auge der große Peter Ustinoff, der in der Verfilmung als Nero seine Tränen für die Nachwelt in einem Reagenzglas sammeln ließ, nachdem seine Prätorianer Rom angezündet hatten.
Zurück zur aktuellen Wirklichkeit: „Quo vadis“ ist die Frage, die sich der F.C.H. in seinem Statement vom 3. März auch selbst stellt. Die Erklärung ist ein erster wichtiger Schritt, sich ernsthaft mit Fehlentwicklungen auseinanderzusetzen, Veränderungen herbeizuführen und dabei die organisierte Fanszene mitzunehmen, ohne deren Mitwirkung das nicht klappen wird.
Abschließend noch einmal zum Sportlichen: Machen wir uns nichts vor, die Lage ist bedrohlich, selbst wenn der aktuelle Tabellenstand unbeirrt so etwas wie Hoffnung und nicht zuletzt auch Chancen, es aus eigener Kraft zu packen, erahnen lässt. Aber wie soll das gehen? Ich musste nicht lange überlegen, wann ich schon einmal im Ostseestadion dieses Gefühl kompletter Ohnmacht hatte: Wir werden nie wieder ein Spiel gewinnen! Das war 2010 beim Relegationsrückspiel gegen Ingolstadt. Vorstand, sportliche Leitung und Mannschaft, lasst es bitte nicht wieder so weit kommen!
Und natürlich können und müssen wir auf den Tribünen unseren Teil beitragen, so wie wir es ja nun schon geübt haben. Am besten fangen wir damit in Hannover an. Wisst ihr noch, 2005?

Gästeblock beim Spiel Hannover 96-FC Hansa 2005 (C) S. Ahrens