Bruce Springsteen & The E Street Band – The Rising Tour 2003
Gelsenkirchen, 22. März 2003, Arena AufSchalke
Es ist der 22. Mai 2003, kurz vor 18:00 Uhr. Der Lokführer hat gerade den Bremsvorgang begonnen, der seinen Intercity-Zug wenige Minuten später im Gelsenkirchener Hauptbahnhof zum Stehen bringen wird. Drei junge, gut aussehende Männer (besonders der eine) und zwei charmante, nicht minder junge Damen bahnen sich zielstrebig ihren Weg durch den Gang, als hofften sie, so ihrem Ziel noch schneller näher zu kommen und schauen sich immer wieder gehetzt um, als sei ihnen der Teufel auf den Fersen.
Ihr Tag hat früh am Morgen in der mecklenburgischen … äh … Metropole Schwerin begonnen, voller Elan und Vorfreude auf einen denkwürdigen Abend haben sie den langen Weg ins Herz des Ruhrpotts auf sich genommen, mittags ihre luxuriösen Quartiere im ersten Haus am Platze im schönen Dortmund-Lütgendortmund bezogen und sich von da aus aufgemacht, um mit öffentlichen Verkehrsmitteln das letzte Stück des Weges zu meistern. Ziel der Reise ist die Arena „AufSchalke“, wo am Abend Bruce Springsteen & The E Street Band eines von nur fünf Deutschland-Konzerten der The Rising Tour 2002/03 geben.
Unbelastet von Kenntnissen über den Öffentlichen Personenverkehr im Pott fahren unsere Reisenden mit ihren Eintrittskarten, die freundlicherweise auch als Nahverkehrstickets gelten, eine Weile planlos durch die Gegend, bis ein freundlicher Bahnangestellter in Bochum (kann auch Wanne-Eickel gewesen sein) den entscheidenden Tipp auf den nächsten Zug direkt nach Gelsenkirchen gibt. Ein kurzer Sprint, rein in den Zug, Tür zu und schon fährt er auch ab. Es ist der bereits erwähnte Intercity, für den unsere Helden keine gültigen Fahrausweise besitzen.
Und natürlich naht im Moment dieser erschreckenden Feststellung auch schon das Auge des Gesetzes in Gestalt des Schaffners oder – wie man heute sagt – Zugbegleiters. Gleichzeitig wird die bevorstehende Ankunft in Gelsenkirchen angekündigt, also stehen die „Schwarzfahrer“ auf und gehen dem Hauptbahnhof schon mal ein paar Schritte entgegen. Zwei Wagen weiter freut sich eine ältere Dame: „Ach, das ist aber schön, so viele starke junge Männer, da brauche ich meinen schweren Koffer nicht allein aus dem Zug zu heben.“ Der irritierte Ausdruck ihre Augen, als die starken jungen Männer einer nach dem anderen an ihr vorbei hasten, sorgt noch heute bei allen Beteiligten in Vollmondnächten für sehr unruhigen Schlaf. Aber watt willste machen? Omma vor der Brust, den Schaffner im Nacken – da heißt es flitzen und nich’ lang schnacken.
Wir (das ist jetzt sicher keine Überraschung, dass ich ein Teil dieser Reisegruppe bin) erreichen also ungefährdet und unkontrolliert erst den Hauptbahnhof von Gelsenkirchen, und bleiben außerdem von den mutmaßlichen Verwünschungen der alten Dame verschont, die hoffentlich noch einen freundlichen Helfer gefunden hat – jedenfalls hat man bis heute nichts von einem rätselhaften Skelettfund in einem Geisterwaggon gehört. Mit der Straßenbahn erreichen wir nun schnell die Arena und betreten ihren Innenraum.
Wir sind relativ spät dran, die begehrten Plätze in Bühnennähe sind natürlich längst voll belegt, so dass wir es uns dann in schätzungsweise 50 Metern Bühnenentfernung bequem machen. Das ist nicht das Optimum, aber wir sind ja nicht mehr im Jahr 1988, Videotechnik funktioniert nunmehr auch bei Tageslicht und Soundprobleme wird es in Deutschlands größter Turnhalle auch nicht geben.
Viel Zeit uns einzurichten haben wir nicht, denn nur wenig später stürmt die E Street Band die Bühne und bringt mit einem furiosen THE RISING sofort die Stimmung zum Kochen. Die Musik und der energiegeladene Auftritt der E Street Band, die seit der Rising-Tour von „Sister“ Soozie Tyrell verstärkt wird, reißt jeden Besucher mit, auch wenn der Boss dem Tribünenpublikum zwischendurch ein wenig nachhelfen muss (Konzerte oder Fußball – immer dasselbe!): „Get off your German asses!“ (Steht auf, wenn ihr Schalker seid!). Da sage mal einer, die Amis hätten keine Ahnung von richtigem Fußball. Ein weiterer Beweis gefällig? Bitte sehr: Bruces Begrüßung geht so: „Hello Gelsenkirschen, wherever that may be.“ (Hömma Schalke, in New Jersey kennt euch keine Sau!).
Der Boss erweist sich im Verlaufe der knapp dreistündigen Show als grandioser Entertainer, wobei wie gewohnt die Musik im Fokus steht. Eine perfekt eingespielte Band mit einem großartigen Frontmann hat das Publikum fest im Griff, die Songs des aktuellen Albums „The Rising“ fügen sich nahtlos ins Gesamtprogramm ein, zwischendurch gibt es immer wieder besondere Leckerbissen wie ein vierzigtausendfacher Backgroundgesang des Publikums bei BADLANDS, eine grandiose Bandvorstellung zu MARY’S PLACE und ein absolutes Sahnestückchen im ersten Zugabenteil, das schon bei den M.U.S.E.-Konzerten im Madison Square Garden 1979 weltberühmt wurde – DEVIL WITH THE BLUE DRESS MEDLEY.
DANCING IN THE DARK beschließt einen großartigen Abend, so schön, dass man dafür auch gern mal eine halbe “Weltreise” auf sich nimmt; so schön, dass ich drei Wochen später, spontan nach Hamburg fahre, um das Abschiedskonzert dieser Tour in Deutschland zu sehen. Der Termin war erst bekannt geworden, als wir unsere Karten für Gelsenkirchen schon hatten – rückblickend ein Glücksfall, sonst hätte ich in dem Jahr mit Sicherheit nur ein Springsteenkonzert besucht.
Hamburg, 12. Juni 2003, Volksparkstadion
Zum ersten Mal habe ich es in die „Pit“ geschafft, ich stehe tatsächlich so dicht an der Bühne, dass ich den Boss auch ohne Mikrofon singen hören könnte. DOWNBOUND TRAIN und RACING IN THE STREET, eine akustische Version von BORN IN THE U.S.A. und HUNGRY HEART im Duett mit Wolfgang Niedecken und nicht zuletzt der Song, der diesem Artikel als Überschrift dient, lassen sogar die Tränen vergessen, die der Hamburger Himmel aus Kummer über den bevorstehenden Abschied von der E Street Band vergoss. Kein Abschied für immer, aber in dieser, ihrer kompletten Besetzung mit Danny und Clarence habe ich sie damals zum letzten Mal sehen dürfen, wird sie nun niemand je wieder sehen, jedenfalls nicht auf dieser Welt.
P.S.
Den Konzertauftakt in Gelsenkirchen habe ich per Handy live zu meiner damals zwölfjährigen Tochter „übertragen“, die danach sagte: „Papa, ich will irgendwann auch mal mit dir zum Bruce-Springsteen-Konzert gehen.“ Kommenden Mittwoch, im Berliner Olympiastadion, geht dieser Wunsch nun endlich in Erfüllung. Und ich bin sicher, es wird ein sonniger Tag.