Hanseator

Musik, Fußball und manchmal auch ein bisschen Hansa

Gegen Nazis sind sie alle

Ein Kommentar

Broilers, Dritte Wahl & Feine Sahne Fischfilet in Rostock, 30. August 2014

Sonnabend, der 30. August 2014, es ist 16:45 Uhr, als wir unsere Schritte in Richtung des Eingangs zum Rostocker IGA-Park lenken. Vor diesem warten etwa 100 Menschen auf die Öffnung der Tore. Dies geschieht überaus geduldig und diszipliniert in einer schnell an Länge gewinnenden Wartegemeinschaft, wie sie die Älteren noch aus dem alltäglichen Ringen um den Erwerb hochwertiger Konsumgüter in einer Zeit kennen, als wir die Vorzüge der Planwirtschaft auskosten durften.

Dass es sich um den Einlass zu einem – nun ja – Punk-Konzert handelt, ist lediglich an den von den Wartenden getragenen Bekleidungsstücken aus dem reichhaltigen Merchandising der auftretenden Bands und den die Wartezeit überbrückenden Getränken zu erkennen. Selbst als der avisierte Öffnungstermin schon um mehrere Minuten überschritten ist und die Einlassordner keine Anstalten machen, den Weg auf das Gelände freizugeben, ist keinerlei Unruhe zu erkennen.

Der noch nicht beendete Soundcheck, der von draußen gut zu hören ist, lässt die Vorfreude steigen und beschleunigt schon mal den Puls. Von Dritte Wahl ist „Wo ist mein Preis“ zu hören, Broilers-Frontmann Sammy sorgt beim Einstellen seines Mikrofones mit den ersten Versen aus „Tausendmal berührt“ für nochmalige, kurzzeitige Irritation, aber wenig später ist es dann so weit. Der Weg zur Bühne ist frei. Auf dem Wege gibt es noch einen kleinen Abstecher nach Dixi-Land, der Eintritt da kostet in diesem Jahr 50 Cent. Vor 12 Monaten waren es noch 30 Cent, im wahrsten Sinne des Wortes Scheiß Inflation.

Das soll uns nicht weiter bekümmern, denn uns erwartet größeres. Heute endlich findet das ursprünglich im März geplante dritte Broilers-Konzert in Rostock statt. Es gab damals Probleme mit dem gebuchten Veranstaltungsort, der „OSPA-Arena“, die zu einer Absage und „Neuansetzung“ führten. So ärgerlich das auch war, auf diese Weise haben wir doch einen wirklich angemessenen musikalischen Abschied vom Sommer 2014 bekommen, oder? Erfreulicherweise blieb das ursprüngliche Line-up auch beim neuen Termin erhalten, dank Feine Sahne Fischfilet, Dritte Wahl und den Broilers stand somit einem Abend der Extraklasse nichts im Wege.

Feine Sahne Fischfilet

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Eine Veranstaltung mit Mecklenburg-Vorpommerns gefährlichster Band (mit VS-Zertifikat!) findet natürlich nicht einfach so statt. Es versteht sich von selbst, dass das Gesetz sein unnachgiebiges Auge auf das Geschehen wirft. Selbstredend geschieht das nicht so plump wie beim Fußball, obwohl, vielleicht aber auch weil bei derartigen Events in Rostock die Schnittmenge recht groß ist. Wer ist also besser geeignet als angeblich der Fußballszene kundige Beamte, um sich anstelle gepanzerter Hundertschaften einfach unters tanzfreudige Volk zu mischen. Eine geniale Taktik: Kann man besser Vertrauen bilden als mit vertrauten Gesichtern?

„Gesetzestreue lohnt sich nicht, mein Darling“, zu den Klängen der Verfassungsschutz-Hattrickhymne betreten Monchi und Freunde die Bühne – ein bisschen Platz ist vor dem bereits aufgebauten Equipment der nachfolgenden Bands ja noch geblieben – und legen im Bruchteil einer Sekunde mit dem ersten Ton den Schalter um: der IGA-Park befindet sich ab sofort im Partymodus.

Für mich ist es nach einem Auftritt in Ludwigslust (ich glaube, das war 2009) tatsächlich erst das zweite Mal, dass ich die Band live erlebe, wofür ich mich ausdrücklich schäme, und ich bin schwerstens begeistert von ihrer musikalischen Entwicklung. Ich hoffe, dass die Jungs nicht in ihrer Punkerehre gekränkt sind, aber die Songs, Arrangements und ihre Umsetzung live wie auf CD sind überaus professionell. Es macht wirklich Spaß zuzuhören.

Viel wichtiger als das ist jedoch die mit der Musik transportierte Botschaft: für eine offene, tolerante Gesellschaft, gegen Faschismus und Diskriminierung. Die Art und Weise, wie Monchi diese Haltung verkörpert, seine Bühnenpräsenz und besonders die klaren, direkten Aussagen zwischen den einzelnen Songs geben der Band und ihrer Musik eine sehr authentische Wirkung, so dass zu hoffen bleibt, dass bei aller Partylaune auch gut zugehört wurde.

Dies gilt besonders für die Aufforderung, sich im Alltag gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit gerade zu machen. Es gehört nicht viel Mut dazu, beim Konzert „Nazis raus!“ zu rufen (Monchi: „Gegen Nazis sind sie alle“). Viel wichtiger und zugleich schwieriger ist es, sich vor Ort, mit dem Nachbarn oder Kollegen auseinanderzusetzen, ganz zu schweigen davon, sich gegebenenfalls der direkten Konfrontation mit bekennenden Nazis zu stellen.

Auch gegen Homophobie und Sexismus bezieht die Band klar Stellung. Es verwundert daher schon, während des Feine-Sahne-Auftrittes (und auch später noch) eine Gummipuppe in die Höhe gehalten zu sehen. Der klaren Ansage an diese Deppen, doch lieber öfter mal zu Hause die Hand zu Hilfe zu nehmen, als sich dermaßen zu entblöden, kann man sich nur anschließen. Leider werden statt dieser Vollhonks Leute aus dem Publikum entfernt, weil sie Fackeln entzündet haben. War den Veranstaltern beziehungsweise der Security nicht bewusst, welche Band und Fans zu Gast sind?

Sehr schöne, zu Herzen gehende Grüße an die anwesenden Familienmitglieder runden eine beeindruckende Darbietung ab, auf bald hoffentlich.

Dritte Wahl

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Mit Dritte Wahl als Support in Rostock haben sich die Broilers wie schon die Toten Hosen vor einem Jahr für DEN Garanten bestmöglicher atmosphärischer Vorbereitung des eigenen Auftrittes entschieden. Und die „Wahle“ lassen sich auch diesmal nicht lumpen.

Die Band brennt bei ihrem Heimspiel ein musikalisches Feuerwerk ab, das kaum Wünsche offen lässt, mein persönlicher Favorit des Abends ist „Melodien für Melonen“. Natürlich ist eine Dreiviertelstunde Spielzeit viel zu knapp, so dass liebgewordene Rituale wie nach „Fliegen“ dem Zeitlimit zum Opfer fallen und die DW-Freunde auf den Jahresabschluss im MAU-Club vertröstet werden. Aber bis dahin ist es doch noch so lange.

Die Begeisterung im Publikum ist trotzdem riesig, es wird ausgelassen gesungen und getanzt, wie immer. Ich habe die Band ja nun auch schon öfter gesehen, dabei bin ich noch nie enttäuscht worden. Und so werde ich auch weiterhin jede Gelegenheit nutzen, eines ihrer Konzerte zu besuchen.

Broilers

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Pünktlich um 20:45 Uhr, die Bühne ist inzwischen von einem Vorhang verdeckt, das Licht geht aus und aus den Lautsprechern dröhnt Sham 69’s „If the kids are united“. Es folgt das „Preludio: Vanitas“ und mit dem fallenden Vorhang eröffnet ein furioses „Zurück zum Beton“ den Auftritt der Headliner des Abends. Das finale Open Air der „Live Noir“-Tour bestreiten die Düsseldorfer, als wäre es das letzte Konzert überhaupt – voller Energie und Spielfreude, von der Bühne strahlt eine unglaubliche Power aus, deren Echo aus dem Publikum zur Bühne zurückgesendet wird.

Die Songauswahl umfasst neue und ältere Stücke, die gut harmonieren und die Atmosphäre am Kochen halten. Stücke vom aktuellen Album wie „Ist da jemand?“, „Ich brenn“ oder „Die Letzten (an der Bar)“ bereichern das Liveset, auch wenn sie sich schon deutlich vom Frühwerk der Band unterscheiden. NATÜRLICH entwickelt sich eine Band in 20 Jahren auch stilistisch weiter, wichtig ist doch, dass die Songs ehrlich und glaubwürdig bleiben.

„Ich will hier nicht sein“, einschließlich der klaren Worte in Sammys Ansage stehen dafür, und ich freue mich darauf, in zehn Jahren beim Broilers-Konzert das dann als „älteres“ Stück zu hören – am besten noch mit dem Hinweis, dass auch das Thema des Songs dann der Vergangenheit angehört. Natürlich fehlen auch Broilers-Klassiker nicht, auch hier habe ich einen besonderen Favoriten und da bin ich nicht der einzige (Stichwort „Schnittmenge“): es ist „Paul der Hooligan“.

Die Zeit vergeht wie im Fluge und bald sind wir am Ende des zweiten Zugabenblockes. Für „Schenk mir eine Blume“ bekommt die Band Verstärkung. Es wird eng, richtig eng, man kann förmlich spüren, wie Bassistin Ines mit Klaustrophobie kämpft. Auf der anderen Bühnenseite wird buchstäblich gekocht – Monchi rührt in einem heißen Kessel Gulasch herum. Ein explosives Finale beschließt einen großartigen Abend, der nach Wiederholung schreit. Danke an drei außergewöhnliche Bands!

Ein Kommentar zu “Gegen Nazis sind sie alle

  1. Sehr schön!
    DW und FSF scheinen wie aufm OF abgeliefert zu haben. Mei war des schee.

    PS. Freiheit für alle IGA-Park-Verbotler

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