Union Berlin II – BFC Dynamo 0:1, 15. März 2015
Ein Derby – wie stolz das klingt. Und doch können die meisten Fußballinteressierten dieses Wort kaum mehr hören oder ertragen es nur unter großen Schmerzen. Die Bezeichnung „Derby“ wird nämlich im Fußball, besser gesagt: in der einschlägigen „Fachpresse“ überaus inflationär gebraucht. Mittlerweile reicht es beiderseits der Elbe schon aus, wenn beide Mannschaften aus demselben Bundesland kommen oder auf dem gleichen Breitengrad liegen. Während jedoch kein Mensch auf die Idee käme, das Spiel Bayern gegen HSV als Westderby zu hypen, scheuen sich die Vertreter der schreibenden und sendenden Zünfte nicht, in den oberen drei Ligen jedes Aufeinandertreffen zweier Mannschaften des NOFV zum „Ostderby“ hochzujubeln – was an Unsinnigkeit fast an den exzessiven Gebrauch der Metapher „Augenhöhe“ heranreicht. Aber darüber werde ich mich sicher mal bei anderer Gelegenheit auskotzen.
Als im DDR-Fußball Sozialisierter kann ich streng genommen zwei Spielpaarungen als Derby akzeptieren. Eine ist (natürlich) das Duell der Leipziger Giganten, 1. FC Lok und BSG Chemie, zu dem in der Vor-Brause-Zeit die Massen ins Zentralstadion strömten. Die andere gab es in der Hauptstadt, wo der BFC und Union gelegentlich aufeinander trafen. Und damit hört es dann auch schon auf. Den mutmaßlichen Aufschrei in Thüringen oder Sachsen-Anhalt überhöre ich mal ganz gepflegt, Derby geht für mich eben nur innerhalb der Stadtgrenzen, zudem lagen Erfurt/Jena oder Halle/Magdeburg auch noch in verschiedenen Bezirken.
Der Zufall, bzw. meine Urlaubsplanung hat es ermöglicht, dass am Tag vor meinem inzwischen schon traditionellen St.-Patrick’s-Day-Ausflug nach langer Zeit mal wieder das Berliner Derby auf der Tagesordnung stand. Union, wenn auch „nur“ die U23, empfing in der Regionalliga Nordost den Aufsteiger BFC Dynamo, einst zu DDR-Zeiten übermächtiger und offiziell wohl gelittener Stadtrivale in den wenigen gemeinsamen Oberliga-Spielzeiten.
Sportlich hat sich das Kräfteverhältnis in der Hauptstadt seit dem Ende der DDR nachdrücklich gewandelt, was man schon daran sieht, dass sich der BFC nach Jahren getrennter Ligazugehörigkeit mit der zweiten Mannschaft der Köpenicker begnügen muss und von Pflichtspielen gegen die Erste bestenfalls in feuchten Träumen fantasieren kann.
Was all die Jahre nicht nur überstanden hat, ist die gegenseitige „Zuneigung“ der beiden Fanlager, die liebevoll von Generation zu Generation weitergegeben und gepflegt wurde und wird. Es erstaunt daher, dass das Spiel entgegen der üblichen Praxis nicht zeitgleich mit dem Zweitligaspiel der Unioner in Darmstadt terminiert wurde. Somit hatten beide Szenen die Möglichkeit, in großer Besetzung zum Spiel mobil zu machen. Und natürlich übt ein Spiel wie dieses eine nahezu magische Anziehungskraft auf Freunde der gepflegten Fußballunterhaltung – nicht nur in der ersten und zweiten Halbzeit – aus dem ganzen Land aus. Dies dürfte auch ein Grund dafür sein, dass auf Unionseite Eintrittskarten nur an Vereinsmitglieder und Dauerkarteninhaber abgegeben wurden.
Mein Freund Thommy vom Union-Fanclub „Wildauer Kickers“ war so freundlich, mir eine Eintrittskarte zu besorgen, somit stand meinem ersten Derby nach über 25 Jahren nichts mehr im Wege. Mit Union verbindet mich deutlich mehr als mit dem BFC, und so gehört meine Sympathie klar den Gastgebern. Der Hass auf den BFC, den viel gepriesenen, zehnfachen Meister in Folge war in meiner Jugendzeit elementarer Bestandteil des Fanlebens und aus heutiger Sicht fast schon so etwas wie DDR-Folklore. Mittlerweile sehe ich das nicht mehr ganz so verbissen, auch wenn getreu der Devise „Love to hate them“ natürlich für ein gepflegtes „Scheiß Dynamo Ostberlin!“ immer Zeit ist. Ich werde also versuchen, möglichst objektiv zu berichten.
Erster Höhepunkt ist gleich die Anfahrt zum Stadion. Der Zuschauerandrang ist für ein Viertligaspiel beachtlich, es werden 8100 Zuschauer im Stadion sein. Rund um die Alte Försterei herrscht ein beträchtliches Chaos, da Zufahrtstraßen ziemlich willkürlich gesperrt oder einfach als Einbahnstraßen deklariert werden, so dass Thommy, mein Gastgeber, langsam aber sicher zu eskalieren droht („… So schlimm war das nicht mal gegen Hansa …“), wenn wir immer wieder beim Versuch, in Stadionnähe zu gelangen, abgewiesen werden. Nach einer ausgiebigen Sightseeing Tour durch Köpenick finden wir schließlich doch noch ein Stück freie Fläche und können das Auto ohne Abschleppgefahr stehen lassen.
Am Ende sind wir dann doch rechtzeitig vor dem Anstoß im Stadion, die Uhr zeigt 13:12 an. (Das stimmt wirklich, ihr könnt Thommy und Jen, die uns begleitet, fragen!) Die Waldseite ist gut gefüllt, die Gegengerade, wo wir uns auf den angestammten Plätzen der Wildauer Kickers „niederlassen“, ebenfalls. Schon vor dem Spiel werden verbale Nettigkeiten mit den ungeliebten Gästen ausgetauscht, es knistert gewaltig.
Dass die gegenseitige Zuneigung beider Vereine nicht nur eine Fanangelegenheit ist, wird sofort deutlich, als Stadionsprecher Christian Arbeit das Mikrofon zur Begrüßung der Zuschauer ergreift:
„Unioner!“ (Jubel)
„Und … na ja … ihr da!“
Kann man so bringen, ist aber schon gewöhnungsbedürftig. Immerhin behält das Union-Publikum die an der Alten Försterei übliche Reaktion auf die Namen der Gästespieler bei („Na und?!“) und widersteht der Versuchung, den Dynamos eine spezielle Behandlung zu widmen. Das Rahmenprogramm wird jedenfalls kurz und zügig abgewickelt, ohne großen Schnickschnack, schön für den Fußball.
Für mich gibt es ein Wiedersehen mit Christian Stuff, der in der Winterpause aus Rostock zurückgekehrt ist. Ich drücke ihm die Daumen, dass er in seinem vertrauten Umfeld seine alte Stärke wiederfindet, was ihm bei Hansa leider nicht vergönnt war.
Spielerisch geht die erste Halbzeit an Union, die Gastgeber sind deutlich aktiver und auch viel bissiger, während der BFC sehr abwartend agiert. Zählbares springt dabei jedoch nicht heraus, zwei vielversprechende Angriffe über die rechte Seite versanden, da der Spieler den eigenen Abschluss sucht und die gut postierten Mitspieler ignoriert.
Die zweite Halbzeit verläuft etwas ausgeglichener, viele Torchancen sind es weiterhin nicht, aber der BFC nutzt etwa 20 Minuten vor Schluss einen Abwehrfehler der Gastgeber zum Führungstreffer, den die Gäste dann auch über die Zeit bringen. Erwähnenswert noch die gelb/rote Karte für Björn Brunnemann, ein Paradebeispiel für Vereinswechsel, die man einfach nicht macht. In seiner Vita stehen unter anderen Hansa Rostock, FC St. Pauli, 1. FC Union Berlin, BFC Dynamo, Rot-Weiß Erfurt. Wieso fehlt da eigentlich Carl Zeiss Jena?
Überaus dürftig gestaltet sich der Gästeauftritt auf den Rängen. Der Gästeblock ist sehr gut gefüllt, passt sich aber der Darbietung seine Mannschaft auf dem Rasen an. So leise wie in der ersten Halbzeit muss man mit so vielen Leuten erst mal sein, das schafft auch nicht jeder. Wenn man sich vorstellt, wie lange man in HSH auf ein solches Spiel warten musste, ist das schon enttäuschend.
Mit der Führung im Rücken kommt dann aber doch etwas mehr Leben in den Gästeblock (sing when you’re winning?), richtig gut wird die Beteiligung aber erst, als um die 80. Minute von Unionseite das Heft des Handelns in die Hand genommen wird.
Auf der Haupttribüne posen ein paar versprengte Weinrote mit einer BFC-Fahne, etwa 30 bis 40 Unionfans lassen sich nicht lange bitten und drängen in deren Richtung. Wie schon vor etwas mehr als 12 Monaten in Stockholm springen die Köpenicker bereitwillig über das hingehaltene Stöckchen und lösen so wahrscheinlich eine neue Runde im ewigen medialen Kreis des Wehklagens über „sogenannte Fans“ und ihre Schandtaten aus.
Ihre Kontrahenten im Gästeblock haben jetzt den stärksten Teil ihres Auftrittes in der Alten Försterei. Keiner verlässt den Block, es wird nichts geworfen und zum Teil sogar weiter supportet. Das liegt sicher auch an der Polizeikette vor dem Block, die prophylaktisch aufgezogen ist, aber es verdient schon Respekt, dass die BFCer hier relativ cool bleiben. Etwas zu cool blieb in dieser Phase der Stadionsprecher, Informationen oder gar Versuche, deeskalierend auf die Akteure einzuwirken, gab es nicht.
Anerkennenswert ist, wie auf Unionseite am Ende die eigene Mannschaft noch einmal angefeuert wird, das ist in jedem Fall beeindruckender als der immer mal wieder angestimmte 8:0 Gesang – ein ziemlich alter Hut und bei so einem Spielstand und Spielverlauf auch ein wenig albern.
Unterm Strich bleibt ein Erfolg des BFC, der ein aus Unionsicht überaus trauriges Wochenende nochmal so richtig besch…eiden ausklingen lässt. Nach dem Schlusspfiff verlassen wir dann doch zügig den Ort des Geschehens, denn eins hat sich auch im 21. Jahrhundert nicht geändert: Dem BFC will man nicht auch noch beim Feiern zusehen.
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