Schottland 2015 – Tag 6, 21. März
Celtic F.C. – Dundee United 3:0, Celtic Park
Endlich ist Wochenende, endlich gibt es Fußball! Mit dem SPL-Spiel Celtic gegen Dundee United im Paradise steht heute der zweite nominelle Höhepunkt unserer alljährlichen Reise auf der Tagesordnung. Immerhin gäbe es unsere Touren ohne Fußball in dieser Form nicht.
Nun ist der Fußball in Schottland selbst in der höchsten Spielklasse nicht gerade für technische Finesse oder spielerische Eleganz berühmt, sonderlich spannend geht es aufgrund der Dominanz des Celtic F.C. auch nicht gerade zu. Zu allem Überfluss ist das Spiel gegen Dundee auch noch das vierte Aufeinandertreffen beider Mannschaften innerhalb von zwei Wochen: zweimal im Pokal (1:1 in Dundee und 4:0 in Glasgow), das Finale des Scottish League Cup gewann Celtic im eigenen Stadion mit 2:0, und nun soll es noch einmal um Punkte gehen. In dieser Häufigkeit hat das fast schon einen Hauch von DDR-Meisterschaft im Eishockey.
Nun ja, Fußball ist bekanntlich kein Wunschkonzert, also nehmen wir die Spiele so, wie sie kommen. Genau genommen, nimmt ja auch der sportliche Aspekt bei unseren Touren einen vergleichsweise geringen Stellenwert ein. Für uns zählen in erster Linie Stadionatmosphäre und Fankultur. Dass auch in diesem Punkt leider nicht mehr alles Gold ist, was zu glänzen vorgibt, ist uns durchaus bewusst, aber zum Glück besteht das Erlebnis Fußball in Glasgow nicht nur aus den knapp zwei Stunden Stadionaufenthalt.
Der Morgen beginnt für mich schon vor dem Frühstück mit einem kurzen Besuch im Celtic Store, wo ich mir ein aktuelles Trikot hole und ein paar Bestellungen aus der Heimat erledige. Im Store sind die Verkäufer die einzigen englischen Muttersprachler, ansonsten wird der Laden von Fußballtouristen wie mir frequentiert. Da ich mich ja schon im Vorfeld umgesehen hatte, bin ich schnell mit meiner Liste durch und erscheine pünktlich zum Frühstückstreff.
Wir gehen heute mal nicht in unsere Stammbäckerei, sondern lassen uns gegenüber von McSorley’s Bar im „Crystal Palace“ nieder. Das Angebot in dem Pub ist bedeutend umfangreicher, ich gönne mir „Egg royale“ und dazu „American style pancakes“. Ich frage mich, wieso dieses Etablissement bisher völlig an mir vorbeigegangen ist, beziehungsweise ich an ihm. Wahrscheinlich liegt es einfach zu dicht am Hostel, aufgrund meiner Weitsichtigkeit habe ich es wohl übersehen. Für die letzten beiden Morgenmahlzeiten am Sonntag und Montag habe ich auf jeden Fall jetzt schon mal ein Ziel.
Dann gehen wir langsam los in Richtung Stadion. Von der Union Street aus nähert sich ein Demonstrationszug und biegt vor uns in die Argyle Street ein. Mindestens 1000 Menschen – eine bunte, friedliche Ansammlung verschiedener gesellschaftlicher, kultureller und politischer Gruppierungen – demonstrieren unter der Losung „Stand up to racism and fascism!“ gegen Islamophobie und Fremdenfeindlichkeit und für Vielfalt: NOPEGIDA in Glasgow.
Unser Weg führt uns weiter zu den üblichen Stationen Tolbooth Bar und Saracen Head. Hier stellt sich inzwischen die Frage, ob wir nun zu Fuß weiter gehen wollen oder vielleicht doch auf Bus oder Taxi umsteigen wollen? Wir überlegen lange hin und her, aber weder hält ein Bus unaufgefordert vor der Tür, noch fällt ein Taxifahrer vom Himmel. Nur die Uhrzeiger wandern unaufhörlich weiter Richtung Anstoßzeit, also fügen wir uns in unser Schicksal und gehen weiter, solange uns die Füße tragen.
Wir erreichen den Celtic Park eine Dreiviertelstunde vor dem Anpfiff und schauen uns erst mal den neu gestalteten Stadionvorplatz an. Es ist eine großzügig bemessene Freifläche mit dem Namen „The Celtic Way“ entstanden, die mit dem vor der Haupttribüne befindlichen Verwaltungs- und Repräsentationstrakt einen imposanten Abschluss findet. Um das Stadion herum kann man sich frei bewegen, es sind kaum Anhänger des Gastvereins in der Menschenmenge auszumachen.
Der Spielbeginn rückt immer näher, also begeben wir uns zu unseren Plätzen. Der Einlass erfolgt gewohnt zügig: Karte scannen und nach dem grünen Signal durch das Drehkreuz zwängen. Entweder werden die immer enger, oder ich werde immer … äh, nein, das muss an den Drehkreuzen liegen. Unsere Plätze auf dem „Jock Stein Stand“ befinden sich hinter dem Tor, fünfte Reihe – nur wenig über Rasenhöhe. Um noch dichter am Geschehen zu sein, müsste ich bei Celtic im Tor stehen.
Es sitzt sich nicht besonders gut, denn die Sitzschalen sind sehr eng. Ich habe Glück, dass rechts von mir ein vielleicht 6 Jahre alter Junge sitzt, besser gesagt: er steht fast die ganze Zeit, so kann ich einen Teil seines Platzes mitbenutzen. Dass der Knabe steht, hat einen Grund, denn er schaut auch immer mit besorgter Miene hinter sich. Dort sitzen Thommy und Jen, die sich in ihrer Rolle als Kinderschreck gefallen. Das Kind wirkt später beim Schlusspfiff sichtlich entspannt und froh, dass es endlich vorbei ist.
Inzwischen habe ich ja schon ein bisschen Stadionerfahrung in Schottland und so bin ich weder überrascht noch enttäuscht über die „Stimmung“ auf den Rängen. Das Heimpublikum gibt sich weitestgehend zurückhaltend, die rigorose Law-and-Order-Politik beim Fußball auf der Insel ist überall spürbar. Lediglich aus der Ecke der Green Brigade ertönen durchgängig Gesänge, die ab und zu mal das Stadion erfassen (natürlich im Sitzen!): „Here we go again“ aus der Celtic Symphony kommt recht gut und vermittelt eine kleine Ahnung, wie es sein könnte. Allerdings nimmt die Textsicherheit mit der Entfernung vom Supportblock rapide ab. Ein bisschen Gänsehaut gibt es dann sogar in der zweiten Halbzeit, als „The Huddle“ kurz das ganze Stadion erfasst. „We’re doin‘ the huddle when the zombies die“ geht ein Gruß in Richtung Ibrox.
Der Spielverlauf taugt auch nicht gerade als Stimmungskatalysator. Zu überlegen sind die Gastgeber, Dundee ist einfach kein gleichwertiger Gegner. Mit einer deutlichen 3:0-Führung (die Tore fallen zu allem Überfluss auch noch auf der anderen Seite des Spielfeldes) geht es in die Pause, nach der Halbzeit verwaltet Celtic das Ergebnis, während Dundee wohl nur noch wartet, dass es endlich vorbei ist. Irgendwie ist im vierten Spiel in Folge die Luft raus – auf dem Platz wie auf den Rängen.
Wir sind nach dem Schlusspfiff also bestens ausgeruht, eine kurze Stippvisite noch im Celtic Superstore, dann begeben wir uns stadteinwärts. Während wir bei einem Imbiss eine Portion Fish’n’Chips vertilgen, fährt der Mannschaftsbus von Dundee vorbei. Die haben aber keinen Hunger. Wir landen dann (natürlich) in der Hoops Bar, wo wie schon am Dienstag An Spiorad aufspielt. Das Programm ist das gleiche wie am St. Patrick’s Day, zwischen den Songs stimmt das Publikum in der gut besuchten Bar immer wieder die Fußballgesänge an, die wir gern im Stadion gehört hätten. Wir haben Riesenspaß, Guinness und Cider fließen in Strömen, jetzt fühlen wir uns endlich wie beim Fußball.
Gegen halb neun bläst Thommy zum Aufbruch. Was kann das wohl bedeuten? Richtig – er hat herausgefunden, wo heute abend The Wakes spielen (sollen). Um ehrlich zu sein, wussten wir das schon am Freitag, aber so passt es dramaturgisch besser. Wir gehen also los, die Bar befindet sich in der St. Vincent Street, das ist nicht weit weg vom George Square. Nach der Devise „Getrennt marschieren, vereint zuschlagen“ begeben wir uns teils per Taxi, teils zu Fuß zur Failté Bar. Die ist fast bis zum Bersten gefüllt, aber nach und nach kommen wir alle rein.
Und tatsächlich wird drinnen gerade die Technik aufgebaut, ich erkenne die Musiker wieder. Es sind wirklich The Wakes, wobei ich bei Sänger Paul zweimal hinschauen muss, denn er trägt jetzt einen Bart in der Tradition der kubanischen Revolutionäre um Fidel und Che. Vielleicht ist das ja eine Vorbereitung auf das Festival „Bearded Theory“, bei dem die Band zu Pfingsten auftritt. Es sieht schon merkwürdig aus, aber es ist ja sein Gesicht.
Zum Glück stört ihn das Ungetüm nicht beim Singen und wir erleben wieder einen energiegeladenen Auftritt mit traditionellen irischen Songs und eigenen Stücken, auch „Celtic Symphony“ hören wir nun in voller Länge. Die Band offenbart sogar noch eine neue Seite, nämlich die einer „Partyband“. Bei Liedern wie „Beautiful Sunday“ oder „Proud Mary“ droht die Stimmung fast überzukochen, es wird gesungen und getanzt. Zwei – na ja – nicht mehr ganz taufrische Damen verlieren bei ihren Pirouetten das Gleichgewicht und gehen vor unseren Füßen zu Boden. Es ist gar nicht so einfach, ihnen hoch zu helfen, nicht, weil sie jetzt besonders schwer wären, aber es gefällt ihnen im Liegen einfach zu gut. Teufel Alkohol!
Wir werden natürlich wieder als Deutsche identifiziert und kommen mit dem Zuprosten und Anstoßen gar nicht mehr hinterher. Einer sieht den Rostocker Greif auf meiner Jacke und fragt: „Hansa?“ Ich nicke, seine Stirn legt sich in Falten und er lässt seine Fäuste aufeinander prallen: „Always fighting.“ Mein friedfertiges Wesen überzeugt ihn jedoch sofort: „Not me.“ Dann trinken wir weiter.
Nach dem Auftritt bekomme ich ein Promifoto mit Paul, leider komme ich nicht dazu, ihn zu seinem merkwürdigen Bart zu befragen, da unser Hamburger Burgfroilein ihn in ein Gespräch verwickelt. Thema: Was findet ihr eigentlich alle am FC St. Pauli? Na, da will ich mal nicht stören.
Die Sperrstunde naht, wir verlassen die Bar, kommen dabei noch an einem Tisch vorbei, an dem drei Wismut-Fans sitzen. Schade, dass wir sie erst jetzt bemerken, wir hätten bestimmt noch LAUTER schöne Geschichten zu erzählen gehabt. Ich weiß leider nicht, ob sie sauer waren, dass The Wakes den Holzmichl nicht gespielt haben.
Irgendwie ist es am Ende vor allem dank der Spielnachbereitung doch ein schöner Fußballtag mit echter Atmosphäre geworden. Morgen, an unserem letzten Tag in Glasgow, steht uns noch mal ein ganz besonderes musikalisches Highlight bevor.