Hanseator

Musik, Fußball und manchmal auch ein bisschen Hansa

Wish I Was There

Ein Kommentar

Schottland 2015 – Tag 7, 22. März

Es ist Sonntag, letzter Tag der Woche und unser letzter Tag in Glasgow. Die Zeit ist wieder einmal wie im Fluge vergangen, wir sind wieder um zahlreiche Eindrücke und Erlebnisse reicher. Für heute gibt es kein vorgeplantes Programm, das ermöglicht jedem Reisenden unserer Gruppe, sich auf seine Weise von unserem Gastland und dieser großartigen Stadt zu verabschieden.

Möglichkeiten dafür gibt es genug, ein paar von uns besuchen, wie bei der Stadtrundfahrt beschlossen, am Vormittag Glasgow Cathedral und Necropolis, schauen in der Tennent Brauerei vorbei und wollen danach noch zum Saracen Head, wo ab 16 Uhr Livemusik angekündigt ist. Ich überlege noch kurz, zum Viertelfinale der Championsleague (Frauen) zwischen Glasgow City und Paris St. Germain zu fahren, als ich jedoch am Bahnhof Queen Street Station eintreffe, fährt gerade der letzte Zug, mit dem ich noch rechtzeitig nach Airdrie gelangt wäre, ab.

Ich werde daher im Saracen Head wieder zur Gruppe stoßen. Bis dahin streife ich ein bisschen durch die Straßen der Innenstadt, die gegenüber der Hektik an den Wochentagen einen wohltuenden sonntäglichen Frieden ausstrahlen. In der Buchanan Street gibt es ein Wiedersehen mit der Pipe&Drums-Band „Clanadonia“, die ich vor zwei Jahren schon einmal an gleicher Stelle erlebt hatte. Die Jungs sind richtige Berühmtheiten, das belegen Auftritte bei den Commonwealth Games 2014 oder zuletzt im Hampden Park, wo sie vor dem EM-Qualifikationsspiel Schottland gegen Nordirland „Flower of Scotland“ interpretieren durften. Und trotzdem lassen sie es sich nicht nehmen, weiterhin einfach zum Spaß und zur Freude der Passanten in Fußgängerzonen aufzutreten.

Vom nahe gelegenen George Square aus gehe ich zum Ufer des Clyde und dann ein Stück am Fluss entlang in östlicher Richtung. Ich komme an der ehemaligen Clutha Bar vorbei, die Ende 2013 Schauplatz eines tragischen Hubschrauberunglücks war, bei dem zehn Menschen ums Leben gekommen sind. Die Bar soll im Mai wieder geöffnet werden, davon ist von außen aber nichts zu erkennen.

Weiter geht es in Richtung Gallowgate, am heutigen Sonntag findet der berühmte „Barras“ Wochenendmarkt statt. Als ich gegen 15 Uhr ankomme, sind viele Händler schon beim Einpacken. Ich drehe noch eine Runde auf dem Gelände, dann gehe ich über die Straße zu „Tim Land“, kaufe mir dort eine CD „Irish Connections“ mit Songs unter anderem von Charlie and the Bhoys, Shebeen und Gary Óg und schaue zusammen mit dem Besitzer noch die Schlussphase des Spiels Liverpool v. Manchester an. Wayne Rooney verschießt in der Nachspielzeit einen Elfmeter, da ist das Spiel mit 1:2 aber schon zugunsten seiner Mannschaft entschieden.

Nebenan im Saracen Head sitzen schon Conny und Ajax, etwas später treffen auch die anderen ein. Der angekündigte Live-Musiker ist nicht ganz so pünktlich, auch musikalisch ist es nicht ganz das, was wir erwarten. Begleitet von der E-Gitarre, singt er bekannte Klassiker des Rock’n’Roll, Soul und Blues – ziemlich ungewohnte Klänge für uns nach dieser Woche, und außerdem extrem laut. Einem alten Mann, der nicht mal zwei Meter vom Künstler entfernt und direkt vor einem der Lautsprecher seine Drinks zu sich nimmt, macht das nichts aus. Im Gegenteil, bei Stücken aus den 50er Jahren wie „Peggy Sue“ greift er sich mit leuchtenden Augen seinen Rollator und lässt diesen im Rhythmus der Songs kreisen, wie er es damals wahrscheinlich mit seinen Mädels gemacht hat.

Per Whatsapp meldet sich Thommy aus der Tolbooth Bar. Dort spielen gerade Paul und Chris von … Na? Richtig: The Wakes. Wir verabschieden uns von den Freunden im „Sarry Heid“ und folgen Thommy. Wir kommen gerade im richtigen Moment an, als eines meiner Lieblingsstücke erklingt – „Lonesome Boatman“. Das Akustikprogramm der beiden ist im Vergleich zum Vorabend in der Failté Bar deutlich traditioneller orientiert, jede Menge irische und schottische Folk-Standards. Auf Thommys Wunsch spielen die beiden das schöne Stück „8:30 a.m. Glasgow Cross“ vom aktuellen eigenen Album. Wo passt das besser als an eben jener Kreuzung, nur wenige Meter entfernt vor der Tür?

Als Paul und Chris ihr Programm beendet haben, ist der musikalische Teil unserer Reise aber noch nicht abgeschlossen. Auf uns wartet ein ganz besonderes Finale. Dazu müssen wir noch ein letztes Mal die Bar wechseln, unser Ziel heißt „Brazen Head“, ein traditionsreicher Celtic & Irish Pub, wo Gary Óg unsere Abschiedsvorstellung begleiten wird. Allein die Dekoration der Wände und Decken ist eine Augenweide für Freunde fußballbezogener Bars und Grund für einen Besuch.

Das Brazen Head ist nur spärlich besucht, es ist eben Sonntagabend. Das hindert Gary und seine Begleitmusiker aber nicht daran, einen überaus intensiven, stimmungsvollen Auftritt abzuliefern. Die Spielfreude der Künstler wird schon beim Soundcheck deutlich, die Instrumente werden in einer Art Instrumental-Karaoke parallel zur Hintergrundmusik von den Eagles „warmgespielt“. Was die Fingerfertigkeit angeht, müssen sich Gary und seine Kollegen nicht vor den Originalen verstecken.

Aber auch ohne Hintergrundbeschallung verstehen sich die Akteure auf die virtuose Interpretation großer Songs und die atmosphärische Umsetzung. Unbestrittener Höhepunkt des Abends ist in diesem Zusammenhang Pink Floyds „Wish You Were Here“ – ein absolut magischer Moment. Am besten charakterisieren lässt dieser sich wohl mit den Worten von Ajax, der nach dem Konzert meinte: „Es gibt Leute, da hat man Angst, sie könnten Wish You Were Here spielen. Und es gibt Leute, da wünscht man es sich so sehr.“

Der Auftritt steht ansonsten im Zeichen Irlands und irischer Musik. Wir hören noch einmal einige der Songs dieser Woche in der besonderen, meist leisen, aber umso intensiveren Interpretation Gary Ógs, wie „Only Our Rivers Run Free“, „S.A.M. Song“ oder „Joe McDonnell“. In unsere aufkommende Abschiedsstimmung mischen sich unwillkürlich Gedanken an nächstes Jahr. 2016 jährt sich zum einhundertsten Mal der Osteraufstand, ein guter Grund und Anlass, nach Irland zu reisen, die Planungen können beginnen.

Eine großartige Woche in einem wunderbaren Land ist zu Ende, morgen mittag werden wir nach einem letzten Frühstück (natürlich Egg Royale und Pancakes im Crystal Palace) die Heimreise antreten. Danke an eine tolle Reisegruppe für sieben erlebnisreiche Tage und ganz besonders an Thommy für die wie immer exzellente Planung und Vorbereitung. Von mir aus könnten wir sofort wieder los.

T.A.L.!

Ein Kommentar zu “Wish I Was There

  1. Von mir aus könnt Ihr auch gleich wieder los. Dann gibt es mehr Vergnügliches zu lesen für mich.
    Weiter so, Brüderchen.

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