Nach zuvor dreimal Glasgow und einer kleinen Auszeit im letzten Jahr zog es uns zum St. Patrick‘s Day 2017 mit Belfast direkt auf die grüne Insel und in eine Gegend, in der der irische Nationalheilige einige Jahre gelebt haben soll. Auf dem Programm standen neben dem Feiertag mit Parade und Pub-Hopping noch Sightseeing in Belfast, eine Tagestour auf der Causeway Coastal Route und das obligatorische Fußballspiel. Mit 13 Personen war dieses Mal eine vergleichsweise „kleine“ Gruppe am Start, die Planung und Organisation der fünftägigen Tour (16. bis 21. März) lag in den bewährten Händen meines Freundes Thommy.
Belfast 2017, Tag 1 – Anreise
Für die bereits am Vorabend angereiste Fraktion MeckPomm erklingt um 5 Uhr morgens das Startsignal. Inclusive der „Quartiereltern“ müssen sieben Personen durch Bad und Küche geschleust werden, um dann pünktlich 7:40 Uhr zur Abfahrt des persönlichen Flughafenshuttles (Danke an unseren „Chauffeur“ Daniel!) vor der Tür zu stehen. Die Stimmung ist prächtig, alle sind bester Laune, auch wenn das nicht jeder so zeigen kann. Natürlich braucht kaum jemand die kalkulierten 15 Minuten im Nassrevier, dafür ist etwas mehr Zeit für das von den Mädchen mit liebevoller Hand zubereitete Frühstück.
Der Start unserer Ryanair-Maschine ist für 10:10 Uhr vorgesehen, mit der frühzeitigen Ankunft beugen wir etwaigen Nachwirkungen des am Vortag beendeten Streiks des Bodenpersonals in Form langer Warteschlangen beim Sicherheitscheck vor. Die Menschentraube vor Terminal D ist in der Tat ganz beachtlich, aber hin und wieder werden größere Gruppen zum benachbarten Terminal C geführt – so auch wir. Dort geht es dann relativ zügig voran, nur „unser“ Aufsichtshabender beim Auspacken der Taschen zieht ein Gesicht, als wäre er noch viel früher als wir aus dem Bett geschmissen worden. Zu beanstanden gibt es bei uns aber nichts. Nun sind wir doch ein bisschen früh da, aber wozu gibt es den Kilkenny Pub, unser Tor ins Paradies? Eben.
Wir durchschreiten besagtes Tor und heben pünktlich vom Berliner Boden ab, ebenso pünktlich landen wir knapp zwei Stunden später am Zielort, nach Passkontrolle und Gepäckempfang bringen uns mehrere Taxis nach Belfast. Die Fahrt bei trübem Wetter dauert etwa eine Dreiviertelstunde. Die Optik in Umgebung und Randgebieten der nordirischen Hauptstadt ist jetzt nicht unbedingt so, dass ich mich auf den ersten Blick verliebe, es fällt aber auf, dass die Straßen sehr sauber wirken, auch in Industriegegenden.
Trotz verfrühter Ankunft in unserem Hotel „Crescent Town House“ können wir schon unsere Zimmer beziehen, eine Viertelstunde später sitzen wir auf der gegenüber liegenden Straßenseite im „Empire“ und lassen in der Bar im Keller gut temperierte Flüssigkeiten unsere Kehlköpfe benetzen. Das Gebäude war früher eine Kirche, im Obergeschoss befindet sich jetzt ein Konzertsaal, die „Music Bar“, in der so illustre Bands auftreten wie „Mack Fleetwood“, „Kings of Lyon“ oder „Rolling Clones“, aber immerhin auch Originale wie E Street Saxophonist Jake Clemons.
Während wir es uns bei Guinness und Burger gut gehen lassen, läuft auf mehreren Bildschirmen eine Übertragung vom Pferderennen aus Cheltenham. Um sich das stundenlang anzuschauen, muss man entweder komplett schmerzfrei sein oder aber Pferde wohl wirklich mögen. Oder es ist eine Mischung aus Irritation und Spaß an den unfassbaren Namen, die die Tiere von ihren Besitzern bekommen, beispielsweise „Lets dance“ oder „Doomsday Book“. Unser Favorit allerdings ist „Unowhatimeanharry“, dass es in seinem Rennen als Dritter ins Ziel kommt, ist wahrscheinlich die subtile Art des edlen Tieres, sich für seinen Namen zu bedanken, ‘ye know what I mean?
Der weitere Nachmittag gehört einem kleinen Erkundungsgang Richtung Stadtzentrum, mit Matze und Sohn Lukas (der jetzt auch endlich Bier bekommt, ohne ständig nach dem Ausweis gefragt zu werden) drehe ich eine längere Runde Richtung Innenstadt, unser Weg führt uns vorbei an Belfast City Hall und St. George‘s Market und am Westufer des River Lagan entlang, auf dessen Wellen gerade der Deutschlandachter das Brandenburger Tor durchquert (Insider). Mit „Ronnie Drew‘s“ und „Five Points“ notieren wir uns schon mal lohnenswerte Besuchsziele für die nächsten Tage, natürlich nicht, ohne vor Ort stichprobenartig die Qualität des Getränkeangebots zu prüfen.
Den Abend beschließt ein wenig Live-Musik im „Empire“ und ein ebenso üppiges wie preiswertes Abendessen vom asiatischen Buffet im „China China“, bevor uns Morpheus sanft träumend in den St. Patrick‘s Day hinübergleiten lassen.
Belfast 2017, Tag 2 – Feiertag
Nach erholsamer Nachtruhe dank Einzelzimmer (das spontan-versoffene Geburtstagsständchen auf der Straße unter meinem Fenster mitten in der Nacht lasse ich als ortsübliche Folklore durchgehen) bin ich vergleichsweise früh auf den Beinen, streng genommen viel zu früh, denn der Abmarsch zum St.-Patrick‘s-Umzug ist auf 11 Uhr angesetzt. Halb so wild, dann gehe ich erst mal frühstücken. Die Auswahl rund ums Hotel ist groß, ich lasse mich in einem kleinen Restaurant namens „Ribs‘N‘Bibs“ nieder und gönne mir ein „U.S.A. Breakfast“ – Pancakes, Sausage & Bacon mit Toast, dazu Kaffee und Orangensaft.
Ich bin ein bisschen in Sorge, ob ich nach dem Frühstück wieder von meinem Platz aufstehen kann, ohne zwischen Bank und Tisch herausgeschnitten werden zu müssen, die Plätze sind wirklich sehr eng bemessen. Zum Ausgleich dafür lernt man aber an der senkrechten Rückenlehne das aufrechte Sitzen mit einem rechten Winkel zwischen Wirbelsäule und Beinen. Als gerade niemand guckt, schlängele ich mich mit meiner sprichwörtlichen Gelenkigkeit wie eine Boa aus dem Sitz heraus und starte nach dem Bezahlen einen kleinen Rundgang durch das Viertel.
Im nahe gelegenen „Spar“ (geöffnet rund um die Uhr, montags bis sonntags) besorge ich gleich die obligatorischen Ansichtskarten. Internationale Briefmarken gibt es da leider nicht, ich soll es mal bei der Post versuchen, gleich gegenüber von der Queen‘s University, nur zwei, drei Straßen weiter. Vorher schaue ich kurz bei Maggie May‘s rein, einem weiteren Bistro, das uns der Taxifahrer gestern ausdrücklich empfohlen hat, wo schon weitere Mitreisende Platz genommen haben.
Während ich das bemerke, habe ich auch schon eine Speisekarte in der Hand und werde zu einem Tisch geleitet. Ähm … ich will doch nur … na gut, ein Omelett, Kaffee und Orangensaft, bitte. Bin ich froh, dass die Speisen mit dem Low-Carb-Gütesiegel versehen sind, dann ziehen wir eben das zweite Frühstück vor. Der Sitz ist ähnlich eng wie bei R‘N‘B, da haben wir wohl die nächste lokale Besonderheit entdeckt: Frühstück im Auenland.
Im Anschluss gehe ich auf die Suche nach der Post, die ich tatsächlich nach mehreren Umwegen finde, leider ist die Filiale geschlossen. Immerhin komme ich bei meiner Suche an einigen Briefkästen vorbei, so dass ich die geschriebenen Karten nicht wieder nach Hause mitnehmen und selbst zustellen muss wie nach meinem Liverpool-Trip Ende Januar.
Pünktlich 11 Uhr brechen wir am Hotel Richtung Stadtzentrum auf. Unser erstes Tagesziel ist das Rathaus, von wo aus der Festumzug starten wird. Vor uns liegt ein wettertechnisch besch… äh, interessanter Tag. Die Lufttemperatur liegt bei etwa 8 °C, angereichert mit mal schwächeren, mal stärkeren Regenschauern und gewürzt mit wechselhaftem Wind. Uns fällt auf, dass die Einheimischen, insbesondere jüngeren Alters, in dieser Hinsicht überaus schmerzfrei veranlagt sind. Leute mit nichts als komplett durchnässten T-Shirts auf der Haut und am besten noch in Shorts, bei denen die Gänsehaut schon Gänsehaut bekommt, sind keineswegs ein seltener Anblick. Na ja, nur die Harten … wisst ihr ja selbst.
Wir treffen kurz vor 12 Uhr an der City Hall ein, die Teilnehmer der Parade nehmen noch Aufstellung, im Publikum werden Fähnchen und Werbeartikel in der alles beherrschenden Farbe des Tages verteilt, die Stimmung ist erwartungsfroh. Stimmungsfördernde Substanzen sind unter den Anwesenden nicht zu entdecken, es gibt keine Ausnahmen vom Alkoholverbot in der Öffentlichkeit, da versteht der Staat auch am Feiertag keinen Spaß.
Um Dehydrierung zu vermeiden, dreht Paddys Kumpel Petrus oben im Himmel derweil die Schleusen auf. Die eben noch sanften Tröpfchenwolken mutieren innerhalb weniger Minuten zu einem formidablen Landregen biblischen Ausmaßes. Natürlich wird das den Umzug nicht verhindern, wir sind hier schließlich nicht beim „Karneval“, allerdings verschwinden so zahlreiche fantasievolle Kostüme unter Regencapes.
Mit etwas Verzögerung erscheint ein überdimensionaler St. Patrick und begrüßt die Umstehenden. Nachdem auch die Stellvertreterin des Bürgermeisters eingetroffen ist und Paddys Segen entgegengenommen hat, setzt sich der Zug in Bewegung. Der Regen ist jetzt stark genug. Unsere Sicht in der fünften/sechsten Reihe ist etwas eingeschränkt, aber wir können uns ja zu Hause unsere Über-Kopf-Fotos anschauen. Was wir jetzt noch nicht wissen, wir werden nur wenig später noch die Möglichkeit haben, die komplette Parade aus nächster Nähe und ohne Menschengedränge zu sehen.
Der Umzug ist insgesamt kürzer als ich es erwartet hätte, die Akteure machen das aber mit Begeisterung und (unter den Umständen) farbenfrohen Darbietungen mehr als wett. Es gibt drei Themenwagen (Respekt an die Lenker und Schieber, deren Muskeln Schwerstarbeit leisten), zwischen denen Tanzgruppen und Musiker auftreten, wofür der Zug immer wieder angehalten wird.
Mein Lieblingswagen ist gleich der erste: Eine überlebensgroße keltische Schönheit spielt auf ihrer Harfe, unter einer Zeltplane vor ihr spielen Musiker mit traditionellen Instrumenten zum Tanz für zwei Gruppen junger Mädchen, die vor dem Wagen laufend ihr Können zeigen. Das ist, neben einer Bags & Pipes Marching Band, auch schon der am meisten folkloristische Abschnitt der Parade.
Ein weiterer Wagen zeigt ein Motiv aus der Kreidezeit: unter einem Dinosaurier-Skelett spielt eine Band nach Art der „The BC 52‘s“ Popsongs, eine Akrobatikgruppe tanzt dazu im Cheerleader-Style. Als der Wagen bei der Ausfahrt an einer Bordsteinkante abrupt stoppt, stürzt der Gitarrist der Band, spielt aber – ganz Profi – im Liegen weiter. Seine Aufstehversuche werden zusätzlich erschwert durch das Bemühen der Lenker, den Wagen mit schnellem Anschwung wieder in Gang zu bringen. Hätte man mal filmen sollen.
Der dritte Themenwagen zeigt Kinomotive (ein sich drehender Zylinder, angetrieben von einer Sportlerin über Pedale und Fahrradkette, mit senkrechten Sehschlitzen, die für das träge Auge das Betrachters bewegte Bilder erzeugen), hinter dem Wagen laufen bekannte Filmfiguren, unter anderem grüne Klonkrieger aus „Star Wars“ und der letzte Musiker auf der Titanic.
Wir folgen dann dem Ende des Zuges langsam weiter stadteinwärts, um nach der äußeren Bewässerung endlich auch den inneren Flüssigkeitshaushalt auszugleichen. An einem großen Souvenirladen (Carrolls) schauen wir kurz rein, das Angebot an Erinnerungsstücken ist so riesig, dass wir beschließen, uns dort nicht länger aufzuhalten und lieber am Montag nochmal in Ruhe vorbeizuschauen. Nur eine halbe Stunde später kommen dann endlich die letzten wieder aus dem Laden („… nichts gekauft, wir schauen am Montag nochmal in Ruhe …“) und wir gehen weiter.
Zwei Ecken weiter bekommen wir dann unsere oben erwähnte Chance, die Parade unbedrängt und aus nächster Nähe noch einmal zu verfolgen. Mit ausreichend Bildmaterial in annehmbarer Qualität ausgestattet gehen auch wir nun zum gemütlichen Teil über. Nach der ersten Notbetankung im „Dirty Onion“ führt unser Weg zum traditionsreichen „Crown Liquor Saloon“. Wir kommen noch einmal am Rathaus vorbei, vor dessen Zufahrt jetzt etwa zwanzig kronentreue Loyalisten eine Art Gegenveranstaltung zum St. Patrick‘s Day abhalten. Außer ein paar etwa zehnjährigen Jungs mit grünen Schals, die von der anderen Straßenseite aus und hinter dem schutzbietenden Rücken eines Polizisten Grimassen schneiden und ihre Mittelfinger in die Luft strecken, nimmt kaum jemand Notiz von der Aktion. Wenn es eines Beweises bedürfte, wie stabil die Aussöhnung in Nordirland inzwischen im öffentlichen Bewusstsein verankert zu sein scheint, dann ist es diese Szene.
Im „The Crown“ geht indes ordentlich die Post ab. Der historische Pub ist bestens gefüllt, es sind kaum Stehplätze frei und die Barkeeper müssen aufpassen, sich an den heiß laufenden Zapfhähnen nicht zu verbrennen. Wir bleiben eine Weile da, die Hoffnung auf frei werdende Sitzplätze erfüllt sich aber nicht, und so löst sich die Gruppe allmählich auf. Später treffen wir uns wieder im „Empire“, um den Tag angemessen bei Livemusik ausklingen zu lassen. Die Stimmung ist toll, wir haben sogar einen Tisch erwischt, so dass ein paar von uns sitzen können. Das einzig störende ist eine junge Dame am Nachbartisch, besser gesagt: ihr unfassbar schräger Gesang, bei dem sie die seltene Gabe beweist, nicht nur jeden Ton zu verfehlen, sondern dabei auch noch beständig Stimmhöhe und Lautstärke direkt proportional zu steigern.
Ansonsten ist es eine schöne Party, gewohnt stimmungsvoll wie immer bei unseren Inselbesuchen. Bemerkenswert ist die Songauswahl, es kommt tatsächlich nicht ein einziger „rebel song“ zu Gehör – vermutlich ist auch das ein Ergebnis der Aussöhnung und geeignet, den irischsten aller Feiertage im früheren Konfliktgebiet ohne Stress zu feiern. Ein langer Tag geht zu Ende, morgen werde ich ein Fußballspiel der Northern Ireland Football League im Windsor Park besuchen.
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