Feine Sahne Fischfilet – Albumrelease „Sturm & Dreck“, Ballsaal Tucholski Loitz, 13. Januar 2018
Nun ist es endlich erschienen: „Sturm & Dreck“, das inzwischen fünfte Album von Feine Sahne Fischfilet, einst „Vorpommerns gefährlichste Band“ mit Verfassungsschutz-Zertifikat. Dank frühzeitiger Vorbestellung halte ich die frisch gepresste Scheibe schon einen Tag vor dem offiziellen Erscheinungstermin in den Händen, das Hauptverdienst daran gebührt meinem Lieblings-DHL-Zusteller, der mich zu Hause nicht antrifft und das Päckchen eben einfach mit zu meiner Arbeitsstelle bringt und mir so den Weg zur Postfiliale am nächsten Tag erspart.
Vor allem aber gibt mir das die Möglichkeit, mich in die neuen Songs ein bisschen einzuhören, bevor die große Releaseparty in Loitz steigt, für die ich erfreulicher Weise eines der begehrten Tickets ergattern konnte, fürwahr ein herausragender Start in das Musik- und Konzertjahr 2018.
Das Album
Die Spannung und Neugier war seit der Ankündigung des neuen Albums gewaltig und nahm dank der durch Band und Verlag wohldosiert lancierten Appetitshäppchen nahezu täglich an Intensität zu. Die Videos „Zurück in unserer Stadt“, „Alles auf Rausch“ und das anrührende „Zuhause“, wie auch das schon auf der letzten Tour gespielte „Wir haben immer noch uns“ ließen schon ein wenig erkennen, wohin die Reise geht, besser: wie sie weitergeht.
Musikalisch bleibt die Band sich treu, ohne große Überraschungen geht es auf bewährte Weise zur Sache, die Songs knüpfen an das Vorgänger-Album an. Halb so wild, auch das Fahrrad wird nicht alle drei Jahre neu erfunden. Ich habe diesmal nicht sofort ein Lieblingslied mit Ohrwurmpotenzial (zuvor waren das „Solange es brennt“ und „Geschichten aus Jarmen“), aber da bin ich mir sicher, dass sich das bei den bevorstehenden Konzerten noch ergeben wird.
Textlich gibt es gewohnt klare Statements zu aktuellen Themen, die Songs bringen Inspiration, sich weiterhin dem Rechtsruck in Gesellschaft und Politik entgegenzustellen, Fremdenfeindlichkeit und Rassismus im Alltag nicht stillschweigend hinzunehmen. Beeindruckend dabei ist die berührende Verarbeitung sehr persönlicher Erfahrungen und Erlebnisse. „Angst frisst Seele auf“ ist einer guten Freundin der Band gewidmet, zu deren Ermordung eine Neonaziband in einem ihrer Lieder aufruft: Katharina König-Preuss, Mitglied des Thüringer Landtages, hat sich der Aufklärung der Hintergründe und Verstrickungen des NSU verschrieben.
In „Suruç“ verarbeitet Monchi seine Erlebnisse in der gleichnamigen südtürkischen Stadt, wo er am Schauplatz eines wenige Stunden vor seinem Eintreffen verübten Selbstmordattentats Zeuge des unermesslichen Leides der Opfer und ihrer Angehörigen wurde: Gekommen, um zwischen zwei Festivalauftritten in Deutschland die Helfer beim Wiederaufbau der vom „IS“ zerstörten Stadt Kobané ein paar Tage vor Ort zu unterstützen, und findet sich plötzlich mitten im Krieg wieder – in der Realität und nicht zu Hause vor dem Bildschirm und auf dem sicheren Sofa. Die lyrische Umsetzung dieser Erfahrung gehört für mich mit zum Besten, was die Band je veröffentlicht hat.
Ebenfalls sehr persönlich, wenn auch auf einer anderen Ebene, ist die Danksagung an seine Familie und vor allem an seine Eltern im Lied „Niemand wie ihr“: Sollte ich mal Kinder haben, will ich so sein wie ihr. Ein schöneres Kompliment für Eltern kann ich mir nicht vorstellen.
Und dann ist da noch „Wo niemals Ebbe ist“, eine musikalische Antwort auf die Frage des Vorgängeralbums – Bleiben oder Gehen? – und gefühlt die zukünftige Hymne von Mecklenburg-Vorpommern. Es gibt Landesregierungen, die Unsummen für Marketingstudien und -agenturen ausdem Fenster werfengeben, und heraus kommen billige Plattitüden wie „Der echte Norden“?! Den Claim „… wo niemals Ebbe ist“ sollte sich die Band auf jeden Fall schützen lassen, vielleicht braucht ja Edelfan Lorenz C. irgendwann mal einen griffigen Slogan.
Gut gelungen finde ich die Reihenfolge der Songs, „Zurück …“ und „Alles auf Rausch“ (inhaltlich ist das für mich sowieso ein Song: Kommt von euren Sofas und lasst uns lachend um die Häuser ziehen!) bilden im Zusammenspiel mit der Troika über die „Dreifaltigkeit“ des Feine-Sahne-Universums aus Heimat*, Freunden und Familie, „Wo niemals Ebbe ist“/“Wir haben immer noch uns“/“Niemand wie ihr“ am Ende (10-12), den musikalischen und thematischen Rahmen des wirklich großartigen und nach Meinung der Band (der ich mich mit jedem Hören mehr anschließe) bislang besten Feine-Sahne-Albums.
* Ich kenne auch Wörter, die ich gern positiv besetzt hätte.
Die Release-Party
Mit dem Städtchen Loitz in Vorpommern und dem dortigen Ballsaal Tucholski hat die Band eine erstklassige Wahl für die Sause zur Geburt des neuen Babys getroffen. Einmal schließt sich so (endlich!) der Kreis zu den musikalischen Anfängen: Bassist Kai ist in der Stadt geboren, der erste Proberaum der Band war hier und nun kann endlich nachgeholt werden, was auf Betreiben interessierter Kreise und nach Drohungen gegen die damaligen Veranstalter abgesagt werden musste.
Auch diesmal laufen „besorgte Bürger“ und „Patrioten“ ab dem Tag der Ankündigung Amok, vor allem virtuell in den Kommentarspalten der Presse oder in sozialen Netzwerken (Großartig, diese „Burschenschafter“, *LOL*). Na ja, das ist ja nicht neu. Leider auch nicht neu ist die anonyme Ausübung von Druck auf Band und Gastgeber, so tauchen einschlägige Aufrufe, das Konzert zu stören und Besucher anzugreifen, auf Loitzer Hauswänden auf, der Briefkasten des Ballsaal-Eigentümers wird wenige Tage vor dem Ereignis gesprengt.
Und doch versteht sich von selbst, dass sich nun am Sonnabend, dem 13. Januar 2018, drei Bands und etwa 300 Musikfreunde im historischen Ballsaal treffen, um das Erscheinen von „Sturm & Dreck“ gebührend zu feiern. Es wird eine grandiose Party, genau am richtigen Ort, zur richtigen Zeit und mit den richtigen Leuten. Mögen dem ehemaligen Burschenschafter und jetzigen Bundestagsabgeordneten, der hier als Direktkandidat übrigens NICHT gewählt wurde, die Ohren geklungen haben. So, und genau so fühlt es sich an, wenn euch jemand vor die Burschenschaft scheißt.
Ich quartiere mich zur Übernachtung bei meiner Tochter in der Nähe von Greifswald ein (bei der Gelegenheit sehe ich auch gleich mal meine kleine Enkelin wieder), von dort kommend treffe ich am Nachmittag rechtzeitig in Loitz ein. Die Band ist gerade dabei, die Beschilderung rund um den Veranstaltungsort abzuschließen, so erfahre ich aus erster Hand, wo ich das Auto abstellen kann. Rockstars zum Anfassen, Diggä!
Aufgrund der doch recht schattigen Temperaturen um den Gefrierpunkt halte ich mich nicht länger als nötig im Freien auf und begebe mich nach drinnen. Der Saal versprüht einen morbiden, betörend ostdeutschen Charme, ich fühle mich an meine Schulzeit mit Tanzstunden und Abschlussball im FDGB-Klubhaus erinnert. Das kann hier heute nur gut werden.
Den Auftakt macht ein Vortrag von „Endstation Rechts“, der interessante Einblicke zur Entwicklung und dem aktuellen Zustand der AfD in Mecklenburg-Vorpommern bietet, dann müssen nochmal alle für die Dauer des Soundchecks raus. Im Hof kann man Zeit und Temperaturen mit warmen Getränken (Glühwein mit und ohne) und – stilecht, wir sind schließlich im Osten – Borschtsch aus dem heißen Kessel trotzen.
Es ist schon eine schöne Tradition, dass bei Feine-Sahne-Konzerten junge Bands aus der Region die Chance bekommen, sich einem größeren Publikum vorzustellen. Diesmal sind es zwei Bands aus Greifswald, die Hinterlandgang (HipHop) und Restposten (Selbstauskunft: „Salt and Pepper Punk“). Beide machen ihre Sache gut, das Publikum wirkt zunehmend euphorisiert.
Um 22 Uhr verklingen die letzten Takte vom Band („Halbstaaaaark!“) und dann bricht sich Monchis Stimme lautstark Bahn: „Es geht los, es geht los heute nacht!“ Zwei unvergessliche Stunden, angefüllt mit Kraft, Energie und Emotionen nehmen ihren Lauf. Alle Anwesenden auf und vor der Bühne sind – im Rahmen ihrer Möglichkeiten und Wesensart – durchgängig im Eskalationsmodus verfangen, es gibt kein Entrinnen.
Die Eindrücke des Abends sind so vielfältig, dass es schwierig ist, einzelne Höhepunkte herauszugreifen, aber ein paar sind doch hängengeblieben:
Da ist Max, der auf dem Gummiboot reitend beim Unterqueren tief hängender Kabel und Schnüre wahre artistische Meisterschaft beweist.
Da ist Thees Uhlmann, nach Ralph K. prominentester Besucher, der (keine Angst, ich habe keine Strichliste geführt) für seine Gänge zum Tresen und zurück Kilometergeld verdient hat, von der Anerkennung für das Flüssigkeitsfassungsvermögen ohne äußerlich sichtbare Folgen ganz zu schweigen.
Da ist Christoph, der im Trubel vergessen hat, den Kapodaster mit auf die Bühne zu nehmen (dabei heißt es immer, dass es im Punk gar keine Tonarten gibt), weswegen zwei Songs den Platz in der Setliste tauschen.
Der Songtausch bildet dann aber den Rahmen für den emotionalsten Moment des Abends. Nach den vorgezogenen „Geschichten aus Jarmen“, darf Monchis Vater, der als Co-Leadsänger alles gegeben hat, gleich auf der Bühne bleiben, Monchis Mutter kommt ebenfalls nach oben, beide zusammen bekommen mit „Niemand wie ihr“ nun noch einmal vor 300 Leuten die Liebeserklärung ihres Sohnes vorgetragen. Es ist unmöglich, von diesem Augenblick nicht berührt zu sein. Wenn so „linke Hasskonzerte“ aussehen, dann braucht unsere Gesellschaft vor allem eines: Mehr Hass!
Kurz vor Mitternacht geht ein wunderbarer Abend mit „Weit hinaus“ zu Ende, es beginnt die Vorfreude auf die bevorstehende „Alles auf Rausch“-Tour mit dem großen Finale in der Rostocker Stadthalle. Vielleicht schaffen wir es ja, die tatsächlich voll zu bekommen. Also dann: Es geht los!
Und nicht vergessen: Mecklenburg-Vorpommern ist nicht komplett im Arsch!
Setliste
Zurück in unserer Stadt – Für diese eine Nacht – Alles auf Rausch – Solange es brennt – Ich will – Stumme Menschen – Mit dir – Ich mag kein Alkohol – Dorffeste im Herbst – Angst frisst Seele auf – Alles anders – Geschichten aus Jarmen – Niemand wie ihr – Ostrava/Solidarität – Wut – Zuhause – Komplett im Arsch (mit Thees Uhlmann)
Dreck der Zeit – Lass uns gehen – Warten auf das Meer – Wo niemals Ebbe ist – Wir haben immer noch uns – Weit hinaus