Stewart Copeland & Staatskapelle Schwerin, „Police Deranged for Orchestra“, Schwimmende Wiese Schwerin, 15. Juli 2022
Es fühlt sich schon etwas schräg an zu hören, dass ein Schlagzeuger auf Tour geht. Aber erstens ist Stewart Copeland nicht einfach nur „ein Schlagzeuger“, sondern war Drummer von The Police, „… a band you might have heard of…“, wie Dirigent Troy Miller bei der Ankündigung des Meisters mit feinem Understatement das erwartungsfrohe, aber selbstverständlich informierte Publikum wissen lässt.
Und zweitens … wie auch immer, ich will nicht mit „Wissen“ prahlen, das ich mir auch nur „ergooglet“ habe. Hörte ich bisher seinen Namen, sah ich in Gedanken einen hyperaktiven Kerl, der im Video zu „Message in a bottle“ ekstatisch mit den Trommelstöcken auf die Möbel in der Künstlergarderobe einprügelt. Das und ein Auftritt mit einem klassischen Orchester unter freiem Himmel reichte mir als Grund aus, um mir ein Ticket zu besorgen. Eine gute Entscheidung.
Es ist nach „Carmina Burana“ vor zwei Wochen schon mein zweiter Besuch auf der schwimmenden Wiese in diesem Sommer. Dank geschickter Platzwahl bei der Ticketbuchung verfolge ich in Reihe 2 mit ungehinderter Sicht, vielleicht 5 bis 10 Meter entfernt direkt vor dem Schlagzeug, das Bühnengeschehen so dicht wie noch nie bei einem Künstler dieses Formates.
Kleiner Insider-Tipp (unser kleines Geheimnis): Wer keinen Wert darauf legt, auch etwas zu sehen, kann Konzerte in dieser Location im angrenzenden Schlossgarten auch gut mithören, dazu noch bei schöner Optik, also etwas für romantische Seelen. Na ja, ich verströme genug Romantik für den Eigenbedarf, und ein komplettes, gelungenes Konzert ist mir immer den Eintritt wert, Kunst UND Romantik also.
Als ich meinen Platz einnehme, bin ich vor allem neugierig, wie sich alles anhören wird, schließlich liegen die großen Police-Zeiten ja doch schon ein paar Jahre zurück. Ein Fan der Band im klassischen Wortsinn war ich nie, kenne aber natürlich viele ihrer Songs, von denen es einer sogar in die Liste meiner „All time favourites“ geschafft hat, nämlich „King of Pain“ vom 1983er Album „Synchronicity“, auf dem übrigens auch „Every Breath You Take“ enthalten ist, das ja nun wirklich alle kennen.
Und so war vor der Show mein eigentlich einziger Wunsch, dass es dieses Stück auf die Setliste schaffen und möglichst nicht durch das Orchester-Arrangement „verdorben“ würde. Um es vorwegzunehmen, beide Hoffnungen werden erfüllt. Noch beim Soundcheck kann ich schon Teile der Melodie, gespielt auf einem Xylophon, identifizieren und beginne zu überlegen, wie ich dann wohl angemessen eskalieren könne, ohne mich komplett lächerlich zu machen. Bei „normalen“ Konzerten mit tobender Menge im Pit ist das ja unproblematisch, aber hier, quasi im „Theater“ und für alle sichtbar? Einfach abwarten, Musik findet immer einen Weg.
Das Konzert beginnt pünktlich um 20 Uhr, Der geniale Dirigent Troy Miller (O-Ton Copeland „he always keeps the train on the tracks“) begrüßt das Publikum, und nach den üblichen warmen Worten über Stadt, Land und Leute, ein paar Brocken in der Landessprache eingestreut, erscheint Stewart Copeland und es geht los. Das erste Stück kenne ich schon mal nicht, es heißt „Demolition Man“, sorry an alle Kenner, ich sagte ja, dass ich kein wirklicher „Fan“ war und bin.
In seiner Moderation bemüht sich auch Stewart Copeland um ein paar deutsche Worte, was gut beim Publikum ankommt. Er betont, welche Ehre es für ihn sei, hier aufzutreten. Die Aussprache klingt zum Teil lustig, in etwa so: “Es ist eine große error“, aber er legt sofort „a great honour“ nach. Und dann kommt auch schon DER Song. Es sind die vertrauten Harmonien in ungewohnter Instrumentierung (der Xylophon-Part ist wirklich der Hammer!), aber klar erkennbar,und dann setzt der Solo-Gesang ein: „There’s a little black spot on the sun today …“. Eine kleine Freudenträne bahnt sich heimlich ihren Weg, ich wische sie unauffällig weg und singe leise mit, schließlich kann ich den Text vom ersten bis zum letzten Ton auswendig: „I’ll always be king of pain.“ Das muss heute leider für die innere Eskalation reichen. Ich weiß ja noch nicht, dass später meine Gelegenheit zum Ausrasten kommen wird.
Zwischen den Songs erzählt der Meister Stories aus der Vergangenheit, über sein Verhältnis zu Sting (ja, es gab auch mal Streit, aber „there is only love“), über Andy Summers‘ unübertroffenen Sinn für Harmonie(n). Oder über die Entstehung des Songs „Murder by Numbers“, in Kurzfassung (von mir): „Wir sitzen am Mittagstisch, Andy spielt auf der Gitarre ein paar Akkorde, Sting fällt sofort ein Text ein, dann gehen wir rüber ins Studio, nehmen das schnell auf (ein Take) und fertig.“ So einfach geht das. Den Song kenne ich nun zwar immer noch nicht wirklich, ist aber auch egal, denn jetzt wird es wirklich spannend.
Manche Songs wurden so stark umarrangiert, dass sie kaum noch zu erkennen sind, inclusive Texterweiterung, „deranged“ eben, praktisch ein ganz neues Lied. Und so bietet Copeland eine Wette an: „Wer den nächsten Song zuerst erkennt, darf im Band-Jet mitfliegen.“ Es schafft niemand, bevor der Original-Text einsetzt: „Roxanne…“
Weiter geht es durch den Police-Katalog, dazwischen erklingt mit „Equaliser…“ auch ein Copeland-Werk, für das ich wieder im Internet recherchieren muss.
Zwischendurch legen die Musiker eine unerwartete Pause von 30 (!) Minuten ein. Ganz schön happig bei zwei Stunden Gesamtspielzeit, einziger Minuspunkt heute. Vielleicht habe ich aber auch nur die vorherige Ankündigung übersehen. Da nutze ich eben die Gelegenheit, die hohe musikalische Qualität aller Mitwirkenden zu unterstreichen, der Schweriner Staatskapelle (laut Copeland ja eigentlich eine heimliche Rockband) und auch der Begleitband (Gitarre & Bass) und der drei Sängerinnen, die Namen konnte ich mir leider nicht merken. Ganz große Kunst!
Nach der Unterbrechung geht es intensiv weiter, mit den von allen erwarteten „Every Breath…“ und „Message in a Bottle“ sind weitere Klassiker dabei, bei denen im Publikum schon mal etwas deutlicher hörbar mitgesungen wird. Nach dem Schluss-Beat von „Can’t stand losing“ wirft Stewart die Drumsticks hinter sich und verschwindet ganz kurz backstage, um sofort wieder für die Zugabe zu erscheinen.
Jetzt dürfen endlich alle ausrasten. Die Zuschauer werden eingeladen, vor die Bühne zu kommen, wovon reichlich Gebrauch gemacht wird, und dann explodieren alle zu „Every little thing she does…“. Vor mir sind ein paar junge Männer, geschätzte 18 bis 20 Jahre alt, also wie ich „damals“, hinter mir die etwas „gesetzteren“ Jahrgänge, alle springen und tanzen im Rahmen ihrer Möglichkeiten wild herum und schreien sich die Seele aus dem Leib: „Magic! Magic! Magic!“ Rock and Roll will never die, um abschließend einen anderen Helden zu zitieren.
Setlist
I Demolition Man / King of Pain / Murder by Numbers / Roxanne / Spirits in the Material World / One World (Not Three) / The Equaliser Busy Equalising / Walking on the Moon
II Every Breath You Take / Walking in Your Footsteps / The Bed’s Too Big Without You / Don’t Stand So Close To Me / Can’t Stand Losing You
III Every Little Thing She Does Is Magic
16. Juli 2022 um 20:17
Ich habe das Konzert mit jedem Buchstaben und Satzzeichen fühlen können, danke für den lesenswerten Bericht. Das mit dem nur Innerlich Ausflippen Können, kenne ich nur zu gut. Und mit der schwimmenden Wiese habt Ihr in Schwerin eine sehr schöne Spielstätte.
Als ich „Demolition Man“ las, musste ich schon kurz stutzen, denn das Stück ist meines Wissens eine Solo-Nummer von Sting, die er für den gleichnamigen Film mit Sylvester Stallone eingespielt hatte. Auch fast 30 Jahre alt.
16. Juli 2022 um 20:34
Danke schön.
Ich habe jetzt gleich mal im CD-Regal nachgesehen, da habe ich „The very best of Manfred Mann’s Earth Band“ stehen, da ist Demolition Man drauf, ohne dass es richtig kenne. Aber die Assoziation zur Earth Band hatte ich beim Hören gestern abend auch. Als Autor wird auf der CD tatsächlich Sting genannt. Wieder was gelernt.
Liebe Grüße nach Wien.
16. Juli 2022 um 20:28
PS: Mir hat das mit „Demolition Man“ keine Ruhe gelassen und dank Wikipedia bin ich nun schlauer geworden: https://de.m.wikipedia.org/wiki/Demolition_Man_(Lied)
16. Juli 2022 um 20:36
Super, vielen Dank.